Das französische House-Duo Daft Punk wollte früher so klingen wie Kraftwerk. Inzwischen hat es sein eigenes Konzept gefunden.


Der Wendepunkt kam für die Pariser Tanzmusik-Experten Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo erst nach dem Erfolg ihres 97er-Debüts „Homework“. Als Datum für besagten Einschnitt geben die beiden, die sich seither nur mit Masken fotografieren lassen und live ebenfalls nur in abenteuerlicher Kostümierung auftreten, den 9.9.1999 an. „Wir saßen damals im Studio und bastelten an ‚Discovery‘, unserem neuen Album“, sagt Thomas Bangalter in fast akzentfreiem Englisch. „Und dann fuhr da plötzlich dieser Blitz ins Studio und hat unser Mischpult explodieren lassen. Seitdem sind wir Maschinenmenschen.“

Das Leben als einzige gigantische Rückkopplung sozusagen. Erst holte das Duo die interessantesten Sounds, die seit Jean-Michel Jarre und seinem epochalen Werk „Ogygene“ aus Frankreich zu hören waren, aus seinen Heimmaschinen heraus, und dann das: zum Dasein als Roboter verdammt, gefühlskalt, emotionslos, fischblütig. So etwas nennt man Schicksal – oder cleveres Marketing. Was freilich nur dann funktioniert, wenn auch das Ergebnis, die Musik, stimmt. Daran, dass „Discovery“ den Erfolg von „Homework“ mit zwei Millionen verkauften Exemplaren weltweit übertreffen wird, zweifelt niemand. Zumal auch der amerikanische Markt gerade anfängt, sich für Tanzmusik aus Frankreich zu erwärmen, seitdem der armenisch-französische Musiker Mirwais Ahmadzai Teile des neuen Madonna-Albums produziert hat. „Clubmusik wird auch in den USA immer interessanter“, sagt Bangalter, und Kollege de Homem-Christo, der im wahren Leben abseits der Maske aussieht wie ein Zehnjähriger, nickt eifrig dazu. Zudem stimmt bei den beiden Soundtüftlern mit den wechselnden Gesichtsbedeckungen auch das Outfit – so etwas kommt an in Amerika.

Doch die Daft Punk-Kostümierung ist nur ein Teil der detaillierten Marketingstrategie, bei der die Musik auf lange Sicht eine eher untergeordnete Rolle spielen wird, wie Thomas Bangalter selbst sagt. „Sie wird immer unwichtiger. Die Musik war der Motor all unserer Aktivitäten, aber unsere Kreativität hat sich enorm verlagert, und so steht sie nicht mehr im Zentrum.“ Vielmehr arbeitet das Duo an der „ständigen Visualisierung der Popmusik“, wie sich Bangalter ausdrückt. Dazu gehört auch die permanente Maskerade „Pop besteht nicht nur aus Musik, Pop ist visuell, Pop ist ein Kunstwerk. Die Maskerade ist ein beständiger Teil von Daft World, in der es einen freien Geist und keine Regeln gibt.“ Was ihnen vorschwebt, ist eine Art Daft City, die nach ihren Regeln geschaffen ist, nach ihrem Konzept gestaltet, und in der selbstverständlich Musik von Daft Punk gehört wird.

Von Anfang an haben Bangalter und de Homem-Christo auf ihr eigenes Label „Daft Life“ gesetzt. Die DVD „Daft -A Story About Dogs, Androids, Firemen And Tomatoes“ war der erste Schritt zum Gesamtkunstwerk, Videoproduktionen der nächste. „Wir basteln an der Daft-Punk-isierung der Welt“, sagt Bangalter weiter. „Wir kontrollieren alles, was wir machen und wo Daft Punk draufsteht. Wir begehen nicht den Fehler, den andere Popstars machen: dass sie Dinge aus der Hand geben und zulassen, dass andere Menschen über sie entscheiden. Wir haben alles in unserer Hand. Das gibt uns ein gutes Gefühl.“ Dabei ist ihnen wichtig, nicht als Popstars zu gelten, denn die haben ein Gesicht und werden nicht zuletzt wegen ihres Aussehens geliebt. Da niemand weiß, wer hinter ihrer Maskerade steckt, haben Daft Punk ihre Fans so erzogen, nur zwei Figuren zu lieben, nicht aber sie selbst. Die Folge: „Da keiner weiß, wie wir aussehen, hilft uns das, ein Stück unserer Normalität zu bewahren“, sagt Guy-Manuel de Homem-Christo, der von Bangalter nur Guy-Man gerufen wird. „Ich kann zum Bäcker gehen und beim Warten in der Nase bohren, ohne dass mich einer erkennt. Das ist cool.“

Und die „Daft World“ wird weiter ausgebaut. Lange bevor „Discovery“ im Kasten war, stellten Bangalter und Guy-Man ihre neue Single „One More Time“ vor, die ein Teaser sein sollte, mehr nicht. Sie lenkte die Aufmerksamkeit in der Tat vortrefflich auf das neueste Daft-Projekt, das die beiden Anfang des Jahres auf der Midem in Cannes vorstellten – den virtuellen „Daft Club“. Dort hinein zu kommen ist denkbar einfach: Wer „Discovery“ kauft, findet neben der CD auch eine Plastikkarte mit Zugangscode vor. Mit diesem Code kann man von der CD exklusive Software auf seinen Computer herunterladen. Damit darf sich der Käufer dann online zum „Daft Club“ anmelden. Dieses Forum lässt Bangalters Brust beträchtlich anschwellen: „Wir sind sehr stolz auf dieses Projekt, weil wir anhand der Plattenverkäufe sehen, wieviele Leute theoretisch unsere Plattform im Netz nutzen können. Das eröffnet völlig neue Wege im Marketing- und Promotionbereich und natürlich in der Kommunikation. Da wird Musik zwangsläufig zur Nebensache.“ Dass die Idee geboren wurde, um Onlinepiraten wie Napster ein Schnippchen zu schlagen, verschweigt Bangalter indes. Darauf angesprochen, meint er sarkastisch: „Wir sollten den Leuten von Napster danken. Durch ihr Angebot, Songs kostenlos aus dem Netz herunterzuladen, haben sie jeden kreativ denkenden Menschen ins Grübeln gebracht. Deshalb sind wir von unserer Plattform, wo es exklusive Songs von uns zu hören gibt, die nicht auf dem Album sind, so überzeugt.“ Auch dass irgendwelche Hacker den Sicherheitsbereich des „Daft Club“ sprengen und die Songs kostenlos ins Netz stellen könnten, schreckt Bangalter nicht: „Dann könnte ich auch gleich den Kopf in den Sand stecken. Risiken sind die einzigen Dinge, die den Geist wach halten.“

So risikofreudig wie heute waren Bangalter und de Homem-Christo nicht immer. Die beiden kennen sich bereits aus Pariser Schulzeiten und hatten sich erstmals 1987 gemeinsam mit ihrer großen Leidenschaft, der Musik, befasst. „Ich hielt Thomas anfangs immer für ein Arschloch“, sagt der ein knappes Jahr ältere de Homem-Christo. „Außerdem hat er immer die besseren Mädchen abgekriegt.“ Später, als die Animositäten längst abgelegt waren, bastelte das ungleiche Paar nächtelang an Keyboards und Computern herum mit dem Ziel, „unbedingt so zu klingen wie Kraftwerk, aber wir haben deren Lässigkeit nicht hingekriegt“, sagt Bangalter. „Wir klangen anfangs furchtbar verkrampft, zu gewollt.“

Und heute? „Selbst Madonna baut inzwischen Elemente von House-Musik in ihre Songs ein“, sagt Bangalter. „Da muss man neue Wege gehen, um gehört zu werden. Man muss mit Regeln brechen, innovativ sein.“ Die First Lady des Pop wollte einen ihrer Songs auf „Music“ von Daft Punk remixen lassen, die Franzosen lehnten jedoch ab – die Arbeit an „Discovery“ ging vor. „Lind außerdem“, so Bangalter lapidar, „war das Stück scheiße. So etwas machen wir nicht des Geldes oder der Ehre wegen, das ist eine Frage des Geschmacks. Auch bei Madonna.“