David Bowie


„Ich habe mich endgültig von der Rockmusik verabschiedet“, ließ der unberechenbarste Superstar der siebziger Jahre, David Bowie, unlängst die amerikanische und englische Pop-Presse wissen. „I’ve rocked my last Roll“, hieß es just zu dem Zeitpunkt, als Bowies neue Scheibe „Station To Station“ in den Staaten herauskam, seine neue Single „Golden Years“ spielend die Hitparaden eroberte, und sich die Gerüchte zur Gewißheit verdichteten: Bowie geht wieder auf Tournee, zunächst in USA, dann auch in Europa, tyun ist es soweit, im April kommt er nach Deutschland! Indessen, David Bowie hat sich in Amerika stark gewandelt. Deshalb wollen wir allen Lesern, die ihn noch als „Ziggy Stardust“, das Geschöpf aus dem Weltraum, in Erinnerung haben, vorab einige Informationen liefern, die das scheinbar absurde Phänomen „Bowie“ erhellen sollen. Was also geschah, seit er sich Mitte 1973 auf so spektakuläre Weise von seinen Fans verabschiedete?

PIN UPS

Main Man-Ottice, die damalige Zentrale für Bowies Management, fühlte sieh wie immer überfragt, wenn Journalisten wissen wollten, wie denn nun eigentlich die Zukunft des Spaee-Rockers im Ruhestand aussehen würde. Fest stand, einige Wochen nachdem sich der Meister im Londoner Hammersmith Odeon Theater angeblich für ,.immer“ aus dem Rock-Business ausgeblendet hatte, lediglich folgendes: Bowie hatte mit Frau und Kind einstweilen England verlassen und war mit der Fähre von Dover nach Calais übergesetzt. In Frankreich hatte er einen standesgemäßen Unterschlupf gefunden. Mitsamt seiner Familie, einigen Freunden und einer Techniker-Crew bezog er das Chateau de Herouville, den ehemaligen Wohnsitz Chopins. Dort produzierte er in den folgenden Monaten ein Album ungewöhnlichen Zuschnitts: „Pin Ups“ also „Aufgeschnapptes“ – präsentierte er seinem europäischen Publikum als Abschiedsgeschenk. Es war ein Rückblick in Noten auf die große Zeit des London-Beats Mitte der 60er Jahre. Was immer die Kritiker an spitzen Bemerkungen über diese merkwürdige Reprise simpler Hitparadenstücke aus „Swinging London“ vom Stapel ließen, Bowie nahm ihnen den Wind aus den Segeln, indem er auf dem Rückcover in krakeliger Schrift den Urhebern von „Friday On My Mind“, „Sorrow“, „Can’t Explain“ die Ehre gab. Die Frontseite zeigte ihn nocheinmal so, wie er berühmt geworden war: mit feuerroter „Eichhörnchenfrisur“, das wächsernbleiche Gesicht zart mit Rouge überhaucht. Das Meisterfoto von Justin de Villeneuve fängt mit Weichzeichner und raffinierten Lichteffekten die Züge eines ätherischen, fast griechisch zu nennenden, Jünglings ein. An seinen, wie aus Marmor gemeißelt wirkenden Oberkörper schmiegt sich ein Mädchen. Es ist „Twiggy“, die Frau des Photographen, das ehemalige Top-Model. ebenso versessen wie die Songs, die das „BOWIE IN AMERIKA“

Für NBC, eine amerikanische Fernsehgesellschaft, stellt David Bowie Ende 1973 eine Show zusammen. Mit vollständiger „Ziggy Stardust „-Garderobe und seiner Band, den „Spiders“ im Schlepptau tauchte er im „Marquee-Club“ auf, um noch einmal die „Reise, zum Mars“ anzutreten. Er arbeitet äußerst konzentriert, und es wird deutlich, daß Bowie nunmehr in Bestform die Staaten erobern will. Er macht Zugeständnisse an den amerikanischen Geschmack, an jedem Stück wird gefeilt, es dauert allein drei Stunden, bis sein wiederaufgelegter Hit von 1969 „Space Oddity“ im Kasten ist.

Bald darauf packt Bowie die Koffer und geht an Bord eines Ozeandampfers mil Bestimmungshafen New York. Eine Zigeunerin hatte ihm einen frühen Tod geweissagt-; abergläubisch besteigt, er deshalb kein Flugzeug, fährt auch über Land, wo irgendmöglich, nicht mit dem Auto, sondern mit der Eisenbahn. Die Überfahrt dauert einige Tage. In Amerika läuft derweil eine großangelegte Werbekampagne für den neuen Superstar. Es ist Bowies zweiter Anlauf. Bereits 1971 hatte die Schallplattenfirma RCA 1Ü0 000 Dollar in ihr europäisches Zugpferd investiert. Die Amerikaner tun sich zunächst noch schwer mit dem Verständnis für Bowies ausgeflippte Show. Das Publikum steht eher auf „Westcoast“ oder den rauhen Georgia-Sound der „Allman Brothers“. David ist für sie ein „Weirdo“, also „unheimlich“. Sein der europäischen Pantomime und dem Ballett verpflichteter Stage-act wird als tuntige ,,Drag-Show“, als Transvestitentheater mißverstanden. Sein britischer Akzent klingt in amerikanischen Ohren albern. Oxford-English wird in Amerika höchstens von spleenigen Professoren in Neuengland gesprochen. 1973 schafft Bowie dennoch den üurchbruch in den Staaten. Seine Alben werden gut verkauft, vor allem „Aladdin Sane“. Das clevere Wortspiel mit der Vokabel „insane“ (zu deutsch: „krankhaft“) trifft den Nerv der amerikanischen Jugend diesmal genau: Amerika hat schmachvoll einen sinnlosen Krieg in Vietnam verloren, aus dem ,.Weißen Haus“ quillt die schmutzige Weile der Korruption. Ohnmächtig muß die Öffentlichkeit hinnehmen, daß ihre höchsten Politiker und die allmächtige CIA mit Mördergeneralen in Chile gemeinsame Sache machen. Aber auch zivilisatorisch scheint es zu diesem Zeitpunkt mit Amerika zu Ende zu gehen, Öl-Schock und Wirtschaftskrise, Umweltsehmutzprobleme erschüttern den Glauben an die stramme Gesundheit von „God’s own country“. Steil ansteigende Kriminalität, eine Renaissance der Killerdrogen Heroin und Kokain, Bombendrohungen und Ritualmorde, Kidnapping und immer mehr Vergewaltigungen, Indianeraufstand am ,,Wounded Knee“, Stadtguerilla in San Francisco: Das Land scheint aus den Fugen zu geraten. Und zu allem Überfluß scheinen auch noch die Homosexuellen den Aufstand zu proben: In allen Großstädten gibt es Demonstrationen der „Gay Liberation Front“. Es sind so viele Männer, daß man denken muß, Amerika drohe der „biologische Tod“ – zumal auch die Frauen immer häufiger öffentlich „unter sich“ bleiben möchten.

„ENDZEITPHANTASIEN – 1984“

In „Aladdin Sane‘ hatte David Bowie seine Beobachtungen der Dekadenz des „amenean dream“ geschickt eingeflochten. Kerouac („On the road“), Burroughs und Ginsberg, aber auch Baudelaire und Nietzsche („Also sprach Zarathustra“) brachte er auf ihren gemeinsamen Nenner; Das Syndrom des Verfalls, das überall in der Welt und besonders in den Staaten zu Tage trat. Vor diesem Hintergrund setzte sich Bowie aufs wirkungsvollste in Szene. Verkörperte dieser sich öffentlich zur Bi-Sexualität bekennende Derwisch in seinen aus Metall und Kunststoff gefertigten Space-Age-Klamotten am Ende den Menschentyp von morgen? Dieser „Ziggy Stardust, he took it all too far“, war er nicht das Zerrspiegelbild jener Astronauten, die den Fuß auf den Mond gesetzt hatten, jener Wissenschaftler, die anstatt der augenfälligen irdischen Probleme zu lösen, im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen griffen? Diesen Irrwitz hatte Bowie schon einmal auf magische Weise besungen: „Space Oddity“, ein Song, der von dem Film „2001 Odyssee im Weltraum ‚ angeregt, alle paar Monate einem Raumschiff gleich in Sicht, sprich: in die Hitparaden kommt.

Damit wäre umrissen, was David Bowies Attraktivität für ein amerikanische Publikum ausmachte. Wurde jedoch in Europa Bowies Show als ironisches Panoptikum aufgefaßt, stieß er in Amerika praktisch an die Grenzen des moralisch vertretbaren. Es gab (und gibt noch immer) eine Menge Leute in den Staaten, die David hassen. Er erhielt Drohungen, fürchtete sogar, auf offener Bühne ermordet zu werden. Nach einer triumphalen 30-Städte-Tour kehrte er zurück, um (diesmal in Holland) ein neues Album aufzunehmen.

„Diamond Dogs“ wurde eine alptraumähnlich-groteske Untergangsvision einer Gesellschaft,, die wortwörtlich „vor die Hunde geht“. In der „Future Legend“ dichtete er Erschreckendes: „Und als im Tode die letzten-Leichname verwesend auf der schleimigen Hauptstraße lagen, öffneten sich zentimeterweise die Fensterläden des „Temperance“ Gebäudes… und rote Mutantenaugen blicken hinunter auf Hunger City – die Räder drehten sich nicht länger – Flöhe so groß wie Ratten, klebten an Ratten so groß wie, Katzen und saugten ihnen Blut aus den Adern, während es zehn? tausende von „Menschlingen“ gelüstete, den höchsten der sterilen Wolkenkratzer zu besteigen. Wie eine Hundemeute sprangen sie gegen die Glasfenster der „Love Me Avenue“, zerstörten sie und griffen nach Nerzen und Silberfuchspelzen, raubten den Familienschmuck aus Saphir und Smaragdsplittern – so war es nun an jedem Tag – es war das Jahr der Diamant-Hunde“. Dies ist kein Rock’n’Roll, sondern der „Mord an Ungeborenen“.

Hier war eigentlich keine Steigerung mehr möglich. Mit „Diamond Dogs“ hatte Bowie versucht, die Thematik des Buches „1984“ von George Orwell zu aktualisieren. Die „Zukunft“ war schon 1974 schlimmer, als Orwell es sich vorgestellt hatte. Die urbanen Probleme der amerikanischen Riesenstädte wie New York, Chicago oder Los Angeles münden in ein Desaster: Sie verelenden, die Ratten werden zur schlimmen Plage, die Armen veri hungern auf der Straße, während sich eine Clique total degenerierter Taugenichtse, die kaum „mehr wissen, ob sie Junge oder Mädchen sind“ („Rebel, Rebel“) in düsteren Hauseingängen mit Strichjungen vergnügt („Sweet Thing“). Das Plattencover (von dem „Rock Dreams“-Illustrator Guy Pellaert gemalt) zeigt Bowie als Mischwesen, halb Hund, halb Mensch.

PHILLYSOUND UND FILME

In Philadelphia, der Hochburg der neuen Disco-Soul-Welle, wurde in den ersten Monaten des Jahres eine LP eingespielt: „Young Americans“ wurde eine Probe aufs Exemple. Alles weibische meidend, zwängte sich Bowie in eine neue Rolle: David Bowie, der Mann, oder – exakter – der „weiße Neger“. Er brachte es fertig, seine Stimme schwarz klingen zu lassen. „Young Americans“, „Fame“, „Fascination“ und „Right“ wurden allerdings eher aufgrund des professionellen Arrangements sowie der Mitarbeit hervorragender Studiomusiker (Dennis Davis, Earl Slick, Carlos Alomar u.a.) so gut. Tanzbare Nummern, mit denen Bowie die Nachfrage nach Disco-Hitscheiben befriedigen konnte. Als Bonbon enthielt die LP eine Coverversion des Beatles Oldie „Across the Universe“; starring John Lennon on guitar and vocals. David hatte sich in New York mit ihm angefreundet. Was dieser radikale Bruch mit der Vergangenheit eigentlich bedeutete, konnte David zunächst nicht befriedigend erklären. Wie ein Chamäleon hatte er einmal mehr „die Farbe gewechselt“. Daß sich diese Veränderungen so plötzlich und willkürlich vollzogen, hat hingegen seine besondere Bewandnis. Mehrmals erklärte Bowie im letzten Jahr, er sei „in erster Linie Schauspieler, der die Musik als Requisit, als Kulisse für ständige Rollenwechsel benötigt.“ Niemals solle man versuchen, „sein wirkliches Ich, Davey Jones (sein richtiger Name) hinter den Masken zu suchen. Bei Licht betrachtet sind diese Erklärungen Winkelzüge, mit denen Bowie versucht, sein neues Image aufzupolieren. Er möchte nicht mehr als Rockmusiker, sondern als Entertainer eingestuft werden. Sein Anspruch ist hoch: „Ich möchte in Frank Sinatras Fußstapfen treten, und es wird mir gelingen.“ Hoffentlich! Entertainer, Producer(Mott ‚the Hoople, Iggy Pop & the Stooges) und nun auch noch Schauspieler, Filmstar sogar. Bowie steckte sich im vergangenen Jahr viele Ziele. Eine geplante Reise nach Brasilien mußte ausfallen, da die Dreharbeiten zu Bowies erstem abendfüllenden Film in Neu-Mexico begannen. Außerdem fand Bowie nicht nur Zeit, selber ein neues Album aufzunehmen (die schon erwähnte „Station To Station“ LP), übernahm Toningenieur-Aufgaben für Iggys neue Platte und hatte zuguterletzt auch noch einige Prozesse in New York durchzustehen. Mit seinen stürmischen Veränderungen war er der sorgfältigen Imagepflege, die sein Manager Tony de Fries für ihn betrieb, in die Parade gefahren. Es gab Ärger, und Bowie trennte sich von MainMan. Bowie nahm alles selbst in die Hand, gemeinsam mit Nicolas Roeg, dem Regisseur von „Performance“, entwickelte er den Charakter des Thomas Jerome Newton, dem Hauptdarsteller von

THE MAN WHO FELL TO EARTH

Noch einmal wird in diesem Film Bowies Spezialthema angeschlagen: „Der Mann, der zur Erde fiel“ ist ein Besucher aus einem fernen Sonnensystem. Eine andere Welt ist durch Kriege völlig zerstört worden. Der Mann dem Untergang nur knapp. Er kommt zur Erde, deren Bewohnern er zwar ähnlich sieht, aber nicht vollkommen gleicht. Der Film benutzt jedes Genre des amerikanischen Kinos, wenn er Science-Fiction mit Krimi paart, um schließlich noch das alte amerikanische Märchen vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär aufzugreifen. Denn T. J. Newton startet seine Laufbahn damit, daß er einen Ring versetzt, um bald darauf, zu Geld gekommen, eine Firma zu gründen, die großen Erfolg mit den Erfindungen hat, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse des fremden Planeten mit seiner höheren Zivilisation gründen. Bald jedoch treffen Neid und Mißgunst den „zugeflogenen“ Unternehmer.

Immerhin trifft Bowie auch mit seiner neuesten Aktivität auf den Geschmack der Amis. Mögen sie sich am Vorabend ihrer 200-Jahr-Feier geschmeichelt fühlen, daß Bowie ihnen noch einmal alle liebgewordenen Klischees vor Augen führt, auf die ihr Staat gebaut ist. „Give everybody his Chance“, „laß jedem seine Chance“ gilt im Zweifelsfall auch für einen Einwanderer aus dem Weltraum. Bowie spielt diesen Mann sensibel und einfühlsam. Er ist in dem Film kaum wiederzuerkennen; das orangerote Haar hat er schlicht nach hinten gekämmt, seine Kleidung scheint der Mode ganz zu Anfang der sechziger Jahre nachempfunden. Irgendwo findet sich, obwohl Bowie alle seine Person betreffenden Bezüge verneint, in dem Film – wie eine Art innerer Monolag -Bowies Lebensgeschichte wieder: So wie Thomas Jerome Newton sich auf der Erde trotz seines Erfolges nicht wohlfühlt, mag es Bowie ergehen, wenn es um seinen Platz im amerikanischen Pop und Filmbusiness geht. Offensichtlich unterliegt er in den Staaten Einflüsterungen und Verführungen, denen er nicht gewachsen ist. Anders ist sein Versuch, Soulmusik (und damit eine schnell Mark) zu machen, nicht zu verstehen.

ABERGLÄUBISCH

Er sieht so gehetzt und kränklich aus, daß Klatschzeitungen unlängst meldeten, er wäre schwer erkrankt. Zumindest scheint er zunehmend an Gespenster zu glauben: Er feuerte unlängst aus nichtigem Grund seinen neuen Manager Michael Lippman ebenso wie den Gitarristen seiner Band Earl Slick. An Paranoia grenzt die Begründung, mit der er kurz vor Tourneebeginn zwei Backgroundsängerinnen fortschickte: Sie seien vom Teufel gesandt, um ihm zu schaden. Bowie, so scheint es, mag nach den noch anstehenden Tourneeverpflichtungen Ruhe bitter nötig zu haben. Vielleicht auch wird ihn ein (freilich nicht im Voraus kalkulierbarer) Erfolg in Europa dazu bewegen, Amerika einstweilen den Rücken zu kehren, was sicherlich nicht das Schlechteste wäre…

Zunächst jedoch lockte er in den USA im Durchschnitt mehr als 10 000 Zuschauer zu den ersten Konzerten seiner jüngsten Tour (im April soll er bekanntlich in Deutschland auftreten). In schwarzen Satin gekleidet, äußerst sparsam in seinen Bewegungen, zwingt er die Fans zur Konzentration auf die Songs eines eleganten Entertainers. Wir werden es hoffentlich erleben.