David Byrne über das Radfahren


Wenn er nicht gerade ein Musical über Imelda Marcos schreibt oder obskure Installationen auf Island errichtet, betätigt sich David Byrne als Rudolf Scharping der Lower East Side: Der ehemalige Chef der Talking Heads designt Fahrradständer, unternimmt Touren mit seiner Band und hält Vorträge über "das ultimative urbane Fortbewegungsmittel".

Sie betätigen sich als Sprachrohr der Radfahrer in den USA und halten sogar Vorträge über „das ultimative urbane Fortbewegungsmittel der Zukunft“. Warum?

Nun, das Radfahren ist einfach eine gesunde, ökologische und auch praktische Art der Fortbewegung. Und in den USA hat sich das lange noch nicht so weit herumgesprochen wie in Europa. Ich halte aber auch keine stundenlangen Vorträge. Ich nehme lediglich an kleineren Events in verschiedenen Städten teil, zeige eine kleine Präsentation und versuche so, die jeweilige Stadtverwaltung ein wenig unter Druck zu setzen.

Bislang trauen sich fast nur Fahrradkuriere auf die Straßen der Großstädte. Von einer nationalen Bewegung scheint das Radfahren immer noch weit entfernt zu sein.

Aber das verändert sich gerade. Es gibt inzwischen viele Leute, die mit dem Rad zur Arbeit, zum Abendessen oder ins Kino fahren.

Aber es ist doch einfach auch sehr gefährlich, zum Beispiel mitten durch Manhattan zu radeln.

Stimmt. Aber es gibt mittlerweile auch Radwege. Etwa direkt am Fluss, der ist absolut sicher. Und es ist doch erstaunlich, dass sich etwas tut: Wir reden hier schließlich über New York, nicht über Portland oder San Francisco.

Sie können sich tatsächlich vorstellen, dass die 5. Avenue oder der Broadway in eine fahrradfreundliche Zone verwandelt wird?

Ein Teil des Broadways ist das sogar schon! Es führt ein Radweg vom Times Square bis zum Harold Square.

Sie selbst gelten schon fast als ein fanatischer Radfahrer – angeblich schon seit der Highschool, wo Sie das als Sport betrieben haben sollen. Stimmt das?

Nein, das Radfahren war für mich immer ein Mittel, um von A nach B zu kommen. Als ich Mitte der Siebziger nach New York gezogen bin, musste ich erst einmal darauf verzichten. Denn ich hatte keinen festen Wohnsitz, zog ständig um. Aber nach einer Weile radelte ich wieder los. Diese Art der Fortbewegung ist einfach auch viel zu bequem.

Zum Glück gibt es in New York kaum Steigungen …

Genau, es ist dort ziemlich flach. Außerdem spielte sich mein Leben damals größtenteils an der Lower East Side und in Soho ab. Ein kleiner Radius, das Rad war da perfekt. Kein Studium von U-Bahn-Fahrplänen, kein Taxi-Ärger – einfach losfahren.

Heute radeln Sie überall auf der Welt herum. Etwa auf Tournee, wo Sie Ihre Band zu kollektiven Ausflügen nötigen …

(lacht) Ja, manchmal machen wir das. Auf der letzten Tour hatten wir sieben Fahrräder dabei. Und wenn das Wetter gut war, ging’s los. In Berlin z. B. besuchten wir einen Bekannten meiner Freundin, der eine Kunstsammlung in einem alten Bunker beherbergt (Sammlung Boros – Anm. d. Red.). Also hieß es: „Morgen: Klassenausflug zum Bunker – früh um zehn Uhr brechen wir auf!“

Sie haben inzwischen ein Buch veröffentlicht: die „Bicycle Diaries“ …

Die meisten Gedanken und Ideen, die mir während des Radfahrens durch den Kopf schießen, halte ich sofort fest. Sobald ich nach Hause komme, tippe ich sie in mein Computer-Tagebuch. Manches kommt in meinen Blog, manches ins Archiv.

Entstanden auf diesem Weg auch die ungewöhnlichen Fahrradständer, die Sie im Auftrag der Stadt New York entwickelt haben?

Eigentlich hatte mich die Stadtverwaltung gefragt, ob ich Lust hätte, in der Jury bei einem Wettbewerb für Fahrradständer mitzumachen, die sie in der gesamten Stadt aufstellen wollen. Ich machte mich eher darüber lustig, indem ich ein paar Entwürfe zeichnete mit Ständern, die zu den jeweiligen Stadtteilen passen, in denen sie aufgestellt werden: der Absatz eines Damenschuhs für die Einkaufsmeile, einen Hund fürs Village, wo es eine Menge Leute gibt, die ihre Tiere spazieren führen, eine Gitarre für Williamsburg, eine Dollar-Note für die Wall Street. Aber der Stadt hat es offenbar gefallen. Sie sagten: „Wenn du das wirklich so umsetzen kannst, stellen wir sie auf.“

Sie werden vermutlich schnell zu öffentlichen Kunstwerken.

Ich hätte nichts dagegen. Aber zunächst einmal sollen die Leute ihre Fahrräder daran abstellen.

David Byrne, 1952 in Schottland geboren und bis heute ein Schotte, ist von 1975 bis 1991 der Kopf der einflussreichen New Yorker Postpunk- und New-Wave-Gruppe Talking Heads. Seine Solokarriere startet er parallel im Jahr 1981. Er schreibt Filmmusik, arbeitet als Produzent, Autor, Schauspieler, betreibt ein Label (Luaka Bop), das sich vor allem als sprudelnde World-Music-Quelle einen Namen macht. 2011 gehört Byrne zur Wettbewerbsjury der Filmfestspiele von Venedig. Sein Essay-Band „Bicycle Diaries“ erschien vor Kurzem auch in deutscher Sprache (Fischer Verlag).