Der ewige Stenz


Warum Mick Jaggers Kinder ihn gelegentlich peinlich finden, und wer zuhause die Hosen anhat: Offenbarungen im ME-Gespräch.

Das übliche Gezicke: „Herr Jagger möchte nur über sein neues Album ‚Goddess In The Doorway‘ reden. Anderenfalls wird er das Gespräch abbrechen“, heißt es in der Anweisung, die vor dem Interview mit dem Stones-Chef ausgegeben wird. Der Sagger, der in lilarotem Hemd und weiter schwarzer Hose in die Suite im Londoner Mandarin Oriental Hotel getänzelt kommt, droht auch gleich finster: „Du bist leider in einer schlechten Position!“ Was kommt jetzt? „Das ist mein erstes Interview zu diesem Album, also muss ich mich anstrengen“, grinst der 58-Jährige, während er an der Klimaanlage fummelt, um die Heizung einzustellen. „Heute Morgen habe ich meinen Manager gefragt: Wie hieß das Album noch?“

Die neuen Songs auf „Coddess In The Doorway“ klingen sehr frisch und rockig. „God Cave Me Everything“ ist der ultimative Aufwachsong.

Mag sein, (lacht) Obwohl ich nicht weiß, ob ich zu diesem Song aufwachen wollte.

Zu welcher Musik wachst du denn gern auf?

Ich kann vor 12 Uhr nur klassische Musik hören. Heute Morgen wachte ich allerdings vom Krach meines Nachbarn auf. Der Mann,der unter mir wohnt, ist auch im Musikbusiness. Und er spielt immer genau zwischen zehn und halb elf seine neuen Remixes. Ich höre dann dauernd die Bass Drum, bumbumbum. Außerdem wurde vor meinem Haus ein Baum abgesägt. Das war kein besonders guter Morgen.

Und dann wohnt auch noch Pete Townshend, der Who-Chef, in deiner Nachbarschaft.

Naja, so schlecht ist es auch wieder nicht. Ich lebe ja nicht direkt im Ghetto, sondern in einem Appartment, das sich an unser Haus anschließt. Pete Townshend wohnt zwar gegenüber, in dem Haus.das vorher Ronnie Wood gehörte. Aber er ist so weit entfernt, dass ich ihn glücklicherweise nicht höre.

Pete soll sich dir als Mitspieler geradezu aufgedrängt haben.

Er hatte mich gefragt:“Kann ich auf deiner Platte spielen?“ Und ich sagte: „Na klar.“ Aber dann vergaß ich es immer wieder. In letzter Minute holte ich ihn noch dazu und ließ ihn Gitarre spielen.

Dein Co-Produzent Marti Fredenksen lobte dein Gitarrenspiel. Er sagte: „Wahrscheinlich spielt Mick bei den Stones mehr Gitarre, als die Leute denken“. Stimmt das?

Ja, aber ich habe reichlich Konkurrenz bei den Rolling Stones (lacht). Bei den Stones komme ich selten zum Gitarrespielen, weil es dort Leute gibt, die kaum was anderes tun. Und die sagen: „Lass das mal, das mit der Gitarre.“ Dabei macht es mir richtig Spaß. Das ist eine Art Verlängerung des Ausdrucks meiner Persönlichkeit.

Du hast eine ganze Menge Freunde, die gern auf einem Jagger-Album spielen würden, oder?

Hmm, kann man sagen. Die Zusammenarbeit mit Wyclef Jean war sehr lustig. Er ist sehr klug und sehr quirlig. Er hat diese karibische Art, an Dinge heranzugehen. Ein komischer Vogel, dem man seine haitianische Herkunft anhört. Wenn er singt, klingt das verblüffend nach Bob Marley. Aber das Problem mit ihm ist, dass er dazu neigt, sich zu verzetteln. In dieser Hinsicht erinnert er mich an Dave Stewart. Er versucht, zuviel zu tun. So läuft er manchmal Gefahr, am Ende gar nichts auf die Reihe zu kriegen.

Hat er dir auch seine Theorie des sexuellen Kung-Fu unterbreitet?

Nein, wie schade. Das habe ich verpasst. Vielleicht, weil ich keine Frau bin. Er macht gern solche Witze. Ich würde gern wieder mit ihm arbeiten.

War Bono mit dir im Studio, als ihr seinen Gesang für deinen Song „Joy“ aufgenommen habt?

Nein, ich bin dafür nach Köln geflogen. Er war dort mit U2 auf Tour. Wir haben seinen Part in einem Hotel aufgenommen.

Ihr habt also nicht gemeinsam gesungen?

Nein, ich hatte meinen Part schon gesungen. Der Song klingt sehr nach Gospel. Pete Townshend hat da mit mir zusammen Gitarre gespielt. Und ich habe den Song mit Matt (Clifford, Tourkeyboarder der Stones, Anm. d. Red.) produziert.

Warum hast du Rob Thomas von Matchbox 20 für die Arbeit an „Visions Of Paradise“ angeheuert?

Ich schätze seine Handschrift als Songwriter. Er ist äußerst talentiert, ein sehr netter Typ. Und er arbeitet sehr konzentriert. Und diszipliniert.

Joe Perry von Aerosmith spielt bei einigen Tracks auf „Goddess…“ Gitarre. Hast du über ihn deinen Co-Produzenten Marti Frederiksen kennen gelernt?

Ja. Ich kenne Joe Perry gut. Wir sind uns oft auf Tourneen begegnet. Und über ihn kam der Kontakt zu Marti zustande. Er ist ein toller Partner, sehr musikalisch, allerdings manchmal ein bisschen arg britisch. Nicht gerade sehr funky. Ich hoffe, das macht ihm nichts aus. Er ist einfach sehr weiß.

Im Song „Brand New Set Of Rules“ beweist du ausgeprägten Familiensinn. Da lässt du zwei deiner Töchter mitsingen.

Ja, Georgia war dabei, und meine größere Tochter Lizzy.

Wollten sie oder sollten sie mitmachen?

Meine kleine Tochter Georgia wollte unbedingt mitsingen. Also sagte ich: „Okay, hier ist das Mikrophon. Kannst du huhuhuuu singen?“ (singt die Melodie). Es klappte beim ersten Mal. Sie sang zwölf Hu’s in der richtigen Tonlage. Wir mussten das Ganze aber nochmal im Studio wiederholen. Und dafür holte ich meine größere Tochter Lizzy mit dazu. Ich dachte: Eine Große und eine Kleine, das ist gut. Die Große hatte am Ende mehr Lampenfieber als die Kleine. Wahrscheinlich, weil sie älter ist. Georgia dagegen war sehr selbstsicher. Sie sagte: „Das habe ich ja in der Schule auch schon gemacht.“ Na ja, sie wollen alle mitmachen bei der Show. Bisher sind sie noch zufrieden mit ein bißchen „Huhu“.

Singt dein großer Sohn auch?

Er singt nicht gerne, schade eigentlich. Denn er hat eine sehr schöne Stimme. Aber er weigert sich. Ich glaube, das liegt daran, dass ich Sänger bin. Das ist ein Problem für ihn.

Steven Tyler von Aerosmith hat erzählt, dass seine Kinder ihn peinlich finden. Geht es dir auch so?

Oh ja, meine Kinder finden mich oft peinlich. Sie sagen: „Du hast ja total peinliche Klamotten an! In diesem Aufzug kannst du doch nicht ausgehen! So kannst du nicht zu meiner Schulvorführung kommen! Bitte zieh nicht diese Hose an.“ (lacht) Und ziehst du dann eine andere an? Das kommt drauf an. Ich sehe mich nochmal im Spiegel an, und wenn ich denke, die Kids haben Recht, dann ziehe ich mich um. Manchmal klauen meine Kinder auch die Klamotten, die angeblich so peinlich sind. Dann sehe ich sie plötzlich in genau der Hose, über die sie vorher gemotzt hatten. Oder in dem Pulli. Ich frage dann: „Ist das nicht der Pulli, den du so peinlich findest?“ Und dann sagt mein großer Sohn: Jahaa.“

Fragen dich deine Kinder nie, wann du dich endlich deinem Alter gemäß verhältst?

Nein. Ich finde, dass man sich ab einem bestimmten Alter nicht mehr wie ein Teenager benehmen sollte. Aber deshalb muss man trotzdem nicht absacken in ein Leben ohne Freude, voller Langeweile und Müdigkeit. Ich bin weiterhin an vielen Dingen interessiert. Es hilft, wenn man Kids im Teenageralter hat. Ich habe in dieser Hinsicht eh viel Glück.

Wie meinst du das?

Meine Kinder laden mich ein, mit ihnen in Clubs zu gehen. Gestern Abend zum Beispiel wollten sie, dass ich zur HipHop-Night im Cabaret mitkomme. Aber ich wollte nicht bis um fünf Uhr morgens feiern, weil ich ja heute diesen Pressetag habe. Schade, das war’s dann mit der HipHop Night im Cabaret. Ich gehe allerdings normalerweise eh lieber donnerstags ins Cabaret, weil dann dort Dancing Night ist (lacht).

Holst du dir in Clubs Anregungen für deine Songs?

Klar. Wenn ich einen tollen Sound höre, will ich auch wissen, von wem er ist. Dann muss ich jedes Mal zum DJ rüberrennen und fragen: „Wer war das?“ Je nachdem, wie weit der Weg zum DJ ist, kann das ganz schön aufreibend werden.

Ist das da an deinem Handgelenk eigentlich ein buddhistisches Armband?

Nein,das hat meine kleine Tochter gebastelt Sie hat es mir geschenkt. Und jetzt muss ich es tragen, bis es abfällt (lacht). Es ist nicht buddhistisch, sondern familiär.

Aber in Joy“ machst du dich doch im Jeep auf die Suche nach Buddha und Jesus.

Ich fand nur, dass das ein gutes Bild war. Aber auf diesem Album gibt es eine Menge spiritueller Bezüge. Sie purzelten diesmal in Massen aus mir raus. Sie kamen aus dem Unterbewußtsein. Ich konnte meiner Kreativität freien Lauf lassen.

Du meinst, ohne dass Keith über deine Schulter guckte und sich kaputtlachte?

Genau. Allerdings habe ich für die Stones ja auch schon ähnliche Songs geschrieben, beispielsweise „Saint Of Me“ vom letzten Album. Diesmal stellte ich dann aber irgendwann fest, dass ich zu viele dieser Bezüge hatte.

Wie geht es mit den Stones weiter?

Ich werde bald damit anfangen, ein paar Songs für sie zu schreiben. Ich glaube allerdings nicht, dass wir ein komplett neues Album aufnehmen werden.

Gibt es nur eine Best Of-Platte?

Wahrscheinlich, mit ein paar neuen Songs drauf.

Hast du privat Kontakt zu den anderen Stones?

Der Einzige, den ich häufig treffe, ist Ronnie. Charlie lebt im Moment sehr zurückgezogen. Keith wohnt in Connecticut. Und da gehe ich nie hin. Er geht kaum aus, reist nicht viel. Sie führen ein anderes Leben als ich.

Warum bist du von Warner zur Plattenfirma Virgin übergewechselt? Weil die Stones dort sind?

Die Leute bei der Virgin waren diejenigen mit der größten Begeisterung. Ich kenne sie ja schon und muss mit ihnen nicht nochmal die Lernphase durchmachen. Davon habe ich genügend hinter mir. Obwohl: Man muß immer wieder lernen, darum geht es ja im Leben.