Der Klangmaler


Maler und Musiker - Klaus Voormann ist beides. Und das höchst erfolgreich. Zudem entdeckte er einst die noch unbekannten Beatles und wurde ihr Freund.

EIN DORF AN DER SÜDSPITZE DES STARNBERGER SEES – auch dort, wo Bayern am schönsten ist, herrscht im Januar Tristesse in Schmutzbraun und Trübgrün. Das Sonnenlicht ist fahl, die hartgefrorenen Schneereste grau, und schon am frühen Nachmittag leuchtet aus den Fenstern elektrisches Licht. Lausig kalt ist es sowieso. Ein dick vermummtes Kind mit knallroten Wangen und laufender Nase stapft ans Gartentor und fragt den drahtigen Mann mit den schlohweißen Haaren: „Mein Luftballon ist in euren Garten geflogen, kann ich mir den wieder holen?“ Der Mann lacht: „Klar, hol‘ ihn dir!“ Gerade hat Klaus Voormann seinen VW Van in die Garage gestellt, jetzt geht er voran in die Parterrewohnung, die er zusammen mit Ehefrau Christina und den beiden Kindern Maxi (10) und Ruscha (7) bewohnt. Das Zentrum des behaglich warmen Wohnzimmers bildet ein rustikaler Holztisch. Auf Sessel und Sofa liegen schwere Decken, den Holzboden bedeckt ein alter Kelim. Der Mann, der einst die blutjungen Beatles entdeckte, lässt sich in den Sessel fallen. Er trägt ein mausgraues Swealshirt, schwarze Hosen und ein paar alte Ledergaloschen. „Ich kann diese Turnschuhe einfach nicht anhaben, schreckliche Dinger“, grinst er. Fragil wirkt der 1,76-Meter-Mann, feingliedrig, und die inzwischen 61 Jahre merkt man ihm ganz und gar nicht an. Das Gesicht ist immer noch glatt, nur von ein paar scharfen Fallen durchzogen, das gewellte Haar fein und voll. Der sauber gestutzte Bart verleiht seinem Träger eine intellektuelle Note. In der Tat: Klaus Voormann ist ein Mann des Geistes, – zu Zeiten Schöngeist, aber auch Freigeist, Nonkonformist. Einer, der nach eigenen Regeln lebt, nicht das Spiel der anderen spielt. Und etablierte Erfolgsspuren auch mal verlässt, wenn’s langweilig wird. Kein Wunder also, dass Voormann in seinem Leben in mehreren Beaifen Großes erreicht hat. Wer kann schon von sich sagen, sowohl als Grafiker wie auch als Musiker je einen Grammy gewonnen zu haben? Ersteren gab’s 1966 für sein zeitlos schön gestaltetes Cover des Beatles-Albums „Revolver“. Den zweiten Grammy bekam der Deutsche für seine Mitwirkung beim „Concert For Bangladesh“, bei dem er am 1. August 1971 neben George Harrison, Bob Dylan und Eric Clapton auf der Bühne stand.

Dabei ist Voormann alles andere als einer von der „Hoppla-jetzt-komm‘-ich“-Sorte, dem Klischee des polternden Rock’n’Rollers hat er nie entsprochen. Eher zählt er zu den Schüchternen, Verträumten. Ein Mann der leisen Töne, introvertiert und zurückhaltend. Im Gespräch strahlt Voormann entspannte Herzlichkeit aus, und bevor ihm Unbedachtes über die Lippen kommt, schweigt er lieber mal für einige Momente. Auffällig: Kein Fernseher findet sich in seinem Wohnzimmer. Was sagen denn da die Kinder? Voormann zuckt die Schultern: „Die müssen damit klarkommen. Wir haben einen kleinen Apparat, der steht gerade im Atelier. Aber keinen Kabelanschluss.

Also gibt’s nur öffentlich-rechtliches Programm.“ Soll die bonbonbunte Medienwelt ruhig draußen bleiben. Was nicht heißt, daß Voorniann etwas gegen die Moderne und ihre Maschinen hätte. Im Gegenteil, mit Bits und Bytes kennt er sich aus, längst hat er seine eigene Website ins Net gestellt.

An der Wand hängt ein großformatiges Ölgemälde. Es zeigt eine auffällig schöne junge Frau mit zarten Gesichtszügen, gekleidet im Stil der Zeit zwischen den Weltkriegen – Voormanns Mutter Ruth. Sechs Söhne gebar die Arztgattin. Klaus, der Zweitjüngste, kam am 29. April 1938. Erinnerungen an den Krieg? Voorniann erzählt: „Ich weiß noch, wie wir mitten im Winter auf dem Schulhof einer 1 litler-Rede lauschen mussten. Mit zum Hitlergruß erhobenem Arm. Es war so entsetzlich kalt, dass ich dachte, mein Arm friert ab.“ Als knapp 7-ähriger erlebt Klaus das Chaos der letzten Kriegstage. Die Familie muss das große Haus in Berlin Frohnau verlassen. Vater Maximilian, Dermatologe, bleibt in der Stadt und versorgt Verwundete. Die Mutter wird mit ihren fünf Kindern – der Älteste gilt seit der Schlacht um Stalingrad als vermisst – nach Lüchen evakuiert, einem Ort 50 Kilometer nördlich der unter Dauerbombardement liegenden Reichshauptstadt. Zwei Tage vor Klaus‘ Geburtstag erreichen die Russen das Dorf, die Familie seujt ihre Flucht zu Fuß Richtung Westen fort. Irgendjemand stiehlt die Handtasche der Mutter, darin auch die Dosierungsanleitung für die Medikamente des gerade sechs Monate alten Rolf, der an Ruhr erkrankt ist; ohne die Einnahmevorschriften sind die Medikamente wertlos. Ein fataler Verlust – das Baby stirbt wenige Tage später. Die Mutter weckt Klaus an jenem Morgen mit den Worten: „letzt bist du wieder der Kleinste.“

Nach dem Krieg bezieht die wieder vereinigte Familie ihr altes Haus im nun französisch besetzten Sektor. Klaus‘ Erziehung gerät standesgemäß großbürgerlich, die Kinder erhalten Klavierunterricht. Der Vater, selbst ein virtuoser Pianist, gibt instrumentale Nachhilfe, die Mutter erklärt den Söhnen die Werke von Tschaikowskij und Smetana. Schon mit zehn gibt Klaus, zweifellos der Begabteste der Brüder, erste Konzerte im privaten Rahmen. Eine Karriere am Klavier scheint vorgezeichnet. Doch die Eltern wollen es anders, die Aussichten als Musiker erscheinen ihnen zu unsicher. Sie entscheiden, dass Klaus, der überdies ausgezeichnet malen kann, den Beruf des Grafikers ergreifen soll. Das Gymnasium ist ihm ohnehin Quälerei: Nicht genug damit, dass er als Linkshänder „umgedreht“ wird, seine Legasthenie erschwert die Sache zusätzlich. Ein ahr vor dem Abitur wechselt Klaus auf eine Grafikschule in Berlin. Und wenig später dann, 1957, folgt der Schritt nach Hamburg. Der überaus talentierte Teenagerwechselt an die Alsterzur renommierten „Meisterschule für Gestaltung“.

Zunächst wohnt er bei seinem Lehrer Heinz „Heinter“ Kiessling, einem Freund des Vaters. Und einmal mehr zeigt sich, wie leicht es Klaus fallt, das nötige Handwerk zu erlernen – eine Veranlagung, die ihm noch oft von Nutzen sein wird. Bald gilt er als das größte Talent der Schule. Aber auch privat wird der Junge flügge, er lernt ein blondes Mädchen kennen: Astrid Kirchherr. Die zwei werden ein Paar. Und eines Abends, im Oktober 1960, kommt es zur wohl entscheidenden Begegnung im lieben der beiden Studenten. Nach einem Streit geht Klaus allein in St. Pauli spazieren: „Plötzlich hörte ich Lärm, sehr laute Musik. Sie klang gut und kam aus einem Keller.“ Neugierig geworden, traut sich der „Exi“ mit seiner braunen Wildlederjacke in die Rockerspelunke „Kaiserkeller“, wo zu diesem Zeitpunkt Rory Storni und seine Hurricanes eben jenen Lärm verursachen. Klaus setzt sich an einen Tisch, beobachtet die Szenerie. Wenige Minuten später werden Rory und seine Jungs auf der winzigen Bühne abgelöst. Die neue Band ist noch lauter, noch besser. Es sind die Beatles. Und Klaus ist erstmal sprachlos. I

Ein paar Tage später schleppt er Astrid in den „Kaiserkeller“. Der Rest ist bekannt und gehört längst zum Legendenschatz der Rockhistorie: Die Alster-Bohemiens freunden sich mit den Arbeiterjungs aus Liverpool an. Als sich Stuart Sutdiffe in Astrid verliebt und fortan in Hamburg eine Kunstschule besuchen will, wird der Posten am Beatles-Bass vakant. Klaus kauft Stuart dessen Bassgitarre ab und fragt lohn Lennon, ob er einsteigen könne. Voormann: „Die Antwort war leider Nein. Paul hatte sich entschieden, die Sache selbst zu übernehmen und schon einen Bass gekauft.“ Den berühmten Höfner-Violin-Bass.

Zwar wird Klaus kein Beatle, aber er hat Geschmack am Rock’n’Roll gefunden. Zunächst verdient er seine Brötchen jedoch noch als Grafiker bei den Zeitschriften „Hör Zu“ und „Kristall“ – „det war so eine Art ‚Paris Match‘ in schlecht“, wie er in der Rückschau schmunzelnd berlinert. Aber sein Entschluss, es mit der Musik zu versuchen, steht nun fest.

Die Rockmusik breitet sich ab 1963 wie eine Epidemie aus. Im neu eröffneten „Star Club“ auf der Reeperbahn tritt alles auf, was in der jungen Szene internationalen Rang hat – Fats Domino, Jerry Lee Lewis, Ray Charles, Little Richard und Legionen junger britischer Musiker. Dazu stoßen talentierte Einheimische. Während eines zweimonatigen Teneriffa-Aufenthaltes, wo seine Eltern ein Haus besitzen, erlernt Klaus intensiv klassische Gitarre. In netter Gesellschaft übrigens, denn neben Astrid besuchen ihn dort auch Paul, George und Ringo, die eine Auszeit von der just ausgebrochenen Beatlemania nehmen. Sie laden Klaus ein, nach London zu kommen und dort in ihrem Apartment in der Green Street zu leben. Klaus lässt sich nicht lange bitten und findet bald auch eine eigene Wohnung in der Bayswater Road. Während er versucht, sich als Grafiker zu etablieren, muss Astrid in Hamburg über den plötzlichen Tod von Stuart hinwegkommen, der im April ’62 einem Blutgerinnsel im Gehirn erlegen war. Gibson Kemp, Drummer bei Kingsize Taylor, hilft ihr dabei. Später wird er Astrid heiraten.

Eines Tages ruft Gibson Klaus in London an und bietet ihm den lob als Bassist in seiner Band The Eyes an. Kurz darauf findet sich Klaus als ein Drittel des hoffnungsvollen Trios Paddy, Klaus & Gibson unter den Fittichen von Beatles-Manager Brian Epstein wieder. Paddy, Klaus & Gibson scheitern, aber Klaus wird doch noch Popstar: Als Jack Bruce 1966 bei Manfred Mann kündigt, um Cream zu gründen, übernimmt Klaus den Job. Hits wie „Mighty Quinn“, „Ha Ha Said The Clown“ und „Fox On The Run“ fallen in seine „Amtszeit“. Eine Fotosession jagt die nächste, Interviews, Plattensessions, Tourneen. Künstlerisch jedoch bleibt das Ganze unbefriedigend. Voormann erinnert sich: „Natürlich waren wir sehr erfolgreich. Ich habe damals viel darüber gelernt, wie man eine Hitplatte macht. Aber wenn es ums Spielen ging, war diese Band schlicht und einfach schlecht.“ Konsequenterweise 1969 dann der Schnitt: Simpel-Pop ä la Mann ist kaum noch gefragt, die überschaubare Szene des Swinging London hat sich zur angloamerikanischen Subkultur entwickelt. Pop ist plötzlich progressiv, und die alte Garde dankt ab – auch die Beatles, mit denen Klaus immer noch eng befeundet ist. Künstlerisch potent wie eh, sind es die Fab Four leid, weiterhin auf die Rolle der Popgötter festgelegt zu werden. Klaus erinnert sich: „Für sie alle, vor allem für John, bedeutete die Trennung eine unglaubliche Erleichterung. Das Etikett ‚Beatles‘ hing ihnen wie ein Mühlstein am Hals, sie fühlten sich erst wieder frei, als es endlich vorbei war.“

Voormann genießt nach wie vor ihr besonderes Vertrauen. Folgerichtig zupft er bei fast allen Beatles-Soloplatten der folgenden lahre den Bass. Ausnahme: Paul McCartney – der spielt das Instrument schließlich selbst. Überall dort, wo seine zahlreichen Musikerfreunde zur Session rufen, taucht Klaus mit seinem bunt bemalten Fender-Bass auf; neben den Beatles etwa bei B.B. King, Howlin‘ Wolf, Dr. John, Harry Nilsson oder Randy Newman. Voormann: „Ich war nie einer von diesen Studiomusikern, die morgens um acht für den einen und nachmittags um drei schon für den nächsten spielten. Es war mehr so ein Ding unter Freunden. Die riefen halt an und fragten:

Hast du Zeit und Lust, vorbei zu schauen?‘ Hatte er oft. In jenen Tagen gehörten Drogen aller Art dazu, auch Voormann machte in diesem Bereich seine Erfahrungen. Allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze: „Sagen wir mal so: Ich hab’s nicht ausarten lassen. Manchmal war das auch zu meinem Nachteil, denn ich kann mich an Sessions erinnern, wo ich im Studio der einzige nüchterne Musiker war.“

1973 lässt sich Voormann im damaligen Musik-Mekka Los Angeles nieder. Längst zählt er zur handverlesenen Rockelite. Aber nach und nach verliert er den Spaß. „Früher war das ein ganz natürliches Umfeld, in den 70em hatte sich alles auseinanderdividiert: Der eine wohnte in L.A., der nächste in London; einer spielte gerade Tennis, einer war irgendwo auf Tournee, und dauernd musstest du zu irgendwelchen Parties.“ Inzwischen hat Voormann nicht nur eine feste Freundin, sondern auch einen Sohn, und er baut ein Haus auf dem Mount Washington. Sein Drang, aus dem Koffer zu leben, hält sich verständlicherweise in Grenzen. So lehnt er Ende 1976 ein Angebot von Mick Jones ab, der ihn als Bassisten für seine neue Band Foreigner anheuern will. Voormann: „Ich fragte ihn, wie oft sie touren wollten. Er antwortete: ‚Mindestens sechs Monate pro lahr.‘ Und daraufhatte ich keine Lust.“

Als dann 1979 noch seine Beziehung zerbricht, packt Voormann die Koffer und kehrt zurück nach Deutschland, wo er zunächst in Essen-Kettwig bei seinem Bruder Max unterkommt. Die Zeit in Los Angeles hat er schnell abgehakt, bitter ist ihm bis heute nur der Umstand, dass er von seinem Sohn seitdem nichts mehr gehört hat. „Das ist sehr traurig, aber leider kann ich daran nichts ändern.“ In good old Germany will Voormann auf die andere Seite des Zaunes wechseln, bei einer Plattenfirma arbeiten. „Ich kannte all diese tollen Typen von den amerikanischen Firmen, Lou Adler, Lenny Waronker, Russ Titelman. Und so stellte ich mir auch die Firmen in Deutschland vor. Ich wollte als Bindeglied zwischen Künstler und Firma agieren, denn das empfand ich immer als Riesenkluft.“ Er heuert bei Phonogram an – und stolpert schon bald über Trio, mit deren Single „Da Da Da“ er prompt einen Monsterhit landet. „Trio war

eine richtig gute Band, vor allem live. Und sie wussten sehr genau, was sie wollten,“ berichtet er noch heute voller Bewunderung. Die Neue Deutsche Welle, Ideal, Rheingold, Foyer Des Arts – all das begeistert ihn, Voormann glaubt, dass der deutsche Pop seine lahrzehnte währende Lethargie überwunden hat. Zu seiner weiteren Kundschaft gehören der junge Heinz Rudolf Kunze, Joachim Witt, der völlig unbekannte Wigald Boning sowie Westernhagen, für dessen „Stinker“-Produktion Voormann noch einmal den Bass umschnallt. Bei dieser Session trifft er auch eine Sängerin, die ihm über die lahre immer wieder begegnet: Christina Harrison. Sie sollte 1990 seine Ehefrau werden.

An der Ostsee kauft sich Voormann Ende der 80er Jahre ein altes Hotel, das Plattengeschäft lässt ihn zunehmend kalt: „Ich hatte einfach keinen Ehrgeiz mehr.“ Noch heute spürt man in seinen Worten, wie sehr ihm Intrigantentum und Speichelleckerei der Plattenbranche zuwider waren. Er besinnt sich wieder aufsein anderes Standbein, das des bildenden Künstlers. In jenen Tagen schon, zu Beginn der 90er lahre, reift die Idee zu „Hamburg Days“ (siehe Seile 82). Vorher jedoch erledigt er die Arbeit am Cover der Beatles-Trilogie „Anthology“. Dabei bekommt Voormann diesen Auftrag nicht per Vitamin B – er muss sich mit seinen Entwürfen gegen sieben Mitbewerber durchsetzen. Heute hängt das Originalgemälde in der Londoner EMI-Zentrale.

Das Leben von Klaus Voormann scheint sich in Zehn-lahres-Schritten zu vollziehen: 1960 die Begegnung mit den Beatles, 1970 der Aufstieg in die Superstar-Liga des Rock, 1979 das Ende der Musikerkarriere, Rückkehr nach Deutschland und Arbeit als Produzent und Talentscout; Ende der 80er Jahre der Ausstieg aus dem Popgeschäft und die Konzentration auf Familie und Malerei. Was kommt als nächstes, Klaus? Mit schlanken Fingern zupft er ein paar Noten auf seiner alten Gibson-Gitarre. Und murmelt gedankenverloren: „Ich war schon immer ein Träumer. Als Kind konnte ich minutenlang am Swimming Pool stehen und ins Wasser starren. Das war schon immer so, und das wird wohl auch so bleiben.“ Man möchte anfügen: Geschäftemacher haben wir ohnehin schon genug.