Dick Leahy: Life is a ghetto


Eine passendere Adresse hatte sich Dick Leahy nicht aussuchen können: Das Office des jungen Londoner Labels Ghetto Records findet sich in der Star Street No. 1 mitten in der Londoner City. Ein gutes Omen, findet ME/Sounds-Redakteur Manfred Gillig, für einen Trip ins neue musikalische Ghetto.

Der graumelierte Gentleman schmaucht an seiner dicken Havanna und fläzt sich stolz auf sein bequemes Sofa: „Jahrelang habe ich nach einem solchen Haus gesucht. Bis dieses ehemalige Postamt zum Verkauf angeboten wurde. Da schlug ich sofort zu.“ In den oberen Etagen der Immobilie installierte Leahy seinen Musikverlag. In diesen Räumen fließen die Tantiemen reichlich, denn Leahy verwaltet die Rechte von George Michael.

Im Keller seines Headquarters frönt der 52jährige Leahy. der in den 60er Jahren unter anderem Manfred Mann und die Troggs betreute und in den Siebzigern mit Gary Glitter zusammenarbeitete, seiner einzigen wahren Leidenschaft: Mit seinem Partner Paul Kinder (33) und mit drei weiteren Mitarbeitern betreibt er Ghetto Records, ein kleines, aber feines junges Plattenlabel.“.Paul und ich haben die Firma zusammen gegründet, und wir wollen nur Platten von Musikern veröffentlichen, die wir wirklich gut finden. Die werden wir dann auch hartnackig fördern, selbst wenn es ein paar Jahre dauert, bis sie sich durchsetzen. „

Leahy. der es aufgrund seines millionenschweren Kontos eigentlich längst nicht mehr nötig hätte, sich um den mittellosen Nachwuchs zu kümmern, hat, so sagt er, „mit Ghetto Records eine Aufgabe gefunden, die eine Herausforderung an meinen guten Geschmack darstellt und zugleich mehr Spaß macht als lediglich die Millionenseller von George Michael zu verwalten“.

Künstlerischer Kopf des Ghettos ist freilich Paul Kinder. Dessen Stilbewußtsein zeigt sich in jedem Detail der wenigen Platten, die Ghetto bisher veröffentlicht hat. Der mediterran aussehende Typ mit der tiefen Stimme zeichnete in den frühen 80er Jahren für das legendäre Compact-Label verantwortlich. Mit Mary Wilson, der britischen Konigin der blonden Turmfrisur, rollte Kinders Compact-Organisation sogar die Hitparaden auf. „Dummerweise trieb mich ausgerechnet dieser Erfolg in den Ruin, weil ich nicht genug Kapital hatte, um die Organisation von Mans Karriere zu finanzieren.“

Über Kapital vertugen Kinder und Leahy jetzt genug. Das versetzt sie in die glückliche Lage, die Ghetto-Künstler mit Ausdauer zu fördern. Beispielsweise die Gruppe Shack aus Liverpool, deren soeben erschienenes Album ZILCH im MÜV recht gut abschneidet. Hinter Shack verbergen sich die sympathischen Brüder John und Michael Head. manchem treuen Fan noch von ihrer früheren Band, den Pale Fountains, her bekannt.

„ZILCH war das allererste Ghetto-Album“, rekapituliert Michael Head im dicksten und unverständlichsten Liverpool-Slang. „In England übernahm CBS den Vertrieb, und das war das reinste Desaster. Nicht einmal in Liverpool stand die Platte in den Läden.“ Dick Leahy zog daraus die Konsequenzen: Jetzt macht Rough Trade in Großbritannien den Job, in Deutschland ist es Intercord. Ghetto-Platten brauchen einen liebevollen Independent-Vertrieb, während George Michaels einstiger Wham!-Partner A ndrew Ridgeley mit seinem ersten Solo-Album sicher besser bei CBS aufgehoben ist. „

Und schon gerät Leahv ins Schwärmen über seinen prominenten Schützling Ridgeley, dessen Werke er ebenfalls im eigenen Musikverlag betreut.

Nicht minder begeistert zeigen sich Leahy und Kinder indes von den Distant Cousins aus Manchester. Dieses jazzige Trio um die stimmgewaltige Sängerin Doreen Edwards, die früher mit Simply Red, OMD und Black arbeitete, hat mit DISTANT COUSINS eine der schönsten Platten des Jahres 1989 aufgenommen. Sogar ein 20köpfiges Kammerorchester fügt sich in die plüschigen Arrangements der Songs, ohne den Süßstoffgehalt in unerträgliche Bereiche zu treiben.

„Wir haben trotzdem versucht, sehr filigran zu arbeiten“, betont Gitarrist Neil Fitzpatrick, der wie Drummer Snuff aus der Jazz-Szene von Manchester kommt. „Deshalb spiele ich in vielen Songs eine akustische Gitarre, was reizvolle Kontraste beispielsweise zum Saxophon ergibt. „

Auch das Album CLOUDCUK-KOOLAND von The Lightning Seeds ist ganz und gar nicht von schlechten Eltern, was seine Plazierung auf dem zweiten Rang im Januar-MÜV von ME/Sounds belegt. Hinter dem Wolkenkuckucksheim-Projekt verbirgt sich lan Broudie. ein schmächtiger, pilzköpfiger Brillenträger aus Liverpool, der wie eine schüchterne Kreuzung aus Woody Allen und Buddy Holly wirkt und bisher in erster Linie als Produzent für Echo And The Bunnymen, The Fall und Icicle Works arbeitete. Broudie gibt sich im Gespräch unsicher: „Ich nannte das Projekt The Lightning Seeds, weil ich hoffe, daß daraus noch mal eine richtige Gruppe entsteht. Das wäre mir lieber, denn dann müßte ich nicht immer im Mittelpunkt stehen. „Es sieht indes nicht so aus, als könnte sich Ian in Zukunft tatsächlich aus dem Rampenlicht stehlen. Sein Förderer Dick Leahy. der als nächste Ghetto-Produktion schon ein Solo-Album von Kevin Hopper, des ehemaligen Bassisten der Gruppe Stump, im Kasten hat, sieht das schon ganz richtig: Jan hat die größten Chancen. Außerdem heißt es ja: Life is a ghetto. Da können wir doch nicht mehr scheitern. „