Der geschmolzene Eisberg


He's Coming home: Fünf Jahre nach dem Tilt seiner Lightning Seeds kehrt lan Broudie mit einem Songwriter-Album zurück.

Ian Broudie ist verantwortlich für den vielleicht meist mitgesungenen Mitsing-Refrain der 90er. „Three Lions“, der Schunkel-Shanty {„it’s coming home, it’s coming home!“), den Broudie als Support-Hymne für das englische Team bei der Fußball-EM 1996 zu einem Text der Comedians Baddiel & Skinner schrieb und produzierte, ist als modernes Traditional in die Breiten-Popkultur eingebrannt. Als „Segen und Fluch „bezeichnet Broudie, 46, heute das Lied, dessen wilde Popularität viele Feinheiten ausblendete, die seine Band (faktisch ein Soloprojekt) Lightning Seeds auszeichneten. In Großbritannien hatten die Seeds in den 9oern eine Reihe Hits – in kleinerem Umfang auch auf dem Festland, wo man nicht ganz so konnte mit ihrem hyperpolierten Pop, den ein Songtitel vom großartigen göer-Album dizzy heights treffend beschreibt, „Sugar Coated Iceberg“: zuckersüß, glitzernd-glatt und immer etwas kühl.

„Lightning Seeds basierte auf einer spezifischen Pop-Art-Idee von mir“, sagt Broudie, „wie die Campbell-Suppendosen von Andy Warhol: Lighting Seeds sollte das musikalische Äquivalent dazu sein. Gute, pralle Popsongs. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass es fast zehn Jahre dauern würde.“ Ende der 90er schwenkte der britische Mainstream nach den güldenen Britpop-Jahren auf die heranrollende Boygroup/ Trashpop-Welle um; Broudie fühlte sich in dieser Umgebung zunehmend unwohl und fehl am Platz.

„Man hört, dass ich versuchte, etwas anderes zu machen. Aber nicht wusste, was“, sagt Broudie über das unentschlossene Album Tilt, nach dessen Flop er 1999 das Projekt Lightning Seeds beendete. „Wenn man in einer Band ist, verliert man das Gefühl dafür, was man mag. Weil man sein eigenes Ding macht, jetzt fragte ich mich: Was gefällt mir?“ Es gefielen ihm (wieder) Byrds, Gram Parson, Brian Wilson; er entdeckte die American Recordings von Johnny Cash. Und er hörte neue Bands in seiner Heimat Liverpool, wo es ihn aus London jetzt wieder öfter hinzog und wo er zwei der besten neuen englischen Bands aus ihren Proberäumen zerrte: Broudie hat alle bisherigen Alben von The Coral und den Zutons produziert. Die Arbeit mit diesen jungen Hungrigen weckte in Broudie Lust, nach fünf Jahren Absenz als Songwriter wieder ein eigenes Album zu machen.

Und hier ist Tales Told, ein recht anderes Paar Schuhe als die Lightning Seeds. Der Zuckerguss ist weg, der Eisberg geschmolzen und funkelt jetzt als Bächlein in einer englischen Spätsommerlandschaft vor dem Cottage vorbei. Broudies erstes Album unter eigenem Namen ist das am organischsten klingende, das er je gemacht hat, beinflusst von den „klassischen“ US -Songwritern und angehaucht von den „düstereren Sachen“, mit denen Broudie in den 7oern als Mitglied der Postpunker Big In Japan und in den 8oern als Sideman/Produzent von Echo &.The Bunnymen anfing.

„Was ich an den .American Recordings‘-Alben so großartig finde, ist der unverfälschte, direkte Sound“, sagt Broudie. An einer solchen Produktion ohne Pro-Tools-und Kompressor-Sperenzchen versuchte er sich bei der Arbeit mit The Coral und mit den Zutons und dann auf seinem eigenen Album. „Tales Told is far more me making an album than me having an idea about making music. Sogar mein Gesang klingt mehr wie meine Sprechstimme. Früher habe ich versucht, irgendwie anders zu klingen, so viel wie möglich zwischen mich und den Hörer zu packen. Weil ich nervös war. jetzt wollte ich so wenig zwischen mir und dem Hörer, wie es nur ging.“ Der Titel Tales Told ist eine Anspielung auf „Telling Tales“, den letzten Song des erfolgreichsten Seeds-Albums Jollyfication (1994).

„Telling Tales kam mir immer wie ein unvollendeter Song vor. Wie ein halber Song, zu dem ich den Schluss nicht wusste. Jetzt habe ich den Schluss gefunden.“

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