Die Goldenen Zitronen


Von den goldenen Zeiten des Blödel-Punk wollen sie nichts mehr wissen. Als letzte Kreuzritter der Unabhängigkeit machen die vier Hamburger Front gegen die Industrie und singen für die Hafenstraße. ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer ließ sich die Revolution erklären.

Es ist zwölf Uhr mittags. Ted. die Rock „n“ Roll-Fraktion der Goldenen Zitronen, schlürft Eier im Glas. Eiweiß gibt Kraft: Nach dem dritten Löffel Glibber bricht der Kämpfer in ihm durch und die spitzen Koteletten beben: „Wir würden niemals Geld für einen Fußballverein sammeln. Wenn schon guter Zweck, dann würden wir Waffen nach Nicaragua schicken, das haben wir auch schon gemacht.“

Schorsch nickt eifrig kauend mit dem gelb-blond gefärbten Strubbelkopf. Und kaum runtergeschluckt, steigt er aufgeregt in die politische Gesprächsrunde ein: „Wir hatten unsere ersten Auftritte in der Hafen-Straße, und wir fühlen uns moralisch und politisch voll der extrem linken Ecke zugehörig.“ Boris Becker müßte vor ihnen auf die Knie fallen.

Deutscher Punk ist Rotzgören-Musik. Kleine Jungs und kleine Mädchen in großen Schuhen, deren radikalstes Verhaltensmerkmal ihr zügelloser Bierkonsum ist. Solche Fans wollen Spaß, keine Ideologien. Schorsch und Ted verziehen ob dieser Beurteilung angesäuert die Gesichter – kalter Kaffee …: „Wir sind keine Fun-Punk-Band, das sind wir noch nie gewesen! Was in Deutschland unter Fun-Punk läuft, gehört ernsthaft in die Bierzelte. Wir wollten diesen Säuferkult immer nur persiflieren. Das hat bloß keiner verstanden. Wir sind irrtümlich berühmt geworden. „

Falsch. Die Zitronen wurden „berühmt“, weil sie der Republik den musikalischen Kalauer des Jahres 1986 lieferten: „Der Tag als Thomas Anders starb“ – hart aber (image)gerecht. Ganz wie sich das für eine heitere Band des Bremer „Weserlabels“, der Renommierfirma für Musik der Marke laut und lustig, gehört. „Genau!“ Schorsch stellt mit Entschiedenheit seine Kaffeetasse ab. „Deswegen haben wir ja für die neue LP das Label gewechselt. Wir wollen nicht mehr von vorneherein eingeordnet werden. „

FUCK YOU ist der stimmungsvolle Titel ihrer jüngsten Veröffentlichung, auf dem Cover verspeisen die fünf Musiker mit grimmigen Gesichtern Platten namhafter Industriefirmen. Erschienen ist das Produkt beim Berliner Indie-Betrieb Vielklang. Ted gähnt gelangweilt: „Naja, wir hatten von allen Majors schon mal Angebote, teilweise ganz konkrete, 5-Jahres-Verträge mit drei Optionen und so. „

Doch für die Zitronen ist das BRAVO-Poster an der Jugendzimmerwand neben Industriekollegen wie den Toten Hosen oder den Abstürzenden Brieftauben nicht das erklärte Klassenziel. „Wir wollen gar nicht berühmt werden. „Ted wird trotzig. Für die Vorreiter aus der deutschen Punkszene, die sich ihre Sixpacks mittlerweile von der Großindustrie bezahlen lassen, hat er wenig Verständnis. “ Für mich sind da einige schon sehr unglaubwürdig geworden. Wir sind zwar mit fast allen noch befreundet, aber das spielt sich auf einer rein privaten Ebene ab.“

Dabei könnte Ted mit seinem Hobbyvortrag über den Verrat der Ideologie durch die Industrie gute Überzeugungsarbeit leisten: „Die Industrie verfolgt eine radikal kapitalistische, aggressive Marktpolitik. Dort arbeiten teilweise Leute, mit denen möchte ich nicht mal in derselben Kneipe sitzen. Ich will nicht, daß meine Platte den Kunden überall aufgeschwatzt wird, daß man an keiner Plakatwand vorbeilaufen kann, ohne darauf hingewiesen zu werden, daß diese Platte zu kaufen ist. Das ist Terror – die Leute sollen unsere Musik freiwillig hören.“

Ted holt Luft, Schorsch lacht „Meine Güte, wie das alles klingt. Wir sind jetzt ernsthaft, bla hla. Egal, wir lernen uns zu äußern, ohne daß es peinlich wird. Und zwar nicht Händchen haltend mit Grönemever in Wakkersdorf. Bei so was spielen wir nicht mit. Lieber singe ich Alles, was ich will, ist nur die Regierung stürzen‘ und habe meinen Spaß dabei.“