Die Reklamation


Schluß mit der Zukunft!

Als ich Wein war, wünschte ich mir-. Wenn ich eines Tages stürbe, müßten die Menschen zuvorversprechen, nichts Neues mehr zu erfinden; das Schlimmste am Sterben war, daß man so viel verpaßte. Die Zukunft -ein leuchtendes Versprechen (Alles wird besser!), illustriert mit Bildern, auf denen Menschen in silbrig schimmernden Röhren durch einen strahlenden Hochhausverhau schwebten. Wo die Menschen da in derZukunft hinschweben würden, wußte keiner. Man schwebte eben herum und war zukünftig. Ein Paradies, in dem Musik mit Hilfe phantastischer Maschinen hergestellt würde. Ein paar davon gab es schon, die klangen in der Tat futuristisch: Das Börpen und Zirpen des Moog-Synthesizers korrespondierte feinst mit „2001 – Odyssee im Weltraum“, „Enterprise“ und „UFO“. Dann kam die große Sackgasse. Das Weltall wurde zum Wirtschaftsraum, Sampler sorgten dafür, daß alle Geräusche derWelt reproduziert werden konnten – aber Welt und Geräusche gab es ja schon. Mit der CD wurde die Musik aller Vergangenheiten wieder verfügbar und hängte allem „Neuen“ den „Klingt ja wie“-Vorwurf an den Hals. Was sollte da noch kommen? Was Altes, was wir vergessen haben? Wir können ja nichts mehr vergessen! Und im Gegensatz zu Brot und Bier wird Pop auch nicht schlecht, zumindest nicht automatisch. Erstaunt stellt man rückblickend fest: Um die Zukunft ist es überhaupt nie gegangen. In Wirklichkeit haben popmusikalische Bemühungen stets der Gegenwart gegolten. Bowie war kein Außerirdischer, sondern ein Folk-Hippie; Roxy kamen nichtvon den Galaxien, sondern von der Uni, wo sie Kunst und Kultur der Vergangenheit studiert hatten-, Wire setzten El-Lissitzki in Töne um. Diese Erkenntnis machte nichts daran schlechter, im Gegenteil. Aber immer noch tönt das Gerede von der „Zukunft“ durchs Pop- wie durchs Politgeschäft; immer noch trommeln Marketinger mit Vokabeln wie „nie dagewesen“, „zukunftsweisend“ etc. um ein Publikum, das um jeden Preis „zukunftsfähig“ sein soll, obwohl es längst eingesehen hat, daß es in der Gegenwart lebt und die Zukunft im Zweifelsfall hinter dem Friedhofstor liegt. Kann damit nicht endlich mal Ruhe sein, damit wirdas Heutegenießen können, ohne ständig daran denken zu müssen, daß es morgen schon vorbei ist?