Die Spaßgesellschaft


Here we stand heißt ihr neues Werk. Doch von Stillstand keine Spur: The Fratellis haben sich emanzipiert. Hymnen für den Spielfeldrand sind zwar kein Thema mehr, Spaß machen aber auch die neuen Songs.

Es ist eines dieser austauschbaren Hotelzimmer, die überall auf der Welt gleich aussehen. Doch dieses hier befindet sich im Londoner Stadtteil Camden. Ein Glastisch. Eine große Couch. Darauf sitzen Sänger Jon und Bassist Barry. Mince, der Drummer, hat es nicht zum Interview geschafft, er steckt im Stau fest. Barry trägt ein ausgewaschenes Led-Zeppelin-Shirt. Jon nippt an seinem Whisky-Cola und klärt uns in scheinbar vokallosem schottischem Akzent über den tieferen Sinn des Albumtitels auf: „Hier stehen wir und sind stolz darauf. Denn wir stehen genau dort, wo wir stehen wollen.“ Stolz sind die Fratellis darauf, dass here we stand im Alleingang entstanden ist, aufgenommen im eigenen Studio in Glasgow und ohne fremden Produzenten. Für ein paar Monate über den Jahreswechsel hinweg hatten sie sich in Klausur begeben, weg von allem, voll konzentriert: „Wir haben uns weiterentwickelt.“ Ein Prozess, der auf dem Nachfolger des Millionensellers costello music festgehalten werden sollte. „Deswegen heißt unser neues Album here we stand“ erklärt Jon selbstsicher, „und ihr müsst euch mit uns und diesem Album abfinden.“

Zur Erinnerung: Bisher lief bei Jon, Mince und Barry Fratelli alles rasend schnell. Laut Gründungsmythos war es Mince Fratelli, der mit einem charmant größenwahnsinnigen Aushang in einem Glasgower Plattenladen die musikalische Weltherrschaft einforderte und dafür die passende Band suchte. Die war schnell gefunden. Mince und Barry hatten bereits Banderfahrung, Jon indes konnte sich bislang nie von der Bettkante losreißen, auf der er sitzend das Gitarrenspiel übte. Von der Bandgründung im Frühjahr 2005 bis zum Plattendeal nach nur neun Auftritten ist der Weg der Fratellis nicht gerade lang und steinig. Manager Tony Fratelli katapultiert die Band direkt aus Mc-Chuills Bar in die große, weite Welt. Die erste EP wird im April 2006 veröffentlicht, ein Artikel im NME, der die Fratellis als „best new band in Britain“ ausweist, folgt auf den Fuß. Im September 2006 erscheint dann das Debütalbum costello music, springt auf Platz 2 der britischen Albumcharts, und alles ist geritzt: BBC Radio 1 kürt die Band zum „Best British Breakthrough Act 2007“, ihr Song „Flathead“ läuft in der iPod-Werbung, und alle fragen sich, wie dieser rasante Aufstieg nur möglich sein konnte. Die Antwort darauf hat vor allem mit Musik zu tun: Bei den Fratellis 2006 pumpt alles, stampft alles, schwitzt alles; die Hooks geraten wunderbar direkt, die Mitgröl-Chöre sind mitreißender als jede Fußballhymne. Auch die Pin-Up-Ästhetik der Artworks passt zu diesem zwar nicht gerade subtilen, dafür aber ziemlich lebensprallen Image. Drei unkomplizierte schottische Lads eben, mit einem ausgeprägten Sinn für alles, was Spaß macht. Die erste Single „Henrietta“ erscheint pünktlich zur Fußball-WM: bierseliger Indie-Rock, der den leidgeprüften britischen Fans zumindest musikalisch Anlass zum Jubel gibt. Die Euphorie hält bis heute an, und wenn die Fratellis auf der Bühne stehen, gehören Bierduschen zum Ritual. Beim Konzert am Interviewtag im Rahmen des Camden Crawl Festivals braucht es nur die ersten Töne ihres Überhits „Chelsea Dagger“, und Dutzende halb volle Bierbecher fliegen aus Lad-Händen an die Decke. So könnte es doch ewig weitergehen, oder?

jon fratelli: Dieses Lad-Rock-Dingist doch längst auf dem Rückzug! Wir haben uns total verändert, ich erkenne die Band vom ersten Album nicht mehr wieder, here we stand ist wesentlich härter.

War diese Veränderung gewollt oder eher zufällig?

Barry fratelli: Wenn du deine Musik wirklich ernst nimmst, ist es ganz normal, sich mit jedem neuen Album zu verändern. jon fratelli (unterbricht ihn): Man muss versuchen, sich auf jeder Platte neu zu erfinden. Wenn du an einem neuen Album arbeitest, das so klingt wie der Vorgänger, macht das einfach keinen Spaß.

Ist das auch der Grund dafür, warum ihr nicht wieder in die USA zu Produzent Tony Hoffer gegangen seid?

beide: Yeah.

barry fratelli (beugt sich nach vorne): Viele Bands versuchen, auf Nummer sicher zu gehen. Das ist auch völlig legitim, sofern man keinen Wert darauf legt, sich künstlerisch zu befreien. jon fratelli: Wir haben here we stand ohne Netz und doppelten Boden aufgenommen. Wir waren allein, kamen ohne Produzenten aus. Zudem hatten wir dieses neue Studio in Glasgow bauen lassen, von dem wir nicht wussten, wie es klingen würde. Es hätte auch alles in einer verdammten Katastrophe enden können. Aber wir sind eben die einzigen, die die Eier haben, eine derartige Platte zu machen. Wir haben in der Vergangenheit alle anderen Bands weggeblasen und werden es wieder tun.

Am Ende lief dann alles wie geschmiert, und eine Katastrophe ist here we stand wohl nur für jene Zeitgenossen, die Musik nach einem einzigen Kriterium bewerten: der Anzahl der Singalong-Chöre. Strotzte costello music noch vor lautmalerischen Doo-Wop-Attacken, sucht man dergleichen auf here we stand vergeblich. Es scheint, als wehre sich die Band gegen das Fußballfan-Image und die Stigmatisierung als kernige, aber letztlich kaum ernst zu nehmende Spaßrocker. Was ein Problem werden könnte, denn besagte Zeilen voncosTELLO music konnte man sich immerhin noch bei 2,2 Promille merken. Und aus voller Kehle mitgrölen.

Doch Spaß machen auch die neuen Songs: Der Album-Opener“My Friend John“ etwa beginnt mit feisten Riffs, pendelt sich dann aber schnell in den tanzbaren Fratellis-Sound ein. Dann folgt „A Heady Tale“, eine fast fünf Minuten lange Nummer, die entfernt an den klassischen Rock eines Bruce Springsteen erinnert. Neu ist, wie sich das Piano im Laufe des Songs als Rhythmusgeber aufspielt, vom Glissando über die Tastatur ganz zu schweigen. Gewiss ist die Musik auf here we stand ausgefeilter, eine revolutionäre Abkehr vom Debüt ist sie dennoch nicht. Das belegen Stampfrocker wie das starke „Tell Me A Lie“ und „Shameless“ sowie die erste Single-Auskopplung: „Mistress Mable“ peitscht sich mit stakkatohaftem Pianospiel in dreieinhalb Minuten selbst nach vorn und haut diesen einen Satz raus, den dann doch wieder alle mitsingen können: „Mistress Mable, will you marry me?/ I’m unable to take you seriously.“

Der klassische Rock-Einfluss geht vor allem auf Jon zurück, der steht auf The Beatles, T-Rex und The Clash: „Ich wurde 1979 geboren, London calling wurde 1979 veröffentlicht. Darauf war ich schon immer lächerlich stolz.“ Während er sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht wischt, fügt er hinzu: „Wir haben noch keinen Klassiker veröffentlicht, aber das neue Album geht in die richtige Richtung. The Fratellis stehen unter einem guten Stern, das habe ich im Gefühl.“

Die Texte des ersten Albums behandelten klassische Boymeets-girl-Sujets, abgeschmeckt mit einem Schuss Alkohol. Die Band beschwor den Hedonismus jedoch stets mit einer Naivität, die man nur dann an den Tag legen kann, wenn man noch nicht über eine Million Platten verkauft hat. Das war nicht nur charmant, sondern teilweise auch noch schön knackig formuliert. Man erinnere sich nur an den Song „Country Boys & City Girls“ und die Zeile: „You know we country boys are only after sex and noise.“ Womit sich natürlich die Frage aufdrängt, ob ein schottischer Countryboy nach zwei Jahren Rockstardasein andere Wünsche hat … jon fratelli: Die Texte auf unserem ersten Album hatten mit der Realität sehr wenig zu tun. Die neue Platte ist definitiv wahrhaftiger. Ein Song wie „Look Out Sunshine“ zum Beispiel.

Darin heißt es:“I am much too lazy to change. Klingt wie die Auseinandersetzung mit fremden Erwartungshaltungen … jon fratelli: Ehrlich gesagt, hängen mir diese ganzen Bands zum Hals raus, die wieder und wieder Alben aufnehmen, auf denen es hauptsächlich um Alkohol geht und darum, sich mit den Kumpels im Park zu treffen. Dieses Thema ist doch so was von ausgelutscht. Die sollten einfach nach Hause gehen und sich verdammt noch mal ein paar neue Gedanken machen.

Trotzdem: Wie steht es denn nun mit Sex und Noise? barry fratelli (lacht): Ich bin gerade wieder aufs Land gezogen, bin also wieder ein echter Countryboy… jon fratelli: Sex und Lärm sind toll, aber letztlich haben wir nur ein bisschen gereimt. Es stimmt aber wirklich, Landjungs wollen nur Sex und laute Musik… und einen starken Traktor. >» www.fratellis.com>» albumkritik s. 78