Dirty work


The Rolling Stones

The Singles 1971-2006 45 x 45s

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Universal

Rock: Mit einer 45-CD-Box versüßen sich die Rolling Stones den Vorruhestand.

Böse Zungen behaupten: Mit Goats Head Soup hätten die Rolling Stones 1973 den künstlerischen Zenit erreicht. Was danach folgte, sei nur noch ein Sammelsurium aus Repetition, Selbstzitat, Routine und Langeweile. Wohlwollendere Zeitgenossen datieren den Karriere-Backlash der ältesten aktiven britischen Rockband auf 1981 (Tattoo You). Die harten Fans wollen von all dem nichts wissen, und für eben jene ist diese Box gemacht. In Sachen trickreichem Marketing haben die Stones längst die höheren Weihen erreicht. In schöner Regelmäßigkeit werfen sie Luxus-Editionen auf den Markt mit hinlänglich bekanntem Material in zumeist mehreren kostspieligen Formaten.

Auch The Singles 1971-2006 45 x 45s lässt sich der Vermarktung von Material von vorvorgestern zuordnen – und bildet doch die Ausnahme. Von insgesamt 173 Tracks dürften immerhin rund 80 anderweitig nicht zu haben zu sein. Zumindest nicht legal. Allerdings wird auch hier ein wenig gemogelt: Puristen rümpfen garantiert die Nase – die 45 x 45s in zum Teil exotischen Originalhüllen aus aller Herren Länder sind CDs und nicht die für Sammler wesentlich interessanteren 7-Inch-Vinyle. Los geht’s mit „Brown Sugar“ aus dem Jahre 1971 und den B-Seiten „Bitch“ (vom Album Sticky Fingers) und Chuck Berrys „Let It Rock“, einem Konzertmitschnitt aus Leeds, der in Deutschland damals nur auf einer Benefiz-Single des Drogenprojekts Release zu haben war. Aus derselben Ära stammen mehrere nur in den USA aufgelegte Singles: „Wild Horses“ / „Sway“, „Happy“ / „All Down The Line“ und „Doo Doo Doo Doo (Heartbreaker)“ / „Dancing With Mr D“ – Songs, die noch immer zu den Konzertfavoriten der Stones zählen. Ziemlich selten: die Rückseite von „It’s Only Rock’n’Roll“: „Through The Lonely Night“ gab es seinerzeit nur auf Single. Im Ausnahmezustand – Gitarrist Mick Taylor trennte sich 1974 von den Stones, weil ihm von Mick Jagger und Keith Richards wiederholt die Songwritercredits verweigert wurden – entstanden die Songs von Black And Blue: „Fool Too Cry“, „Crazy Mama“ und „Hot Stuff“. Gleich vier Auskoppelungen liefert 1978 die zeitgeistige Runderneuerung Some Girls: Mick Jaggers Lieblingsnachtclub in New York, Studio 54, lässt im Tanzflächenfüller „Miss You“ grüßen. Reminiszenzen ans Country-Genre gibt „Far Away Eyes“. Subtil der Mid-Tempo-Rock von „Beast Of Burden“. Zu gewollt hingegen die Punk-Attitüde beim Bianca-Jagger-Bashing „Respectable“, in „When The Whip Comes Down“ und der New Yorker Innenansicht „Shattered“. Ordentlich gefunkt wird auf „Everything’s Turning To Gold“, einer weiteren B-Seiten-Rarität. Einmal mehr im Discotümpel watet der Titelsong von Emotional Rescue von 1980 und „Down In The Hole“ ist ein astreiner Depri-Blues. Ausschließlich aufgepepptes Archivmaterial der Siebzigerjahre mit zum Teil noch Mick Taylor an der Gitarre findet sich auf Tattoo You. „Start Me Up“ und „Waiting On A Friend“ entwickeln sich zu Evergreens. Atypisch: „No Use In Crying“. Keith Richards „Little T & A“ wäre gerne so unbeschwert wie einst „Happy“. Übliche Stones-Meterware gibt es mit „Hang Fire“ und „Neighbours“. Von diversen Mitschnitten auf Still Life (American Concert 1981) lohnen nur Smokey Robinson & The Miracles‘ „Going To A Go Go“ und Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“.

In den Achtzigern fielen die Stones auf modischen Schnickschnack wie 12-Inch-Remixe, Sampling und pompöse Überproduktion herein, dazu kam ein hartnäckiger Streit zwischen Jagger und Richards. Seinen Anfang nahm er 1983 mit Undercover, als Jagger bei „Undercover Of The Night“, „She Was Hot“, „All The Way Down“ und „Too Tough“ auf „zeitgemäßen“ Sound drängte, aber leider nicht auf die Idee kam, die wesentlich cooleren Titel „Too Much Blood“ und „Pretty Beat Up“ auszukoppeln. Ein Riss tat sich 1986 bei Dirty Work auf: Jagger zeigte zwischen zwei eher lauen Soloproduktionen kreatives Desinteresse, das sich in der Notgemeinschaft Keith Richards und Ron Wood kompensierte: Bob & Earls fabelhafter Soul-Swing „Harlem Shuffle“ ergänzte sich mit den aufs Korn genommenen Streitereien „Fight“, „Had It With You“ und „One Hit (To The Body)“. Zur geschäftlichen, aber nicht privaten Aussöhnung zwischen den Glimmer Twins, wie Richards in seiner Autobiografie „Life“ verrät, kam es 1989 mit Steel Wheels: Solide, aber nicht innovativ gerieten die mit Outtakes, Single-Only-Tracks und Live-Mitschnitten gekoppelten 7- und 12-Inch-Mixe von „Mixed Emotions“, „Rock And A Hard Place“, „Almost Hear You Sigh“ und „Terrifying“. Dasselbe Muster wurde fünf Jahre später auf Voodoo Lounge angewendet. Immerhin gelang den Stones mit „Love Is Strong“ mal wieder ein Rock-Klassiker, der auf der Single mit dem vorzüglichen Blues „The Storm“ gekoppelt wurde. Nicht ganz so kraftvoll, aber annehmbar: „You Got Me Rocking“, „Out Of Tears“, „I Go Wild“ und „Sparks Will Fly“. Ausgerechnet Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ pushte 1995 das Akustik-Live-Set Stripped. Nicht ohne Süffisanz geriet zwei Jahre später das 21. Studiowerk Bridges To Babylon mit den Singles „Saint Of Me“, „Out Of Control“ und „Anybody Seen My Baby“. Bei Letzterem mussten Jagger/Richards die Autorenschaft nachträglich mit K.D. Lang und Ben Mink teilen – der Refrain klang allzu sehr nach Langs „Constant Craving“. 2005 dann das bislang letzte Studioalbum: A Bigger Bang – ganz ordentlich zwar, aber sicherlich kein musikalischer Urknall. An „Don’t Stop“ reiht sich ein weiterer Remix von „Miss You“, „Streets Of Love“ paart sich auf der Single mit „Rough Justice“.

Name The Rolling Stones

Gegründet 1962

Mitglieder

Mick Jagger (voc, harm, g)

Keith Richards (g, voc)

Charlie Watts (dr)

Ron Wood (g, voc)

ehemalige Mitglieder

Bill Wyman (Bass)

Brian Jones (Gitarre),

Mick Taylor (Gitarre)

Inspiriert von

Muddy Waters, Howlin‘ Wolf, Willie Dixon, John Lee Hooker, Chuck Berry