Doktor Franken Sting


Vom "Wüstenplaneten" zum wüsten Professor. Nach dem Science-fiction-Spektakel "Dune" darf Sting gleich in einer weiteren Mammut-Produktion glänzen: Neben Jennifer Beals spielt er in der Neuverfilmung von "Frankensteins Braut" den verschrobenen Wissenschaftler. Willi Andresen besuchte das ambitionierte MultiTalent bei den Dreharbeiten und erfuhr, wie Sting den Slalom zwischen Leinwand und Bühne bewältigen will.

Es ist wie verhext. Immer wieder macht der blonde Reiter einen Anlauf, um den schwarzen Hengst unter Kontrolle zu bekommen. Einmal sitzt er schon im Sattel, da bockt das Vieh – und der Reitersmann macht im hohen Bogen einen Satz in den Dreck.

CUT, nächste Einstellung. Mit dem Gaul klappt’s diesmal auf Anhieb. Auf geht’s! Da bläst ihm plötzlich eine Brise den schwarzen Umhang übers Gesicht: ein kopfloser Geisterreiter galoppiert durch die Szenerie.

CUT, das Ganze noch einmal. Gordon Matthew Sumner läßt sich durch diese Pannen nicht aus dem Konzept bringen. Wir sind bei den Dreharbeiten zu seinem neuen Film „The Bride“, die vor der gespenstischen Kulisse des Chateau des Cordes im französischen Zentralmassiv stattfinden. Der 33jährige Engländer hat seine eigene Methode, Dinge zu beeinflussen. Er streichelt den hektischen Hengst am Hals und flüstert ihm ins Ohr: „Weißt du, eigentlich wollte Ich sowieso nie Schauspieler werden. „

Das Geständnis zeigt Wirkung: Der Gaul pariert – und der Film mit Jennifer Beals („Flashdance“) kommt am 18. Oktober termingerecht in unsere Kinos. Sting spielt in der Komödie die Rolle des Dr. Charles von Frankenstein, eines zunächst gutmütigen Wissenschaftlers, der zum diabolischen Zauberdoktor wird.

„Mich reizen Charaktere, die realistisch sind“, meint Sting später beim Interview im Pariser Hotel „Royal Monceau“. „Figuren, die sowohl das Gute wie das Böse verkörpern. So sind wir Menschen nämlich: gut und böse, Engel und Teufel.“

Daß er der perfekte Mime für diese doppelseitigen Film-Bösewichte ist, bewies Sting bereits in mehreren Kino-Rollen. In David Lynchs Sciencefiction-Spektakel „Dune“ (das sich trotz der Mitwirkung des Rockstars auch hierzulande zum Millionen-Flop entwickelte), spielte er überzeugend den wortkargen Fiesling Feyd Rauta. Diese Rolle habe er jedoch „nur wegen David Lynch“ übernommen.

„David ist ein Irrer, ein fantastischer Irrer. Ich wußte, daß er etwas Außergewöhnliches auf die Beine stellen würde, nur deshalb habe ich zugesagt, obwohl ich die Story kaum verstanden habe.“

Besser versteht sich Sting nach wie vor auf Musik. So hatte er nicht nur wegen des Filmprojektes nach Paris geladen, sondern auch, um seine neue Band erstmals in Europa vorzustellen Und in der Tat – da stimmte wirklich alles: die gezielte Songauswahl aus Police-Oldies und Sting-News, der geschmackvolle Bühnenaufbau, das ästhetische Licht und natürlich die vier neuen Mitspieler – nicht zu vergessen die beiden farbigen Chorsängerinnen, jede für sich eine Augenweide.

In der Kooperation mit den Jazz-Youngstern aus New York hat Sting den persönlichen Stil gefunden, den er fernab vom Police-Triumvirat suchte. Saxofonist Branford Marsalis, Keyboarder Kenny Kirkland, Bassist Darryl Jones und Schlagzeuger Omar Hakim standen schon auf der Lohnliste von Miles Davis, Weather Report oder Wynton Marsalis.

„Ich wollte etwas ganz Neues machen“, so Stings Solo-Ambition. „Etwas, das weder Rock noch Jazz ist. Zunächst wußte ich nicht einmal selbst genau, was ich wollte. Vielleicht etwas mit Synthesizern. Dann bemühte ich mich um einige namhafte Jazz-Produzenten.“

Namen wie Quincy Jones und Gil Evans verschwanden jedoch ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren. Auch das britische Pop-Duo Torch Song mußte unverrichteter Dinge aus dem Studio verschwinden. „Unterm Strich ist die aktuelle Musik für mich tot“, hatte Sting Anfang 1985 verlauten lassen, als er in New York zu einem Jazz-Workshop rief. „Was die heutige Musik einzig beleben kann, ist die Begegnung von extremen Polen. Nur dann springt der Funke.“

Saxofon-Koryphäe Branford Marsalis wußte dieser Kooperation einen eher praktischen Aspekt abzugewinnen, als er in Paris – im Hinblick auf die einjährige Welt-Tournee durch Asien, USA und Europa (Deutschland im Oktober) etwas verschmitzt meinte: „Es macht halt Spaß – und man braucht nicht viel nachdenken.“

Sting dachte viel nach. Zwei Jahre schrieb er an den zehn Songs der LP The Dream Of The Blue Turtle. „Die Songs sind sehr europäisch, was durch die Begegnung mit den farbigen Jazzmusikern aus der amerikanischen Kultur einen zusätzlichen Reiz erfuhr.“

Zudem initiierte der Sohn eines britischen Milchmannes mit diesem Personenverband, zumindest für die amerikanische Öffentlichkeit, ein Politikum. „So etwas gibt es in USA eben nicht: eine schwarze Band mit einem weißen Sänger! Ich hoffe, das wird helfen, Vorurteile über Bord zu werfen.“

Mit dem Song „Russians“ treibt der politisch engagierte Rockstar noch zusätzlich eine Speerspitze in die Seite des konservativen, antikommunistischen Amerika. Über einer von Prokofjew entliehenen Melodie übt Sting zornige Verbalkritik an dem weltweiten Konflikt der Supermächte (.. Wie kann ich meinen kleinen Jungen vor Oppenheimers Todesspielzeug schützen“) „Ich will den Leuten klarmachen, daß die Lösung der Ost-West-Spannung darin liegt, die Russen wie normale Menschen zu behandeln. Es mag banal klingen, aber auch Russen lieben ihre Kinder!

Ursprünglich wollte Sting den Song „Russians“ vor Ort, also in der Sowjetunion mit lokalen Musikern, aufnehmen. Der bürokratische Ost-Apparat stoppte die Produktion mit dem Leningrader Staats-Orchester.

Es wäre ein genialer Schachzug gewesen, hätte diese Ost-West-Begegnung wirklich stattgefunden; ein geschickter Promotion-Plan, für deren Qualitäten das Police-Management mit Oberguru Miles Copeland. Sohn eines CIA-Agenten und Bruder des Police-Drummers Stewart Copeland, bekannt ist.

Bis heute verkauften The Police mehr als 40 Millionen Platten; es wäre eine Leichtigkeit gewesen, eine neue LP in die Charts zu katapultieren. Zu leicht, wie Sting meint. „Ich halte es für eine altmodische und sentimentale Idee, daß eine Band für immer zusammenbleiben muß. Nur für Kohle oder auf den Wunsch der Plattenfirma hin weiterzumachen, das langweilt mich tödlich. Für mich ist es an der Zeit, etwas Aufregenderes zu machen. Es ist die Zeit für kreative Ideen, für Experimente. „

Ein großer Reiz liegt für Sting im visuellen Bereich, in der schauspielerischen Darstellung. Natürlich will er „kein FilmProfi werden „, doch die Karriere als Rockstar lehnte er einst ebenso hartnäckig ab. Ohne Erfolg – denn das überaus positive Feedback vereinnahmte ihn unweigerlich.

Sein Leinwand-Debüt hatte Sting als Eddie Cochran-Fan in Chris Petits Insider-Streifen „Radio On“. Mehr „ein Zufall“, wie er sich erinnert. “ Von da an lief es irgendwie automatisch.“

Regisseur Franc Roddam, mit dem er jetzt auch „The Bride“ drehte, engagierte ihn für eine Rolle in dem Who-Film „Quadrophenia“. Auch in seinen weiteren Filmrollen -leider waren Komödien wie „Brimstone & Treacle“ und „Artemis „81“ oder die BBC-Produktion „Ligmalion“ mit Sting als Nicola Machiavelli hierzulande nie zu sehen – baute.. the thinking man of pop“ auf sein Talent und seine Erfahrung als Komparse in unzähligen TV-Commercials.

Fast immer schanzte man dem einstigen Klosterschul-Lehrer (Sport und Musik) die Rolle des Bösewichts zu. Nur in seiner – neben „The Bride“ anderen neuen Produktion, dem US-Film „Plenty“. spielt er an der Seite von Oscar-Gewinnerin Meryl Streep einen rundum sympathischen Mann, der den Reizen einer ehemaligen Resistance-Kämpferin (Meryl Streep) nicht widerstehen kann.

Diese Rolle könnte dem selbstbewußten Mann im wirklichen Leben nie gefallen. Sting ist ehrgeizig, intelligent, kulturbeflissen, im Gespräch präsent und sehr dominierend. Eine Eigenschaft, die ihn auf eine Stufe mit David Bowie stellt: Beide ziehen eine strikte Trennung zwischen den künstlerischen Plattformen; ein Metier wird sich angeeignet und kreativ erobert, ohne das eine als Vehikel fürs andere zu benutzen. Sting: „Oft wollen Regisseure mich für einen Film verpflichten, nur damit ich auch noch die Filmmusik schreibe. Darauf habe ich keinen Bock. „

Daß es aber sowohl auf der Bühne wie auch auf der Leinwand um ein gewisses Rollenspiel geht, kann Sting nicht verhehlen. Immer ist er bemüht, so viel wie möglich von sich selbst in die jeweilige Rolle einzubringen. Auch wenn er da Grenzen zieht: „Wenn man, wie beispielsweise Robert de Niro, schon drei Monate vor Drehbeginn ein total verrückter oder fetter Typ wird, so halte ich das für überzogen und gefährlich. Wie wirst du wieder du selber?“

Der blonde Arbeitersohn weiß, wie er sich verkaufen muß. Sting wirkt seriös, ist zuverlässig und begabt. Die Mechanismen heutiger Show-Karrieren hat er durchschaut und für sich vereinnahmt. So verkauft sich auch Solo-Star Sting von Beginn an mit allen Mitteln des modernen Promotion-Apparates. Ein Video von Godley & Creme ist Ehrensache, aber nicht der Clou der Vermarktung. Dieser liegt in einem Dokumentarfilm, gedreht von dem englischen Regisseur Michael Apted. Etwas „Künstlerisches“ wollte Sting, nichts Profanes wie nur einen Video-Clip, der in seiner Form überstrapaziert ist und nur „alle drei Minuten einen Orgasmus“ bietet, „was auf Dauer langweilt“.

Die Sting-Dokumentation „Bring On The Night“, eine A & M-Produktion, soll Ende des Jahres in die Kinos kommen. Zwei Millionen Dollar investierte A & M-Films in die zweiwöchigen Aufnahmen in Paris.

Zentralthema des Filmes sind natürlich Sting und seine Musik.

„Dieser Film zeigt eine Entwicklung“, resümiert Sting. „Er beginnt damit, wie sich die unterschiedlichen Musiker aus den unterschiedlichen Kulturen treffen, wie sie eine gemeinsame Sprache entwickeln, wie sie sich über meine Songs begegnen und anfangen zu spielen.

Es ist also kein üblicher Konzertfilm. Ich hoffe, die Dokumentation vermittelt vielmehr, wie die Musik gemacht wird und warum sie gemacht wird.“

Stings ganz große Rolle steht allerdings noch aus: Film-Guru Martin Scorsese („Taxi Driver“), der auch „The best Waltz“ drehte und ursprünglich für „Bring On The Night“ vorgesehen war, will den blonden Rocker für seine Verfilmung von „The Last Temptation Of Christ“. Sting:

„Ich soll den Pontius Pilatus spielen.“