DR. Teddy


Die Zeiten werden härter, die Teen-Stars auch. Kuschelweiche Teddys wie Jason Donovan machen stählernen Straßenjungs der Marke Vanilla Ice Platz. Oder ist die neue Härte wieder mal nichts anderes als eine butterweiche Marketing-Masche?

Sie kamen, strahlten und siegten. Und verschwanden brav und leise wieder von der Bildfläche — Bros, Kylie & Jason, Brother Beyond, Big Fun, die ganze Bagage der netten Bügeleisensänger. Der Spuk der geschniegelten Hampelmänner und Popmarionetten ist jedenfalls erstmal vorbei. Ihre Fans liegen ihnen nicht mehr zu Füßen, schon gar nicht weinend, sondern sind ihnen unerwartet abrupt davongesprungen, um sich mit härterem Stoff zu versorgen — mit dem Powerstakkato von Hiphoppern und Rappern, mit dem Prolo-Rock der Rave-Bewegung, mit der Dauer-Hypnose des Dancefloors. Selbst Dieter Bohlen kaufte sich für seine Auftritte eine Lederjacke. Die New Kids On The Block, früher die sauberste Komplettlösung für den Teenagermarkt, sind auch nicht mehr, was sie mal waren, wollen nichts mehr zu tun haben mit ihrem harmlosen Sonnyboy-Image, das besorgte Erziehungsberechtigte so uneingeschränkt gut fanden. Die Rolle des Vorsängers wechselte vom niedlichen Schnuckel Joey Mclntyre und dem schonen Jordan Knight zu Donnie Wahlberg, dem am kräftigsten gebauten Kid. Im Video zur letzten Single „No More Games“ führt er eine bedrohliche Street-Gang durch heruntergekommene Bostoner Ghettostraßen, rappt unter seiner Rappermütze großspurige Parolen wie „Positives Denken hat nichts mit Schwäche zu tun …“ und läßt zum Finale der Nummer eine mittelschwere Schimpfkanonade ab. Es ist sicher nicht allein auf eine veränderte Hormonlage zurückzuführen, daß Donnie in letzter Zeit öfters die Hand ausrutscht. Seine Bartstoppeln sprießen. Tätowierungen leuchten grell von seinen Oberarmen, in zerwühlten Hotelbetten zurückgelassene, sich beklagende Mädchen, geleerte Bierdosen und abgebrannte Joints markieren jetzt die Spur des ehemaligen Sauber-Kid.

„Ich werde nie vergessen“, gibt der harte Donnie nun imagegerecht zu Protokoll, „daß ich von der Straße komme und keinen Cent in der Tasche haue.“

Die haarsträubenden Erlebnisse, die er der atemlosen Teen-Presse ins Mikro diktiert, sind geradezu drehbuchreif. In einem Londoner Nachtclub sei es zur Schlägerei gekommen, als man ihm seinen Walkman entwenden wollte. Nach mannhafter Rückeroberung des Diebesgutes hätten ihn vier schwarze BMWs kreuz und quer durch London verfolgt. Es war, da hat Donnie keine Zweifel, natürlich die Mafia.

In Boston, bei einer Anti-Drogen-Kampagne, hätten ihn finstere Dealer mit dem Messer bedroht. Und noch dramatischer: Drei Wochen lang habe er sich einmal nicht gewaschen, ja nichtmal die Zähne geputzt!

Der 21jährige Schmutzfink ist smart genug, um auch ohne die Hilfe von PR-Experten zu wissen, daß gerade im Teen-Markt das Image mehr als nur die halbe Miete ist. „Die Medien haben unser Saubermann-Image völlig überzogen und derart auf die Spitze getrieben, daß es zum Kotzen war“, weiß das mißverstandene Street-Kid. Und kaufte für sich und seine Freunde flugs sechs Harley Davidsons, um aus der drohenden Image-Sackgasse souverän herauszubrausen.

Das Management der Teenagerkapelle, die Zeichen der Zeit erkennend, dementiert nicht wie noch vor einem halben Jahr wütend solche Meldungen, sondern verbreitet sie mit kaum verhohlenem Stolz. Die neue Botschaft: „Unsere Kids sind ganz böse Buben, deshalb verdient ihre Musik es auch, ernstgenommen zu werden.“

Als flankierende credibility-technische Maßnahme stehen die fünf Buben (deren Lebensinhalt bislang ausschließlich durch Girls, schnelle Autos und geile Klamotten bestimmt wurde) plötzlich mit Sting, Peter Gabriel und den Müttern chilenischer Diktatur-Opfer auf einer Amnesty International-Bühne in Santiago de Chile. Donnie verliest, mit Ernst und Pathos in der Stimme, aufspanisch die Botschaft: „Eure Angst und eure Qualen sind nicht vergessen draußen in der Well!“

Das Aufrauhen des New Kids-Images, auch ihres Live-Sounds mit mehr Tempo und Gitarrenbeiträgen, zeigt jedenfalls die beabsichtigte Wirkung: NKOTB stehen, vorläufig jedenfalls noch, verkaufstechnisch wie eine Eins. Anderen, die den Zug in die härteren Zeiten verpaßt haben, geht es schlicht und ergreifend dreckig. Stock/Aitken/Waterman mit ihrem „Besseren Müllkonzept fürs Musikgeschäft“ waten auf dem Trockenen. 1987 war die Firma unter anderem verantwortlich für Europas meistverkaufte Single, Rick Astleys „Never Gonna Give You Up“. 1988/89 verschlang der Markt nicht nur Bros, sondern auch unglaubliche Mengen des anderen SAW-Mists — bis zur Lebensmittelvergiftung. Doch die ist mittlerweile kuriert. Mandy Smith hat höchstens noch wegen ihrer Magersucht Erinnerungswert. Sammy Fox allenfalls wegen ihrer überquellenden Oberweite.

Hit-Produzent Waterman ist verständlicherweise leicht genervt, wenn man ihn auf den Erfolg der New Kids anspricht. „Ein klassisches Produkt der amerikanischen Hype-Maschinerie“, knurrt er. “ Die Band ist auch nicht besser oder anders als unsere Gruppen auch. Man hat sie nur so kostümiert, daß sie härter aussehen. „

Exakt.

Genau dies ist der Grund, daß die SAW-Flaggschiffc Jason Donovan und Kylie Minogue auf den internationalen Pop-Gewässern nichtmal mehr mit dem Fernrohr auszumachen sind. Rick Astley. früher auch optisch eine Rudolf Schock-Jugendausgabe, hat immerhin Stimme und wagt mit neuem Image den Versuch einer zweiten Karriere. „Ich bin heilfroh“, betont der 25iähriee Fast-Frühinvalide, „daß ich rechtzeitig aus der Tretmühle rausgekommen bin. Selbst wenn ich mit meinen eigenen Ideen auf die Nasefallen sollte – zu Stock’Ailken’Waterman kehre ich garantiert nicht zurück. “ Die reumütige Rückkehr wird auch nicht notwendig sein: Mit seinem ersten Album in Eigenregie — nicht ohne Grund „Free“ betitelt — scheint Astley die Ausnahme von der Regel bestätigen zu wollen — daß der Erfolg im Teen-Markt nicht zwangsläufig Sackgasse und Endstation sein muß.

Von den Seifenopernsängern Jason und Kylie, die ohnehin nicht mehr zu bieten hatten als ihr sympathisches Lächeln und die „Neighbours“-Fernsehvergangenheit. sind wir hingegen wohl für immer befreit: Das zweite Kylie-Album RHYTHM OF LOVE verkaufte nur noch den zehnten Teil der 2,5 Millionen seines Vorgängers. Jason Donovan passierte ein ähnliches Malheur. Da wird es auch nichts mehr nutzen, wenn Kylie den biederen Backfisch nun über Bord wirft und plötzlich den verruchten Vamp mimt.

Teen-Guru Pete Waterman sucht die Erklärung für den Einbruch in allen möglichen Gründen, bloß nicht den richtigen: Die Kylie-LP sei zu spät auf den Weihnachtsmarkt gekommen. Jason habe zuviel Zeit auf Tour vertrödelt. Die Kids hätten Taschengeldprobleme, weil die Wirtschaft nicht mehr richtig boomt. Und — „wir waren ganz einfach 1990 zu faul und haben uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht“.

Die richtige Antwort, wenn er sie denn hören will, geben ihm die Leser von“.Smash Hits“, dem führenden englischen Teen-Magazin: Sie wählten Kylie auf Platz zwei der“.Kotzliste“. Grund: Langeweile — irgendwann war selbst dem blindesten Fan aufgefallen, daß in der SAW-Hitparadenmogelpackung immer wieder nur die gleiche heiße Luft aufgewärmt wurde.

Smash Hits, das mit Titelbildern von Rick Astley, Bros, Jason und Kylie in den letzten zwei Jahren auf eine Auflage knapp an der Millionengrenze kletterte, stürzte mit seinen Helden. Das Heft verkauft im Moment mühsam 600.000 Exemplare mit den Bühnenvandalen EMF. der exotisch-ordinären Betty Boo oder den Ravern Happy Mondays. Die sehen nicht gerade gut aus, wirken aber wenigstens echt. Das ist die Hauptsache, die Teens nach dem artifiziellen Backfisch-Boom der letzten Jahre zu interessieren scheint.

Bei Bravo, Popcorn und Pop/Rokky. den deutschen Sprachrohren der Teenage-Kultur. verschwanden die Plastikköpfe ebenfalls in der Versenkung und machten Gesichtern mit Pickeln und Stoppeln Platz – den Toten Hosen, den neurauhen New Kids, der Rap-Großschnauze Vanilla lee — auch wenn letzterer inzwischen kleinlaut einräumen mußte, daß sein knallhartes Image nichts anderes als ein faules Medien-Ei sei: Nicht in gefährlichen Street-Gangs wuchs er auf. sondern wohlbehütet im kleinbürgerlichen Elternhaus. Seiner“.Glaubwürdigkeit“ taten derart blamable Enthüllungen keinen Abbruch. Wer fragt schon nach Inhalien, wenn nur die Fassade zählt. Soviel nämlich ist klar: Der neue Trend zur Straße ist keinesfalls eine Abkehr von der Teen-Manipulation. Im Gegenteil.

Die Zeit, in denen Bands. Songs und das Lebensgefühl, das sie ¿

transportierten, spontan im Bauch und in der Garage entstanden, ist unwiderruflich dahin. Sie kommt auch nicht deshalb zurück, weil PR-Strategen das Zeitalter der street-credibility, der „Straßen-Glaubwürdigkeit“ eingeläutet haben. Ein einmal erfolgreich plaziertes Projekt läßt sich, das zeigt das Beispiel New Kids On The Block, mehrmals im Jahr, von einer Singleveröffentlichung zur nächsten, nach strategischen Erfordernissen umstylen.

Die Bedürfnisse der Teen-Gemeinde, um deren 6-Milliarden-Dollar-Kaufkraft im Jahr (allein in den USA) es dem Popmarkt letztlich geht, sind im Prinzip immer dieselben geblieben. Die musikalisch unvorbelasteten Kids schJeppen nicht, wie ältere Hörer, das schwere Bündel von Psychoschlacke und erotisch-sentimentalen Reminiszenzen aus der Pubertät mit sich rum, das ein möglichst bis ans Grab weitergesponnener roter Musikfaden zusammenschnürt. Die Kids wollen geil unterhalten werden, mit möglichst drastischen Reizen, die den Seelen-Pudding zum Wackeln bringen.

Wie diese Reize im einzelnen aussehen, ist letztlich völlig irrelevant. War es heute der cleane Sonnyboy-Look, ist es morgen das coole Streetgang-Image. Das eine Extrem bedingt oft genug das andere. Gemeinsam ist allen Image-Strategien eigentlich nur eines: Der Lack ist schnell ab, Reize an der oberen Intensitätsschwelle nutzen sich durch Rezeptorenermüdung besonders rasch ah. ein unumstößliches Gesetz der Wahrnehmungspsychologie.

Die Konsequenz aus dieser Tatsache kann für stark Image-orientierte Popgruppen nur darin bestehen, auf der Klaviatur der optischen Signale noch virtuoser, noch schneller spielen zu müssen. Wie man kaltschnäuzig mit Image-Versatzstücken jongliert, bewies etwa der englische Manager Tom Watkins. als er vor Jahren die Fieslinge von Frankie Goes To Hollywood aufbaute — um wenig später die goldigen Bübchen von Bros, ins Rennen zu schikken. Bros., inzwischen natürlich auch längst den Gully runter samt ihren vergoldeten Biker-Jacken, waren mit ihrem cleanen, synthetischen Image das genaue Gegenteil der Liverpooler Gossenschimäre, geclont aus zwei affektierten Schwuchteln und drei polizeiaktenkundigen Hooligans. Der durchschlagende FGTH-Erfolg brachte den Beweis für die neue Faustregel im Musikgeschäft, daß am Ende alles gut klingt, was nur imagemäßig grell genug rüberkommt. Sicher, nach zwei Jahren war das Ungeheuer, ein schönes Stück street-credibility vom Designerpult, abgebrannt. Doch es hatte gereicht, um sich die Taschen vollzustopfen. Wer konsequent genug ist. sein Image-Konzept in die Tat umzusetzen (passendes Menschenmaterial findet sich immer), kann praktisch gar nichts mehr falsch machen.

Gefahr droht den Goldeseln des Teen-Marktes eigentlich nur von einer Seite, von der man es nie und nimmer erwartet hätte: dem Toddler-Markt. In Amerika hat man frühzeitig erkannt, daß selbst Toddler (..Knirpse“), die kaum dem Kindergarten entwachsen sind, ein durchaus lukratives Marktsegment bilden. Die Teenage Mutant Turtles (in Form von Platte. Film. Comic, TV-Serie, Merchandising) waren einer der größten Coups der Entertainment-Industrie — ermöglicht durch Sub-Teens. die für die Kampf-Kröten ein Vermögen an Taschengeldern locker machten. Der Film „Kevin — allein zuhaus“. gezielt auf den Toddler-Markl produziert, ist derzeit mit Abstand Amerikas größter Kassenknüller, der zehnjährige Hauptdarsteller Macauly Culkin Stammgast auf allen Titelbildern. Die Flut von weiteren Filmen (..Kindergarten Con“.“.Kuck mal. wer da spricht 2″, „Drei Männer und ein Baby 2“) ist ein Indiz dafür, daß man hier auf eine Goidmine gestoßen ist.

Und hier liegt möglicherweise auch der Grund, warum die braven Teenstars von Gestern so plötzlich ins Gras bissen. Was ein gestandener Teenager ist, möchte verständücherweise nicht mit Knirpsen aus dem Kindergarten in einen Topf geworfen werden. Die nachwachsende Konsumenten-Generation hat dafür gesorgt, daß das Brav & Biederimage für die heutigen Teens endgültig ausgedient hat. Die Identitätssuche verlangt ganz entschieden nach Differenzierung und verlangt nach härterem Stoff.

Fazit: Die Teenstars von 1991 sehen ganz schön alt aus.