Ein Brett im Kornfeld


Wahnwitzige Sprüche, gemein- gefährliche Schuhe, brettharte Tolle: ME/Sounds-Redakteur Michael Weilacher verbrachte die Mitt sommernacht mit den Blues Brothers des hohen Nordens

In Amerrrica, therrre arrre only thrrree rrrock ’n‘ rrroll bands: The Beach Boys. The New Kids On The Block and The Leningrrrad Cowboys“, verkündet Mato Valtonen in einem Englisch, das selbst Boris Jelzin als Oxford-Absolventen erscheinen läßt. Und genau wie der herb-russische Zungenschlag des Ober-Cowboys aus dem hohen Norden ist auch seine bemerkenswerte Selbsteinschätzung Teil eines ebenso einfachen wie erfolgreichen Konzepts: „Wir stellen die Dinge ganz einfach auf den Kopf. „

Das kann man wohl sagen. Immerhin betonen die zehn Uniformträger mit dem Fuchsschwanz vor der Stirn und den lebengefährlich spitzen 70-Zentimeter-Schuhen immer wieder, sie seien in Amerika zu Hause (LP-Titel: We Cum From Brooklyn). Dabei nennen sie im Firmennamen die bis vor kurzem nach Väterchen Lenin benannte Stadt in Rußland als Herkunftsort. Daß die Cowboys in Wirklichkeit aus Helsinki stammen, nimmt man da schon fast als selbstverständlich hin — Ball verkehrt auf der ganzen Linie.

..Klar doch“, bestätigt Mato den Verwirrkurs,,. wir erzählen den Leuten Bockmist. Schließlich kommen sie ja gerade zu uns, um mal amtlich abzulochen.“ Stimmt. Erstaunlich genug dabei: Ausgerechnet im sonst eher humorfeindlichen Deutschland avancierten die verrückten Finnen nach dem Erfolg des Films“.Leningrad Cowboys Go America“ von Kultregisseur Aki Kaurismäki binnen Kürze zu wahren Publikumslieblingen — 30 ausverkaufte Konzerte im Frühjahr, Open-Airs im Sommer, eventuell eine Zusatztournee im Herbst.

Für Mato Valtonen keine allzu überraschende Entwicklung. Der Elvis-Imitator mit der Reibeisen-Stimme, der garantiert keinen einzigen Ton trifft, dafür aber beträchtliche Qualitäten als Entertainer aufzuweisen hat: „Akts Film war in Deutschland für Roud Movie-Verhältnisse ausgesprochen erfolgreich. Dementsprechend wollen auch viele Leute unsere Konzerte sehen. „

Aus gutem Grund, denn bei den Cowboys geht’s rund. Mit ihrer restlos abgedrehten Mischung aus Punk und Polka, Rock und Rhythm ’n‘ Blues sind sie so etwas wie die Blues Brothers vom Nordkap. Und das nicht nur. weil auch diese echte Ami-Band aus einem Film hervorging. Master Mato. der sich mit einem eleganten „Thank vou verv mam“

fürs Wort bedankt, hat die Rockszene eingehend studiert: „Es gibt nur wenige Bands, die dem Publikum eine Mischung aus Konzert und Comedy bieten. Die meisten Gruppen gehen einfach auf die Bühne und machen nur Musik, was auf die Dauer doch ziemlich langweilig ist.“

Für die Freaks aus Finnland dagegen ist Langeweile ein Fremdwort. Zwangsläufig, denn als Leningrad Cowboys allein könnten sie kaum existieren. Sakke Järvenpää, zusammen mit Mato Valtonen und Regisseur Aki Kaurismäki geistiger Vater des Rock ’n‘ Roll-Zirkus aus Helsinki: „Wirsind ein kosteniniensives Unternehmen. Wenn zehn Musiker nebst Roadcrew und Technikern unterwegs sind, bleibt nach Abzug aller Kosten für den einzelnen nicht viel übrig.“

Dem mochte man beipflichten.

wenn man weiß, daß für jeden Cowboy pro Show netto nur 250 Mark rausspringen. Was Wunder, daß alle Bandmitglieder da auch noch ihre Nebenjobs haben: Keyboarder Mauri Sumen komponiert Filmmusiken. Trommler Twist Twist Erkinharju sitzt nebenher (ohne Tolle) bei den .Schwermetallern von Peer Günt am Schlagzeug, und Trompeter Timo Ojala stößt zwischendurch auch mal bei einer Jazz Combo ins Hörn. Übereinstimmung herrscht trotzdem: „Alles in allem kein schlechtes Leben.“

Das meinen auch die beiden Masterminds Mato und Sakke. Allerdings aus anderen Gründen. Während Mato in Helsinki einen florierenden Harley Davidson Shop betreibt, brütet Sakke Lieh mach immer das, wasmirgefällt“) eine gewinnbringende Idee nach der anderen aus — als Drehbuchautor für Landsmann Aki Kaunsmaki, Comic-Kreativer oder Innenarchitekt. Neben einer mexikanischen Cantina im Herzen Helsinkis mit immerhin 50 Angestellten unterhält der wortkarge Nordländer – die knappe Bestätigung „jo jo“ kommt schon einer längeren Rede gleich — geschäftliche Beziehungen zu einer Großraum-Kneipe, die er mit ausrangierten Traktoren nebst Ersatzteilen ausstattete. Ein Ambiente, das Abend für Abend für volle Kassen sorgt und zudem Sakkes spezielle Vorliebe für PS-starke Landmaschinen unterstreicht.

„Es gibt genug Bands, die Cadillacs mögen, wir mögen eben Traktoren — die sehen so blöd aus, daß sie schon wieder schön sind.“ Genauso schön blöd wahrscheinlich wie der zweite Teil von „Leningrad Cowboys Go America“, den Regisseur Aki Kaurismäki in diesen Wochen vorbereitet. Ob Traktoren drin vorkommen, wollte Herr Järvenpää noch nicht verraten. Privat jedenfalls zieht Vordenker Sakke einen schwarzen Heckflossen-Cadillac, mehrere Harley Davidsons und ein 375 PS starkes Rennboot dem gemächlichen Diesel-Getukker ganz eindeutig vor.