Ein heilsamer Schock


Zu Orenda Finks Song „Bloodline“ gibt es ein wirklich erstaunliches und ziemlich schauriges Video, in dem die Frau im langen, weißen Kleid ein wenig über Grünflächen robbt und sich dabei ganz schmutzige Flände holt. Selbstverständlich wird diese Frau von längst vergessen geglaubten Gespenstern heimgesucht, von den Geistern, die in den Zwischenräumen leben, und von der eigenen Vergangenheit, die einfach nicht aufhören will, die Gegenwart zu spielen. Als wir Orenda Fink eines schönen Morgens in Omaha anrufen und ganz spontan die Vermutung äußern, der FilmregisseurHidco Nakata könnte bei den Videoaufnahmen dabeigewesen sein, lacht Fink liebenswürdig und sagt, sie habe den ersten Teil von „Ring“ immerhin gesehen.

Für heute bleibt dies Finks einziges, vorsichtiges Zugeständnis, wenn man sie auf Einflüsse von außen anspricht: Auch schon gespannt auf die neue Kate-Bush-Platte? „Ich habe noch nie eine Kate-Bush-Platte gehört.“ Fiona Apple oder doch bitte wenigstens Joni Mitchell? „ich habe noch keine Platten diese]r Künstler gehört.“ Wir wechseln das Thema und sprechen über Haiti, Kambodscha und Indien, zweifellos Spezialgebiete deutscher Musikjournalisten. Man muß wissen, daß Orenda in den letzten drei Jahren viel gereist ist und viel Zeit in diesen drei durchaus mystisch beladenen Ländern verbracht hat allein, mit Freunden und mit ihrem Ehemann Todd Fink von The Faint. „Der Besuch dieser Orte hat bei mir eine ganze Menge ausgelöst. Ich bin nicht nur zu dem Entschluß gekommen, daß das Reisen und die Beschäftigung mit fremden Kulturen für meine persönliche Entwicklung unerläßlich sind, sondern habe auch folgendes gemerkt: je weiter ich von zu Hause weg bin, desto weniger drehen sich meine Gedanken um mich selbst. Es war ein heilsamer Schock, festzustellen, wie man in mir zuvor ganz fremden Ländern denkt.“

Einiges davon hat die bisweilen idiosynkratisch wirkende Musikerin, die die Zukunft ihrer kleinen Band Azure Ray im Gespräch offen läßt, auf ihr erstes Soloalbum Invisible Ones hinübergerettet: haitianische Chöre, Voodoo-Reminiszenzen und Klagelieder aus dem Hinterhalt, Betrachtungen über Dämonen, die große Flut, Gott und den Teufel. Bitte nicht schreiben, hier habe jemand „zu sich selbst gefunden“.

www.orendafink.com