Einsatz in Manhattan


Feuer und Flamme für New York: Die Ham- burger Jeremy Days spielten in Manhattan ihr neues Album ein. Lohnt der Einsatz?

Kein Tag ohne Outing. Fünf Uhr am frühen Morgen, eine „Corona“-gefüllte deutsche Pop-Band läßt die New Yorker Nacht ausklingen. Endstation: Die Suite im legendären „Chelsea“-Hotel, in der einst Sid Vicious sein neu gekauftes Jagdmesser an Freundin Nancy ausprobierte. Sids Nachmieter, ein nicht minder berühmter klassischer Konzertpianist, hatte uns in der Hotelhalle aufgegabelt und versucht nun nach dem Gelage zwei knackige Jeremy Days davon zu überzeugen, wenn schon nicht bis zum Jüngsten Tag, so doch wenigstens bis zum Frühstück bei ihm zu bleiben. Chancenlos, eher würde Mutter Theresa bei Hella von Sinnen nächtigen. „Fünf Freunde sollt ihr sein“ — die vielbschriebene Männerfreundschaft der Hamburger Pop-Band ist trotz Star-Rummel nach dem 89’er Hit „Brand New Toy“ und mittlerweile mehr als 250.000 verkaufter Alben noch inniger geworden. Kein Platz für Groupies, gleich welchen Geschlechtes, auch wenn Sänger Dirk Darmstaedters Kindheits-Traum ganz anders aussah: „Vor vielen Jahren habe ich im Femsehen Mick Jagger mit zwei Groupies im Arm gesehen. Ich wußte sofort — das will ich auch haben!“ Inzwischen hat Dirk mit seiner Freundin und seiner kleinen Tochter tatsächlich zwei Mädchen im Arm, im Kopf hat er aber ganz andere Dinge. Allen voran die Fertigstellung von „Speakeasy“, dem dritten Album der leremy Days.

Regieraum der „Axis“ Studios in Manhattans 53. Straße. Produzent Fred Mäher, durch die Arbeit für Scritti Politti und Lou Reeds „New York“-Album an derbe Gegensätze gewohnt, läßt den Mix der Single-Vorabauskoppelung „Loved“ erstmals an fremde Ohren. Zwei davon gehören Tim Renner, dem Platten-Manager der Jeremy Days. Pop-Musik muß populär sein, sonst verdient sie den Namen nicht. Renners Hauptsorge: „Die Band braucht wieder eine Single, sie muß wieder ins Radio.“ Die Hamburger Musik-Lebensgemeinschaft hatte auch ohne Single-Unterstützung von ihrem sperrigen „Circushead“-A]bum noch beachtliche 100.000 Stück abgesetzt. Daraufist die Band stolz: „Wir haben es den ganzen A rschlöchem gezeigt, die alle dachten, wir machen auf sicher-sicher und beschränken uns auf ein zweites ,Brand New Toy‘.“ Jetzt aber soll sich Dirk nach Renners Wunsch (dafürwird er schließlich bezahlt) wieder in die Singlecharts singen. „Klar — ab und zu sagt er mal was“, kommentiert Darmstaedter die seltenen Einmischungsversuche seines Produkt-Managers, „die Keyboards lauter, die Gitarren leiser, damit wir den Song ins Radio bekommen.“ Bei „Loved“ ist das nicht nötig. Er ist einer der wenigen neuen Songs auf „Speakeasy“. der sich schon beim ersten Hören am Ohr festheftet. Mit dem Rest des Albums ist es mehr wie bei einer richtig guten Beziehung — wer die Widersprüche seines Partners liebt, wird auch in Jahren noch Neues an ihm entdecken können. Darmstaedter findet das SinglehitThema ohnehin langweilig, er macht nur das, was er will: „Es ist einfach so, daß keiner weiß, worauf die Leute morgen stehen. Für mich ist ,Loved‘ ein Welthit. Aber kann ich das beurteilen ? Die meisten Songs von anderen Gruppen, die ich für absolute Hits halle, sind in Deutschland chancenlos.“

Als die große Chance für die Jeremy Days erwies sich dagegen die Zusage von Fred Mäher, das Album zu produzieren. Fred, der während der zweieinhalbmonatigen Arbeiten in New York immer dabei war, holte das aus den fünf Hamburgern, was seit der Band-Gründung 1985 ihre echte Stärke ist: das engmaschig verwobene, intime Zusammenspiel der Musiker. Das kann — siehe „Circushead“ — nach hinten losgehen. Oder es geht, wie jetzt, voll nach vorne. Darmstaedter ist glücklich: „Ich finde, daß wir uns diesmal doch sehr zurückgenommen haben. Fred hat uns oft einen Weg gezeigt, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen. Klar — im Endeffekt ist alles ein Wall Of Sound, aber das liebe ich ja auch.“

Mit dieser Liebe scheint Dirk, der im nahen New Jersey aufgewachsen ist, nicht alleine zu stehen. Bislang waren die Jeremy Days Lieblinge aller Medien, bis an die Ränder — „Petra“, „Spex“, „Bravo“. Letztere zeigte an „Speakeasy“ bislang kein Interesse, eher ein gutes Zeichen für eine Band, die seit ihrer Gründung den Spagat aushielt, ernsthafte, komplexe Musik zu spielen und dennoch mit Home-Storys in Teenie-Magazinen gefeiert zu werden.

Ob das reicht, um nach den deutschen Pop-Fans auch den Rest der Welt von den Qualitäten der Hamburger zu überzeugen, weiß auch Dirk nicht. Gelassenheit ist Trumpf: „Es gab eine Zeit, da war es cool aus Manchester zu kommen. Vielleicht wird es eine Zeit geben, in der es cool ist, aus Hamburg ZU kommen.“