Einstürzende Neubauten


Die Bühne gleicht einem Schlachtfeld. Da kracht und zischt und funkt es, als wollten Blixa Bargeld & Co. die Mauern von Jericho in Schutt und Asche legen. (Vom sozialen Wohnungsbau ganz zu schweigen.) Was zarten Gemütern nichts weiter als Lärm ist, gilt der internationalen Avantgarde als Nonplusultra deutscher Tonschmiedekunst. Ein Frontbericht von M. Ruff.

Deutsche Gruppen auf dem Parkett: Da sind einmal diejenigen, die den in England und USA gesetzten Chart-Maßstäben zu entsprechen suchen und konkurrenzfähige Popmusik mit deutschem Akzent produzieren. Das ist Pop und Pop ist international.

Doch fragt man in den Hip-Kreisen von New York und London nach deutschen Künstlern, taucht verblüffend oft zunächst der Name Einstürzende Neubauten auf für englischsprachige Fans ein schon etablierter deutscher Terminus wie Zeitgeist oder Götterdämmerung.

Während hierzulande die Auslandserfolge von Nena oder Propaganda beklatscht werden, mußten die EN (wie in den 70ern Can oder Tangerine Dream) den Umweg über London-New York nehmen, um im eigenen Lande die vermißte Anerkennung zu finden. Nicht daß die Neubauten es den Hörern leicht gemacht hätten. Doch auch ohne Hörgewohnheiten zu ändern, erkennt man die schiere Power ihrer Musik.

Wer einmal festgestellt hat, daß es in jeder City gewisse Plätze gibt, wo sich Straßenlärm, Baumaschinen und die Geräusche menschlicher Arbeitskraft Symphonie-ähnlich vermischen, der wird vielleicht auf den Gedanken gekommen sein, dieses vermeintliche Chaos nach musikalischen Gesichtspunkten zu strukturieren.

Einstürzende Neubauten waren die Ersten, die dies im Studio taten und damit eine musikalische Welt erschlossen, in der mit Blixa Bargeld ein Frontmann zur Verfügung steht, dessen Stimme und Charisma dem Ganzen intensive Menschlichkeit gibt.

Das „Comeback“ der Einstürzenden Neubauten fand im Juni, in der Zeche zu Bochum statt. Wenige Wochen vorher sogar die EN bundesweit in „Formel 1“: Zombies bestehen auf ihr Recht auf Sendezeit, gespenstische Bilder flackern durch die Wohnzimmer, hauchend rauhe Stimmen skandieren „Engel der Vernichtung“.

1984 haben die EN ein volles Haus und zeigen interessierten Ohren, wie perfekt ihr Konzept steht. Metallteile, Plastikkanister, Spiralen und Werkzeuge werden im stundenlangen Soundcheck in ein Sound-System integriert. Die „Instrumente“ werden per Kontaktmikrofon verstärkt und mittels dazwischengeschalteter Effektgeräte in alle denkbaren Richtungen verändert. Techniker John Cafferey ist als sechstes Gruppenmitglied eigens mit aus England gekommen und sorgt auch live für den faszinierenden Sound, der schon die LP DIE ZEICHNUNGEN DES PATIENTEN O.T. zu einem – wenn auch anstrengenden – Hörerlebnis machte.

Zahlreiche Fans aus Berlin und der BRD sind angereist und lassen den Abend in einer mystisch-ausgelassenen City-Voodoo-Party enden. Je besser das Publikum, desto besser die Band. Und die Neubauten sind dankbar. Vier Zugaben sprechen Bände.

Blixa Bargeld, enigmatischer Gründer und Frontmann der EN, gilt als launische Diva, gibt sich aber beim Interview im Bandbus als der freundliche, entgegenkommende Junge, der es im Ausland zu etwas gebracht hat.

Das letzte Konzert in Westdeutschland fand vor knapp drei Jahren ebenfalls in Bochum statt – einem Ort, der Blixa besonders am Herzen liegt:

„Ich mag allein schon den Dialekt hier. Da kannst du phantastische Sachen sagen: ,Äi där hatsich aufg’hängt, wat sollndat‘ – find ich toll. Sowas kann man nur im Dialekt sagen.“

Warum habt ihr überhaupt Deutschland verlassen?

„Ich habe zur Zeit lediglich keinen festen Wohnsitz. Wir haben diese Tournee gemacht, die ‚Berliner Krankheit‘ 1981. Das war scheußlich. Unsere letzten Gigs mußten wir regelrecht suchen. Wir haben beschissen gespielt, waren ziemlich frustriert und haben uns schließlich gesagt: erstmal nicht mehr in Deutschland.“

Was ist an London besser als an Westberlin?

„Ich bin mir sicher, daß wir in Deutschland hätten Klinken putzen müssen bei Plattenfirmen. In England brauchten wir nur bei einigen Plattenfirmen unserer Wahl anzuklopfen – und alle waren bereit. Das ganze Business ist etwas zeitgemäßer und nicht so antiquarisch wie hier.“

Würdest du dich beispielsweise auch von einem Trevor Horn produzieren lassen?

„Nein, ich halte Trevor Horn für einen totalen Idioten, der schon bei der Gary Glitter Band Baß gespielt hat. Ich garantiere dir, er ist in einem halben Jahr out. Eher Adrian Sherwood (Dub-Spezialist, zuletzt bei Depeche Modes „People Are People/Remix“). Er ist ein wunderbarer Typ, jemand der zwei Tage und Nächte ununterbrochen am Mixer sitzt, wahnwitziges Zeug macht und sich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern kann. Das trifft ungefähr unsere Richtung.“

Verkörpert die Gruppe Propaganda das genaue Gegenteil von euren musikalischen Vorstellungen?

„Kenne Propaganda nicht. Kenne ich genausowenig wie die Krupps. Die haben wahrscheinlich immer noch nicht geduscht, seit sie uns live gesehen haben. Damals haben sie dem ‚Musikexpress‘ erzählt, sie hätten nach unserem Konzert unbedingt duschen müssen. Kannst du ja nachlesen. Na, vielleicht war es auch im, Twen‘.

Die Krupps… halte ich für unwichtig. Es gibt so viele deutsche Gruppen, von deren großem Erfolg du uns jetzt erzählen kannst; ob uns das nicht neidisch macht oder wir nicht in der Richtung was machen wollen… Das interessiert uns einen Scheißdreck. Wir haben es für uns bewiesen. Wir haben nur noch Australien und Afrika offen als Kontinente, wo wir noch nicht gespielt haben. In ein paar Monaten sind wir in Japan, dann machen wir unsere zweite US-Tour…

Wenn du in New York nach einer deutschen Gruppe fragst, dann hörst du bestimmt nicht Propaganda oder den ganzen Berliner Schwachsinn. Nena, schön, die sind bekannt; die haben ihren Nr. 1-Hit gehabt, weil Alex von Borsig bei Rodney das Tape vergessen hat.“

Für Blixa Bargeld war es ein langer Weg vom Gründungsauftritt am 1. April 1980 über Übungssessions in Autobahnunterführungen, ersten Cassetten-Produktionen, mehreren Singles, der Debüt-LP KOL-LAPS bis zum internationalen Durchbruch mit DIE ZEICHNUNGEN. Heute bestehen die EN aus Blixa (voc/gtr), Alex von Borsig (synths/effects), den beiden Ex-Abwärts-Leuten Marc Chung (baß/metal/business) und FM einheit (metal/perc) sowie Endruh Unruh (metal/effects/perc), neben Blixa einziges Gründungsmitglied und Erfinder des Stahlschlagzeugs.

„Endruh ist der permanent Einstürzende. Man kann sich wunderbare Sachen ausdenken und sicher sein, daß er garantiert quergeht.“

Kann man ihn als musikalischen Kopf der EN bezeichnen?

„Als musikalische Sehne, nicht als Kopf sondern als… „

Achillessehne?

„Ja, das auch, damit meinst du ja etwas sehr verletzliches. Mit ihm gehst du immer ein Risiko ein. Es ist ja unser Konzept, Dinge zu planen und dann auch wieder zunichte zu machen, also in ungeplante Gebiete zu transportieren. Insofern ist er ein Muskel der Gruppe. Der Herzmuskel.“

Wie hast du selbst damals auf seine Vorstellungen reagiert?

„Ich rede ihm nicht rein, wenn wir im Studio sind und er etwa Unmengen Hundfleisch anschleppt und das aufnimmt. Man hört es ja auch überhaupt nicht, weil Hundefleisch nunmal nicht so laut ist. Und doch ist es ein wesentlicher Teil von dem, was das Stück nachher ausmacht: einfach die Tatsache, daß er es da angeschleppt hat und wir thematisch und von der ganzen Atmosphäre her das Stück weiter in diese Richtung entwickelt haben. Selbst wenn die Gegenwart des Hundefleisches nicht hörbar ist.“

Gibt es heutige Musik, die du gut und wichtig findest?

„Natürlich. Ich fühle mich nicht als Außenseiter. Wir fühlen uns durchaus teilhabend an einem internationalen Prozeß, der überall stattfindet. Test Department. .. Psychic TV… und natürlich die alten Birthday Party. Mit ihnen sind wir in London aufgetreten, auch als sie in Berlin lebten, haben wir Aufnahmen zusammen gemacht. Sie haben dieselbe Intensität wie wir. „

Was sind eure Pläne?

„Wir machen jetzt eine Platte mit Liebesliedern. Zeitgemäße Liebeslieder in einer angemessenen musikalischen Struktur. Davon gibt es viel zu wenig.“

Was die Einstürzenden Neubauten von den zahllosen, obskuren Bands der „industrial music“ unterscheidet, liegt in der Emotionalität begründet, mit der Blixa von Sehnsucht, Zusammenbruch und Trauer in dieser Welt singt.

Heute ist Blixa Bargeld bereits ein Objekt diverser Titelblätter. Leider ist seine Musik dabei fast unerkannt geblieben, denn allein schon sein Gesicht kann Menschen ungewollt und unauslöschlich im Gedächnis bleiben. Vielleicht ist er der deutsche Johnny Lydon-Rotten, der in einigen Jahren einmal seine Stimme und verstimmte Gitarre vor einer New Yorker Sessioncrew schwingt, Großarenen füllt und Live-Doppel-Alben mit alten Klassikern vor begeisterten Japanern herausbringt…?