Elijah Hewson von Inhaler im Interview: „Ich möchte nie mit einem Album zufrieden sein“
Der Sänger der Band im Gespräch über Berlin, Dylan, Shame, das Älterwerden und den Wunsch, gemocht zu werden.

Inhaler brachten vergangenen Februar ihr Album OPEN WIDE heraus und sind seit April auf Tour durch Europa – ab Juni geht es sogar nach Australien und Japan. Am 3. Mai spielten sie aber zunächst einmal in der Columbiahalle in Berlin. Ein paar Stunden vor der Show hatten wir die Möglichkeit, mit dem Frontmann Elijah Hewson zu sprechen. Es ging um die deutschen Fans, peinliche Band-Momente, das aktuelle Album und wie die Musik von Inhaler überhaupt entsteht. Ganz nebenbei verriet er sogar, dass die nächste Platte wahrscheinlich nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt.
ME: Heute Abend gebt ihr eines von vier Konzerten eurer Tour in Deutschland. Spielt ihr gerne Konzerte in Berlin oder in Deutschland im Allgemeinen?
Elijah Hewson: Ja, wir haben es schon immer geliebt, seit wir angefangen haben, in Deutschland zu spielen. Wir haben vor Jahren diese eine Festival-Show in Hamburg auf der Reeperbahn gespielt. Ich glaube, das war unser erster deutsche Auftritt überhaupt, und wir waren noch sehr jung, aber es hat einfach so viel Spaß gemacht.
Du magst also die deutschen Fans?
Ja, ich liebe sie. Sie sind sehr, sehr nett zu uns.
Habt ihr Lieblingsstädte für eure Konzerte, außer wahrscheinlich Dublin?
In Deutschland?
Nein, im Allgemeinen.
Nun, Hamburg ist eine. Offensichtlich auch wegen der Beatles-Geschichte da. Aber Berlin macht uns schon sehr viel Spaß. Ja, ich denke, es ist Berlin. Ich weiß nicht warum, aber es scheint so, als ob hier immer mehr Leute bereit sind, sich in der Nacht auszutoben.
Als ich anfing, mich auf dieses Interview vorzubereiten, bin ich auch auf TikTok unterwegs gewesen und habe eine Gruppe von Mädchen aus Deutschland gefunden, die Tickets für viele eurer Shows auf dieser Tour gekauft haben. Ich glaube, sie werden heute Abend auch hier sein. Erkennst du manchmal Gesichter in der Menge wieder, wenn du auf der Bühne stehst?
Ja, es gibt ein Trio von Mädchen, die bisher bei jeder Show dieser Tour dabei waren, was verrückt ist. Es ist lustig, so etwas zu sehen. Es ist seltsam: Ich erinnere mich, wie wir angefangen haben, und wir hatten bestimmte Fans um uns herum, die ich jetzt nicht mehr sehe. Aber man fühlt sich in vorherige Konzerte zurückversetzt, wenn man diese Fans in der Menge sieht. Es ist schön zu spüren, dass die Leute zurückkommen und eine Verbindung zur Band haben, denn das ist der Grund, warum wir das tun, weißt du? Wenn jeden Abend neue Leute kommen, ist das ebenfalls großartig. Aber ich denke, die Tatsache, dass man immer noch eine Verbindung zu den Leuten hat, die vor Jahren hier waren, ist einfach erstaunlich.
Setzt euch das zusätzlich unter Druck, wenn ihr wisst, dass es Leute gibt, die eure Shows miteinander vergleichen können?
Ja, ja, ja, auf jeden Fall! Und sie fragen immer nach Songs, die wir seit Jahren nicht mehr gespielt haben. Und wir sind so: „Das haben wir ewig nicht mehr geübt.“
Spielt ihr die Songs dann?
Das können wir nicht wirklich. Offensichtlich haben wir ein neues Album herausgebracht, also versuchen wir, so viel wie möglich daraus zu bringen. Aber weißt du, sie haben nach einem Track wie „Falling In“ gefragt. Diesen Song liebe ich besonders, aber ich kann ihn nicht mehr singen. Ich glaube, ich war 19, als wir ihn geschrieben haben, und meine Stimme war viel höher. Also ja, es ist schwieriger, einfach zu sagen: „Oh ja, wir werden das locker spielen.“ Nur die Red Hot Chili Peppers können das, aber wir nicht.
Erinnerst du dich an die peinlichste Sache, die dir oder einem deiner Bandkollegen jemals auf der Bühne passiert ist?
Ja! Ich bin nicht sicher, ob ich das sagen kann … (lacht) Er wird mich dafür umbringen, dass ich das sage. Aber ich erinnere mich, dass wir vor langer Zeit in Newcastle von der Bühne kamen und wir alle zurück in der Garderobe waren. Aber Ryan (McMahon, Schlagzeuger, Anm. d. Red.) fehlte und wir hörten Schreie, die von der Bühne kamen. Wir fragten uns: Wo zum Teufel ist Ryan? Und dann erinnere ich mich, dass jemand ein Video zeigte, das ein Fan auf seinem Handy hatte, und in dem Moment stand Ryan auf der Absperrung und machte ein Selfie mit der Menge, und dann fiel er einfach mit dem Gesicht in die Menge. Das war ziemlich peinlich für ihn. Ich entschuldige mich, Ryan, wenn du das hörst. Aber ja, das war ein Tiefpunkt für unsere Band. (lacht)
Gibt es irgendetwas Peinliches, das dir passiert ist, das du erzählen willst?
Viele Dinge. Texte zu vergessen, ist auch sehr peinlich. Das passiert oft. Ich vergesse ständig Texte. Oft hält jemand in der Menge ein Schild oder so hoch, und ich versuche, mich gleichzeitig an den Text zu erinnern, und dann verschwindet er einfach aus meinem Kopf. Manchmal singen die Leute den Text, also versuche ich, mich auf sie zu konzentrieren und zu erkennen, was sie singen. Ich falle auch oft hin. Ich glaube, weil ich sehr schwere Stiefel trage. Das gehört einfach zum Game dazu.
Ihr spielt momentan größere Gigs als auf eurer vorherigen Tour, aber kannst du dich noch an das allererste Konzert erinnern, das ihr alle zusammen als Band gespielt habt?
Ja, eigentlich ist es komisch, es ist heute bei mir auf YouTube aufgetaucht. Es gibt ein Video von uns, wie wir 2018 im Workman’s spielen und wir sehen aus wie Babys. Es ist so süß. Ich kann mich so gut daran erinnern, denn es war das erste Mal, dass die Leute den Text unserer Musik mitgesungen haben, und es war ein Gänsehaut-Moment. Es war total surreal. Es gibt ein Video von mir, wie ich bei diesem Gig ein Cover von Joy Division singe und es fühlt sich für mich an, als wäre es gestern gewesen. Auf eine seltsame Art und Weise ist es so, als ob nichts passiert wäre, aber alles hat sich verändert. Es ist unglaublich, das dokumentiert zu haben. Ich werde es mir wahrscheinlich noch jahrelang ansehen. Ich meine, ich habe es nicht angeklickt, aber ich bin sicher, dass ich es mir irgendwann in der Zukunft ansehen werde. Ich könnte die Peinlichkeit nicht ertragen, mir das jetzt anzuschauen. Es war aber eine unglaubliche Nacht.
Hast du immer noch Gänsehaut, oder fühlt es sich jetzt anders an, wenn du auf der Bühne stehst?
Ja, ich glaube schon, aber ich glaube, aus anderen Gründen. Ich denke, dass wir damals nicht wussten, dass wir das wirklich können. Also denke ich, dass ich heute Gänsehaut bekomme, wenn ich Sachen mache, die man nicht wirklich gut beeinflussen kann. Wie zum Beispiel das, was an dem Abend in der Luft liegt, oder wenn wir das Gefühl haben, dass wir wirklich gut spielen und das Publikum genau da ist. Das sind Sachen, die man nicht wirklich beeinflussen kann. Aber wenn damals jemand für uns gejubelt hat, dann hatte ich Gänsehaut. Ich glaube, es ist einfach so, dass es wie eine Art von chemischer Reaktion ist, die passieren kann. Das ist das Erstaunlichste.
Ihr kennt euch schon seit eurer Jugend und macht seither gemeinsam Musik. Hat sich euer Verhältnis zueinander verändert?
Ich glaube, wir sind alle ein bisschen älter geworden (lacht) und sind nicht mehr so blauäugig. Wir sind uns viel näher gekommen, aber ich glaube auch, dass wir jetzt noch mehr zusammenarbeiten. Früher war es wie ein Hobby, jetzt ist es ein Job. Das verändert die Dynamik. Es gibt eine Menge Verantwortung und dieser Druck, der damit einhergeht, kann manchmal ein wenig antagonistisch sein. Aber wir stehen uns immer noch alle sehr nahe und ich bin erstaunt, dass es schon über zehn Jahre sind, die wir das so machen. Ich glaube, wir haben zu dritt angefangen, zusammen Musik zu machen, als wir 13 waren. Das ist also eine verdammt lange Zeit.
Habt ihr als Band einen Song oder ein Album, der für euch eine gemeinsame Bedeutung hat?
Ja, es gibt von der Gruppe Shame das Album SONGS OF PRAISE, von dem wir alle besessen waren, als wir unsere Band gegründet haben. Ich habe tolle Erinnerungen daran, wie wir sie uns gemeinsam angesehen haben und Fontaines D.C. sie als Support begleitet haben. Es war einfach verrückt, wenn ich daran so zurückdenke. Und wir fühlen es noch sehr. Es ist einfach so, dass wir an diesem Punkt Nostalgie dabei empfinden. Shame sind sowieso großartig.
Von wem bist du wirklich ein großer Fan?
Mein größter musikalischer Crush ist wahrscheinlich Bob Dylan. Das ist so offensichtlich, aber es ist einfach einer von denen, denen ich nie entkommen kann. Und es ist eigentlich erst kürzlich passiert. Ich stand nie auf ihn, aber ich glaube, im Laufe der Pandemie wurde das zu meinem Ding. Und The Stone Roses und Ian Brown. Es gibt viele. Ich meine, ich könnte ewig weitermachen. The Strokes waren ein großer Einfluss für uns, und die Arctic Monkeys. Dieses 2000er-Indie-Ding, das ist wie Gott für uns alle.
Lass uns dazu kommen, wie ihr Musik macht. Wenn ihr ein Album aufnehmt, habt ihr dann immer die gleiche Herangehensweise, oder ist es von Mal zu Mal anders?
Ich glaube, bei diesem Album war es ein bisschen anders, weil wir nicht denselben Produzenten hatten. Ursprünglich haben wir einfach Demos auf dem Laptop gemacht oder wir haben etwas im Studio gespielt, und für das erste Album haben wir diese Songs über Jahre hinweg entwickelt und dann aufgenommen. Wir hatten also Songs auf unseren Laptops, die wir Tom, dem Produzenten, geschickt haben, und er sagte: „Das gefällt mir, das gefällt mir nicht.“ Dann mussten wir einfach ins Studio, aber wir hatten sie vorher nicht wirklich als Band gespielt. Aber normalerweise haben wir Demos, die lange auf der Festplatte lagen. Ich wünschte, es gäbe einen Prozess, denn das würde vieles einfacher machen, aber es fühlt sich immer ein bisschen anders an. Das war aber nicht immer so. Wir sind schon seit 2015 dabei, was verdammt seltsam ist.
Hast du ein bestimmtes Ziel, wenn ihr ein Album macht, das du im Hinterkopf hast, wenn du im Studio bist?
Das Endziel ist irgendwie verschwommen. Man kann es fast sehen, und dann ist der ganze Prozess nur der Versuch, sich darauf zu konzentrieren, und dann kommt man ihm vielleicht wirklich nahe, vielleicht aber auch nicht. Ich glaube, bei diesem Album hatten wir definitiv eine feste Vorstellung davon, wie es klingen sollte. Wir wollten, dass es sehr stromlinienförmig und aerodynamisch ist, denn auf den letzten Alben haben wir einfach alles reingepackt und alles ausprobiert. Aber das hier basierte sehr auf Instinkt. Wir wollten so klingen, wie all diese Bands, auf die wir damals standen, als wir 17 und 18 waren. Aber stellenweise etwas härter, trotzdem auch sehr poppig.
Was ist dir wichtiger, wenn du Musik machst: Für dich selbst glücklich und zufrieden damit zu sein oder positives Feedback von deinen Fans zu bekommen?
Wenn du mich das vor fünf bis sechs Jahren gefragt hättest, hätte ich wahrscheinlich das Letztere gesagt. Denn das war es, was ich für Freude hielt: Etwas zu erschaffen, das anderen Leuten gefallen würde. Das hat mir dann auch gefallen. Aber jetzt haben wir erkannt, dass wir diese Songs für den Rest unseres Lebens spielen müssen, wenn die Leute sie mögen. Also ist das Wichtigste für uns jetzt einfach, dass wir hinter ihnen stehen können. Ich könnte mir vorstellen, dass wir das in 30 Jahren spielen und es nicht hassen. (lacht) Ich denke also, dass sich unsere Perspektive definitiv geändert hat, was lächerlich ist, weil wir das schon immer hätten tun sollen. Aber ja, ich weiß nicht. Ich glaube, wenn man jung ist, will man, dass die Leute einen mögen. Man will sich akzeptiert fühlen.
Welche Emotionen inspirieren oder motivieren dich am ehesten, einen Song darüber zu schreiben?
Anxiety ist wahrscheinlich eine große. Das war ein großer Antrieb. Oh mein Gott, selbst jetzt fühle ich das. Nach dieser Tour müssen wir ein weiteres Album machen. Das kann sich wie eine große Last auf deinen Schultern anfühlen. Wenn du weißt, dass du es bis zum Sommer fertig haben musst, weil wir es danach herausbringen wollen. Das ist ein schreckliches Gefühl. Wir schreiben natürlich auch viel über die Liebe, weil das einfach so ein riesiges Thema ist. Aber dann gibt es einen Song namens „My King Will Be Kind“, den ich über Incels geschrieben habe. Wir sind selten politisch geworden, aber aus irgendeinem Grund habe ich ihn geschrieben. Das war einer, der irgendwie von Traurigkeit geleitet war. Ich erinnere mich an die ganze Zeit ab 2016 und weiter. Es gab viel Terror und das Internet wurde zu dem, was es jetzt ist. Es ist irgendwie ein hervorstechender Song.
Würdest du noch einmal so einen Song schreiben wollen?
Jetzt ja. Ich glaube, weil dieser Song, wenn wir ihn spielen, sich immer so anfühlt, als würde er die Luft aus dem Raum saugen. Du weißt schon, auf eine gute Art und Weise. Er hat ein bisschen mehr Gewicht als die anderen Songs, und ich denke, jetzt, wo ich älter bin, ist das etwas, das ich erforschen möchte. Du weißt schon, in den Texten und so. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, diesen Song geschrieben zu haben. Es war einfach eine Flut von Dingen. Also wäre es aufregend. Ich denke, dass wir das auf jeden Fall gerne machen würden.
Weißt du, welche Botschaft ein Song wie dieser haben würde, wenn du ihn jetzt schreiben würdest?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das weiß. Ich denke, unsere Songs haben immer etwas Fröhliches an sich. Ich glaube, es ist so einfach, einen traurigen Song zu schreiben. Wir haben hunderte von Tracks, die wir nie veröffentlicht haben, die wirklich traurig sind. Ich glaube, Freude ist irgendwie uncool geworden, auf eine seltsame Art und Weise. Also denke ich, wenn wir das machen würden, würden wir wollen, dass Freude irgendwie das Ergebnis davon ist. Sei es durch Trotz oder so.
In anderen Interviews habt ihr gesagt, dass euer vergangenes Album OPEN WIDE endlich so klingt, wie ihr es wolltet. Wie war der Prozess, euren eigenen Sound zu finden?
Oh, das war wirklich schwierig. Es ist eine Menge Arbeit, dorthin zu gelangen. Ich denke, das Wichtigste ist, sich selbst zu vertrauen. Ich glaube, man kann sich ein bisschen verirren. Es gibt so viele Meinungen, die sich um einen herumdrehen. Wenn man Shows spielt und was die Leute hören wollen. Aber ich glaube, das klingt so offensichtlich, aber um wirklich dorthin zu kommen, wo man sein will, muss man auf sich selbst hören und seinem Bauchgefühl folgen. Das ist eigentlich ziemlich schwer zu tun. Es hat auch den größten Unterschied gemacht. Ich liebe es, diese Songs zu spielen, weil ich wirklich spüren kann, dass wir hinter jeder Entscheidung standen und wir uns wirklich nur darauf konzentriert haben, und ja, es ist großartig.
Gibt es Momente, in denen du dir ältere Songs anhörst und dir vielleicht denkst, dass du das jetzt anders angehen würdest?
Oh, ja, ja, ja, definitiv! Die ganze Zeit.
Bei jedem Song?
Ja, bei jedem Song. Ich denke immer, ich hätte das anders machen sollen oder was auch immer. Aber das ist etwas, das ich nicht verlieren will. Ich denke, das zu begrüßen und trotzdem einfach zur nächsten Sache überzugehen, ist etwas, das ich nicht verlieren möchte. Ich möchte nie mit einem Album zufrieden sein und dann sagen, dass wir nie wieder ein neues machen müssen. Ich glaube nicht, dass ich jemals so sein werde. Ich denke, das ist eine gute Sache.