Popkolumne, Folge 178

Endlich normale Leute: Paulas Popwoche im Überblick


Paula Irmschler über Instagram, Kuhmilch, Normies, TikTok und Kommunismus.

Puh, eine weitere Woche überstanden, in der ich niemandem erklären musste, warum ich dieses Kate-Bush-Lied nicht gut finde. Weiter geht’s.

Hallo erstmal! Mir kommt es vor, als sei in den letzten zwei Wochen so viel passiert, wie sonst vielleicht in… zwei Monaten. Früher hätte man noch Jahre gesagt, aber der Drops ist spätestens seit 2020 gelutscht. Also, rein ins Thema. Ich schwöre, Folgendes ist gestern wirklich passiert: Ich saß im Zug mit der festen Überzeugung, mich in nobody’s business einzumischen und nobody’s business zu werden. So machen wir Pendler*innen das, Augen zu oder auf uns selbst gerichtet, Kopfhörer, Schotten dicht. Wie Ted Mosby mit dem sensory deprivator, das bin ich. Normalerweise.

Ted Mosby

Vor mir saß ein Mädchen oder eine junge Frau und ich möchte nochmals schwören: Ich gucke NIE auf die Handys anderer Personen, aber es passiert im Zug hin und wieder im Vorbeilaufen oder wenn jemand vor einem sitzt, dann schaut man als respektvoller Mensch eigentlich sofort wieder weg. SIE hielt das Handy aber so derbe hoch und so sehr auf mich gerichtet, dass ich ein paar Sekunden zu lange drauf sah, shame on me!

In kürzester Zeit passierte Folgendes: Sie war auf dem Profil einer Insta-Frau, die aussah wie alle Instafrauen, klickte dort auf eine Verlinkung zu einer anderen Frau, die auch aussah wie alle Instafrauen, dort wiederum auf einen Link zu einem Shop, dort auf die dort ausgestellte Hose, schaute nach ihrer Größe, ab in Warenkorb, dann Klick zurück, wieder auf die zweite Instafrau, wieder Klick auf den Shop, Klick auf ein Oberteil, Größe, ab in den Warenkorb, bestellt, zurück auf Insta, weiterscrollen, jemand ging live. Ich kam wieder zu Sinnen und schaute sofort auf Twitter um mich abzulenken. Es war wie in so einem Erziehungsvideo, wo man gewarnt werden soll was Instagram mit uns macht. Die ganze Sache ging so schnell, es dauerte nicht länger als ein Tik Tok.

Auf Scheißtwitter (erlöse uns doch endlich, Elon Musk!) habe ich glücklicherweise letztens einen so tollen Account entdeckt, und zwar den der Journalistin Jessica DeFino. Sie setzt sich immer wieder kritisch mit der Beauty-Industrie auseinander, und der Verlogenheit des neoliberalen „Choice“-Feminismus, also dem Feminismus, bei dem Frauen auf Instagram so tun als wäre es jetzt Empowerment, dass man genau die Sachen macht, die früher Zeitschriften einem vorgegeben haben plus noch viel mehr. Aber man wählt halt die unwirksamen Cremes jetzt selbst aus, nachdem sie von einer voll unabhängigen Influencerin empfohlen wurde. Ich bin jedenfalls sehr erleichtert, dass es noch solch kritische Leute gibt, nachdem mir letztens von der Apothekerin in meinen Medikamenten-Beutel tatsächlich irgendeine Hyalurontestcreme reingelegt wurde, während ich einfach nur was gegen meine barbarischen Schmerzen untenrum wollte.

Twitter Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Twitter
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Paar Tage später war ich auf einem Die-Ärzte-Konzert und da habe ich gedacht, dass ich lange nicht mehr so viele „normale“ Leute auf einem Haufen gesehen habe und seitdem denke ich über das Wort NORMAL nach. Leute, die normal aussehen. Leute, die normal reden. Leute, die normale Dinge tun. Jetzt werden die Leute im Internet fragen: Was ist schon normal? Und das geschah dann so ähnlich ja auch.

Twitter Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Twitter
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Ich weiß, was solche Nachfragen bedeuten und ich weiß, warum es wichtig ist, das Wort normal zu hinterfragen, aber gleichzeitig gibt es eine große Menge an Leuten, die sich und ihre Gewohnheiten als normal bezeichnen würden und die damit eine Lebenswelt meinen, mit der sich eben viele identifizieren können, die womöglich sogar verbindet. Vielleicht geht es um Durchschnittlichkeit, ums Nichthipsein, um das sogenannte „einfache Leben“, um Mainstream, um STANNI, um basic bitches. So zu tun, als wäre zum Beispiel Hafermilch nicht immer noch schwerer erschwinglich für viele, weswegen man mit Kuhmilch aufwächst, und als wären diese ganzen Ehrenfeldläden, die sich irgendwas mit Werkstatt, Liebe oder Fabrik nennen und wo eben nicht jeder zum Speis und Trank vorbeikommt, weil man dort nur noch reich wohnen kann, nicht einfach nur Gentrifizierung mit pseudoindividuellem Antlitz – vielleicht ist das ja einfach elitär.

Wir haben auf dem Ärzte-Konzert jedenfalls dann Bratwurst gegessen wie so ein hängengebliebener „Welt“-Journalist, aber es gab auch keine Alternativen. Viel schöner war, dass niemand aussah wie auf Insta. In der Bahn machten wir dann „Westerland“ an, alle sangen mit, und wir dachten an die Punks, die genau an diesem Abend gerade auf Sylt chillten. Endlich normale Leute, Dank 9-Euro-Ticket.

Und wo ich mich über Kapitalismusverarschen schon mal warmgequatscht habe – diese Beobachtung hier ging kürzlich viral:

Twitter Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Twitter
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Und tatsächlich: Das Gejammer der großen Stars über den Tik-Tok-Druck ihrer Labels ist nicht mehr zu überhören, selbst wenn man gar nicht dort angemeldet ist. Halsey behauptete sogar, ihr Label würde ihren Song erst rausbringen, wenn er ein viraler Hit würde. Jetzt müssen wir wirklich alles selbst machen, Leute. Auch die Promo für die Stars sollen wir nun übernehmen. Früher wurden noch Radiostationen bestochen, dann die Streaming-Playlisten-Macher*innen, und nun müssen wir selber ran. Aber es geht natürlich nicht nur ums Geld. Sondern um die Sache. Wir sind eine Gang mit den reichen Sängerinnen, die so tun als wären sie Indie-Artists, es ist hier und da sogar feministisch, wenn wir sie supporten, wegen Girlbosses, Queeeeens. Und wenn es nicht klappt, müssen wir uns schuldig fühlen, weil wir nicht genug gekämpft haben … Holy shit, give us a break, capitalism.

Und da hatte die wunderbare Autorin Elisa Aseva so eine Idee:

Twitter Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Twitter
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Eigentlich ist das Gespräch thematisch sehr umfangreich. Sie erzählt Samira El Ouassil und Friedemann Karig, weshalb sie als Teenager mal aufgehört hat, zu schreiben, über einflussreiche Frauen in ihrem Leben, um die Erfahrung als eine, die im Kinderheim aufgewachsen ist und später nach Berlin gezogen ist, wie sie wieder zurück zum Schreiben kam und so weiter. Rechte, Liberale, aber auch Grüne titschten natürlich aus auf das K-Wort und ein tagelanger Shitstorm gegen Aseva begann, der auch immer noch läuft.

Natürlich hat sie Recht, mit allem was sie sagt. Natürlich brauchen wir grundlegende Änderungen, weil wir Wohnungen brauchen, Lebensmittel, Freiräume, Möglichkeiten zur Aufnahme von Schutzsuchenden, Antworten auf den Klimawandel, Solidarität. Weil natürlich das das good old Normalste ist: die Arbeiterklasse.

Bis dahin (Kommunismus) kann man auch hier mal unterschreiben, der Petition zur Kampagne #ichbinarmutsbetroffen.

So, und zur Auflockerung am Schluss noch ein Meme zur Schwedendebatte, thematisch auch verwandt:

Bingewatching als Strafe: 11 Gründe, warum die 4. Staffel „Stranger Things“ nervt

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Screenshot
ME