Es begann im Proberaum


Trotz Midi-Studios und Home Recording ist der Proberaum auch weiterhin DIE Keimzelle der musikalischen Do-It-Yourself-Bewegung. Die Wartelisten sind weiterhin lang, mittlerweile sind aus versprengten Kohlekellern mit Eierpappen-Dämmung regelrechte Konzepte zur Umnutzung von Alt-Immobilien entstanden. Zwei Momentaufnahmen über eine Bewegung zwischen Förderung und Geschäft.

Eine Straßenbahn-Haltestelle in Berlin-Marzahn. Eine sechsspurigen Straße, jede Menge trostloser Beton und gleich nebenan ein großes Industriegelände. Kreative Orte sehen anders aus. Weiter hinten grüßt das siebenstöckige ORWO-Haus, „die lauteste Platte der Stadt“. Sonderlich lärmig geht es an diesem Nachmittag allerdings nicht zu. Auch im zentralen Büro in bester 70er-Jahre-DDR-Ästhetik verzichtet man auf jede Hektik. Pressemann Geoffrey Vasseur, der vor Jahren selbst hier geprobt hatte, kocht vor dem Rundgang in Ruhe Kaffee. Dann geht es hinein ins Labyrinth, das bis zur Wende vom Filmhersteller ORWO betrieben wurde und nun Heimat von rund 700 Musikern ist.

Nachdem Feuerwehr und Bauamt massive Brandschutzmängel anmahnten, kündigte die damalige Eigentümerin, die Treuhandliegen-schaftsgesellschaft (TLG) alle Mietverhältnisse fristlos. Als Gegenmaßnahme gründeten die Musiker den ORWOhaus e.V. und machten mit Konzerten, und Protesten auf sich und ihr Haus aufmerksam. Das rege Medieninteresse brachte politische Unterstützung, sodass der Verein das ORWO-Haus 2005 von der TLG kaufen konnte. Gefördert von der Deutschen Klassenlotterie, konnte das Gebäude saniert und die nötigen Auflagen erfüllt werden. Seitdem wird stetig am Konzept des ORWO-Hauses weitergearbeitet. „Mit etwas Engagement und einer guten Idee funktioniert die viel beschworene Vernetzung unter Musikern. Da darf man sogar etwas stolz drauf sein“, sagt Geoffrey Vasseur, als er uns die lichtdurchfluteten Räume und Gänge zeigt. Die Vergangenheit ist stets präsent. Ex-Industrie trifft auf Subkultur. „Natürlich gibt es noch Visionen. Den Keller würden wir gern zur Konzerthalle ausbauen. Und auch eine Druckerei für eigenes Merchandise ist in Planung. Ein Tonstudio gibt es schon. Dieses Haus bietet einfach unglaublich viele Möglichkeiten. Das ORWO-Haus soll nicht nur Proberaum-Zentrum sein, sondern auch Studio, Presswerk, Druckerei für Merch-Artikel und Konzertbüro. Allerdings fehlt noch das Geld für die Umsetzung.“ Idealismus ist stets zu spüren, im grauen Alltag bleibt allerdings oft nur der nüchterne Blick auf die Finanzen. „Manchmal ist es frustrierend. An Ideen mangelt es nicht, doch Budget und Personal fehlen an allen Ecken. Die geplante Konzerthalle muss deshalb zunächst auf Eis gelegt werden, da wir die Brandschutzbestimmungen nicht erfüllen können.“ Trotz solcher Rückschläge konnte die Initiative das kulturelle Klima in Marzahn spürbar verbessern. Die Straße vor dem ORWO-Haus heißt jetzt Frank-Zappa-Straße und inzwischen ziehen immer mehr Musiker ins herbe Beton-Viertel. Zu den neuen Mietern zählt etwa die dänische Band Duné. Prominenz und Newcomer proben Tür an Tür. „Die etablierten Gruppen sichern uns die festen Einnahmen, was uns die Möglichkeit gibt, bei klammen Anfängern auch mal weniger streng sein zu müssen, wenn am nächsten Ersten keine Miete auf dem Konto ist. Das verstehen wir dann als Unterstützung und Förderung. Schließlich soll mit der Vermietung kein großer Profit gemacht werden, sondern Popkultur aktiv und pragmatisch gefördert werden.

Ganz andere Gedanken hatte Falkner Lohmann aus Hamburg, als er 1985 den Bunker in der Eiffestraße kaufte. „Ich suchte Lagermöglichkeiten für meine Antiquitäten. Der Bunker erschien mir ideal.“ Sofort interessierten sich diverse Bands für die Räume. Lohmann erkannte schnell eine Marktlücke. Nun gehören ihm sechs Bunker in Hamburg, das Antiquitätengeschäft hat er aufgegeben. Mittlerweile hat er sich gemeinsam mit seinem Sohn auf das Bunker-Geschäft spezialisiert. Doch anders als in Berlin steckt bei Lohmann keinerlei Konzept zur Förderung der lokalen Kultur hinter dem Projekt. Der Rentner ist vor allem Bunker-Spezialist, immer eine passende Anekdote auf den Lippen. „Die Bunker gehören zum Stadtbild. Überall findet man sie. Ich würde gern weitere kaufen. Genug Mieter hätte ich.“ Zudem bieten die Bunker mit ihrer zentralen Lage und den dicken Wänden optimale Bedingungen. „Ich habe zusätzlich noch Entlüftungsanlagen einbauen lassen, sodass die Räume trocken bleiben.“ Wirkliches Flair kommt allerdings nicht auf, wenn man die Räume betritt. Dicke Stahltüren und große Schlösser sichern die meist kleinen, fensterlosen Räume. Tobias Noormann, Schlagzeuger bei Mikroboy, hat hier eine kleine 12-qm-Kammer angemietet, um sein Schlagzeugspiel zu verfeinern: „Ich probe hier wirklich nur. Hier gibt es weder Handyempfang noch Internet. Man kann nichts anderes machen, als ernsthaft zu üben. Doch es wird oft stickig und die Atmosphäre ist nicht gerade inspirierend. Jeder werkelt in seiner Kammer vor sich hin. Von den anderen kriegt man nicht viel mit.“

Dennoch ist die Warteliste lang. Die dunklen Räume sind begehrt. Einige Bands haben sogar Untermeiter, um Kosten zu senken. Lohmann stört es wenig. Stattdessen verweist er auf aktuelle Umbaumaßnahmen, wobei der Denkmalschutz penibel geachtet wird. Restaurierte Türen aus den 1940er-Jahren stehen zum Einbau bereit. Ein eigenes Büro für Vermietung und Verwaltung wird installiert.