Faith No More


Gitarristen pflastern ihren Weg. Nach Jim Martin und Trey Spruance darf jetzt sogar der Roadie ran. Dean Menta greift in die Saiten, Mike Patton zieht die Fäden - und läßt an den Kollegen von Pearl Jam kein gutes Haar.

Der große Krach deutete sich bereits vor zwei Jahren an, als Sänger Mike Patton seinen Gitarristen bei Live-Auftritten beschimpfte, und sich die beiden vor versammelter Mannschaft fast geprügelt hätten. Aber erst jetzt ist der Split endgültig: Jim Martin, der Mann mit dem Ziegenbart, der Brille und dem Cowboyhut, gehört der Vergangenheit an.

Der Rest der Band fühlt sich nach dem Ende mit Schrecken endlich erlöst. „Klar hatte Jim ein besonderes Image, das die Fans mit der Band verbunden haben. Aber irgendwann mußt du dich entscheiden, ob du wegen des Stylings oder wegen der Musik im Geschäft bist“, sagt Bill Gould, Bassist und Mitgründer von Faith No More. Sänger Mike Patton geht sogar noch weiter: „Schon vor drei Jahren, während der Arbeit zu ‚Angel Dust‘, haben wir gemerkt, daß es mit Jim nicht mehr läuft. Bill hat ständig die Gitarrenparts übernehmen müssen, weil Jim mit unseren Ideen nichts anfangen konnte und alles abblockte. Wir haben uns musikalisch weiterentwickelt, er nicht! Zum Schluß war Jim doch nur noch ein Abziehbild seiner selbst.“ Die Auseinandersetzungen zwischen Martin und dem Rest der Band wurden nicht nur auf der Bühne, sondern auch durch unflätige Äußerungen gegenüber der Presse verschärft. Dennoch versuchte die Band lange Zeit, den exzentrischen Gitarrero wieder auf Kurs zu bringen. „Nach der ‚Angel Dust‘-Tour haben wir ein paar neue Songs geschrieben“, erzählt Drummer Michael Bordin, „und wir haben Jim wie immer darum gebeten, ein paar Gitarren-Parts beizusteuern, aber dazu war er nicht imstande. Er vertröstete uns immer wieder mit lächerlichen Ausflüchten.“ Erst als die Aufnahmen für das neue Album ‚King For A Day…Fool For A Lifetime‘ anstanden, gab man alle Bemühungen auf, und Jim Martin mußte die Koffer packen. Mittlerweile spielt er den Beleidigten und behauptet in Interviews, der Rest der Band habe die Hoffnung viel zu früh aufgegeben.

Wie auch immer, es dauerte noch einmal mehrere Monate, bis Ersatz gefunden wurde. Der Wunschgitarrist von Mike Patton, Geordie von Killing Joke, wurde für Sessions eingeflogen, aber die Band erkannte, daß der Engländer nicht mit dem Songwriting der Kalifornier klar kam. „Wir hätten niemals gedacht, daß es so schwierig ist einen Musiker zu finden, der auf unsere Ideen eingehen kann“, sagt Bill Gould. Letztlich war es Trey Spruance von Mike Pattons zweiter Band Mr. Bungle, der in die Bresche sprang und für ‚King For A Day…‘ verpflichtet wurde. Aber da Spruance mit eigenen Projekten komplett ausgelastet ist, wird zukünftig der ehemalige Faith No More-Roadie Dean Menta als Gitarrist mit von der Partie sein. Bereits bei der kommenden Tour wird er auf – und nicht länger hinter – der Bühne stehen.

Auch ein weiteres Mitglied der Band bereitet den Kollegen momentan Probleme: Keyboarder Roddy Boddum, Ur-Mitglied seit 1980, taucht beim neuen Album nur auf vier Songs auf. „Er hat Drogenprobleme“, sagt Mike Patton unverblümt, „aber das Schicksal ist auch sonst hart mit ihm umgesprungen. Erst ist sein Vater gestorben und wenig später ein guter Freund.“ Gemeint ist Kurt Cobain, mit dem Boddum oft seine Freizeit verbrachte. Roddy kennt auch den Rest der Familie, mit Courtney Love telefoniert er auch heute noch immer mal wieder.

Boddums Probleme haben letztendlich dazu beigetragen, daß das fünfte FNM-Album wieder härter – und nicht so bombastisch – klingt wie ‚Angel Dust‘. Alle in der Band sind sich sicher, daß es jetzt nicht nur stimmungsmäßig, sondern auch musikalisch wieder aufwärts geht. „Wir kommen wieder gut miteinander aus und haben ein besseres Gefühl unserer Musik gegenüber. Es gibt endlich keine Konfrontationen mehr“, sagt Mike Patton hoffnungsvoll.

Hoffnung auf ruhigere Zeiten? Immerhin ist die Geschichte der Band äußerst wechselhaft, von der ersten Besetzung sind nur noch Gouid und Boddum übrig, Drummer Michael Bordin stieß erst 1981 zur Band aus der Bay Area. Auf dem Debut-Album ‚We Care A Lot‘ und dem Nachfolger „Introduce Yourself“ war noch Chuck Mosley der Sänger, der mit seiner neuen Band Cement gerade sein zweites Album vorgelegt hat. Der große Durchbruch gelang aber erst 1989, als Mosley von Mike Patton abgelöst wurde und die Fünf mit ‚The Real Thing‘ einen Meilenstein des neuen Genres Funk-Metal ablieferten.

Europa-Tourneen und eine stetig wachsende Fan-Gemeinde waren der verdiente Lohn für eine Band, die immerhin neun Jahre für den Erfolg kämpfen mußte. Nach dem Album ‚Live At The Brixton Academy‘ (1991), für das FNM drei Grammies kassierten, änderte sich die musikalische Landschaft in den USA radikal. Mit der ‚Grunge‘-Szene und Bands wie Nirvana, Pearl Jam und Alice In Chains setzte sich ein neuer Stil durch, den FNM bis heute nur ungern akzeptieren. „Sowas wie Pearl Jam habe ich früher im Autoradio meiner Eltern gehört“, spottet Mike Patton. „Das ist doch nichts weiter als reaktionärer Classic-Rock im Stil von Bad Company.“ FNM konterten mit ihrem vierten Album ‚Angel Dust‘, das mit über zwei Millionen verkauften Einheiten alle Erwartungen übertraf. Dennoch schien Patton wenig glücklich, wenn die Band nicht in kreativem Leerlauf enden sollte, mußte sich seiner Meinung nach Grundlegendes ändern. Die Konsequenz: Nach jahrelanger Zusammenarbeit verzichtete man bei ‚King For A Day…‘ auf den Produzenten Matt Wallace. „Matt wußte, was er von der Band erwarten konnte und umgekehrt. Alles war so sicher, so vorhersehbar. Wir wußten immer schon vor der Produktion, wie die Aufnahmen später klingen würden. Diesmal wollten wir einen neuen Sound, wir brauchten sozusagen ein Paar frische Ohren.“ Letztere gehören Andy Wallace (nicht verwandt mit Matt), der schon mit Rage Against The Machine und Slayer gearbeitet hat und ein gutes Gespür für jene einfachen Arrangements besitzt, auf die FNM mittlerweile Wert legen. Aber dennoch ist Raum geblieben für musikalische Ausflüge in die Grenzbereiche des Rock’n’Roll.

FNM haben ja ein Faible für Extravaganzen, wie ihre Version des Volksmusikschlagers ‚Schützenfest‘ (1992) und ihr Rendezvous mit den Samoa-Rappern Boo-Ya-Tribe auf dem Soundtrack-Album ‚Judgement Night‘ (1994) beweisen. Auch auf ‚King For A Day…‘ finden sich mit ‚Just A Man‘, das chinesische Harmonien mit Hard Rock kombiniert, oder ‚Take This Bottle‘, das mit Country-Elementen kokettiert, wieder ausgefallene Songs. „Wir wissen schließlich“, sagt Mike Patton, „daß wir mit dem Material eine lange Tournee bestreiten werden. Wir müssen uns bei Laune halten, was am besten mit guten Songs funktioniert.“

Für Abwechslung und Spaß wird auch auf den B-Seiten der künftigen FNM-Singles gesorgt sein, denn hier rollt ein breites Spektrum obskurer Cover-Versionen auf uns zu: Von der Bee-Gees-Schnulze ‚I Started A Joke‘ über G.G.Allins Fäkal-Hymne ‚I Wanna Fuck Myself‘ bis zu Omas Liebling ‚Spanish Eyes‘ ist alles dabei. Offenbar sind Faith No More wieder auf dem richtigen Weg.