Fashion & Fish


Ohne kundigen Stadtkenner enden London-Trips unweigerlich in den obligatorischen Touristenfallen. Daß es auch Leben jenseits der Portobello Road geben muß, ahnt ja der Besucher - nur genau wo? Ein allseits anerkannter Mann von Welt führte uns in seine Londoner Leib und Magen-Lokalitäten.

Es is halb zwölf an einem Dienstag Morgen. Wir haben Hochsommer, und die Jahreszeit verspricht eigentlich einen strahlend blauen Himmel – statt dessen gießt es wie aus Kübeln auf das Londoner Westend. Das bescheidene Wetter schlägt auch unserem Stadtführer auf den Magen. „Regen zieht mich richtig runter“, stöhnt er gequält. „An solchen deprimierenden Tagen möchte ich am liebsten keine Menschenseele sehen. Wenn ich morgens aufwache und diese graue Grütze sehe, geht meine gute Laune gleich in den Keller. „

Wie es das Schicksal aber nun einmal will, haben wir uns gerade diesen verregneten Tag herausgepickt, um unseren wasserscheuen Gastgeber aus seinem behaglichen Zuhause zu entführen. Ob Regen oder Schnee: Mit ihm wollen wir heute seine Londoner Lieblings-Lokalitäten ansteuern.

“ Ursprünglich wollte ich mit der absolut wundervollen Tate Gallery beginnen“, kichert er. „Wir hätten draußen einige Fotos machen können, um euren Lesern einen Eindruck dieser prachtvollen Architektur zu vermitteln. Doch bei diesem Wetter bleibt selbst die Kunst auf der Strecke.“

Es geschehe aber nicht selten, daß er sich mit ein paar Freunden spontan ins Taxi schwinge, zur Täte Gallery fahre, um dort stundenlang durch die heiligen Hallen zu flanieren. „Ein außergewöhnlich inspirierender Ort“, schwärmt er. „Es gibt so unzählig viele Bilder zu bestaunen. Wir sind keine Experten und fachsimpeln auch nicht über Perspektive, Maltechnik und sowas, sondern laufen nur mit offenem Mund herum und sagen:, Wow, schau dir das an!‘ oder , Wahnsinn, wer hat das denn gemalt?'“

Auch wenn er sich nicht als Experten versteht, haben die Wanderungen durch die Täte Gallery bei Holly Johnson ihre Wirkung nicht verfehlt: Er kauft und sammelt seit Jahren leidenschaftlich Gemälde – vorausgesetzt natürlich er kann sie sich leisten. „Letzte Woche habe ich mir ein Bild einer noch lebenden Malerin namens Mary Fedden gekauft. Sie malt sehr naiv, und doch destinktiv – Stilleben mit Früchten auf einem Tisch und sowas.

Was das teuerste Bild ist, das ich mir bisher gekauft habe? Um ehrlich zu sein, möchte ich über Geld grundsätzlich nicht sprechen. Das ist Privatsache und obendrein so furchtbar vulgär.“

Nun gut. Vielleicht verrät er uns dann den Namen des ersten Zieles unserer Spritztour…‘?

„Wir fahren zum , Worlds End‘. “ In den wilden Tagen der späten 70er Jahre hatte sich Malcolm McLaren zum Guru der Punk-Bewegung ausgerufen, indem er die Sex Pistols kreierte – und auf der Kings Road eine schrille Boutique namens „Sex“ eröffnete, die ausschließlich Punk-Klamotten verkaufte. Über die Jahre wechselten die Besitzer ebenso oft wie die Namen; heute heißt der Laden „Worlds End“ – und zählt unter anderem auch Holly Johnson zu seinen treuen Kunden.

„Ich würde nicht gerade behaupten, daß ich Stammkunde bin“, meint er, während er sich in ein grelles, großgestreiftes Jacket zwängt.

„Oh nein, in der Jacke erkenne ich mich überhaupt nicht wieder! Aber ich komme regelmäßig hierher, wenn ich ausgefallene Sachen für Video-Aufnahmen brauche. Erinnerst du dich an das Outfit, das ich im ,Love Train‘-Video trage? Dieses lila-blaue Ding mit dem Hut und den kurzen Hosen? Die stammen von hier. Aber da der Laden nicht gerade billig ist, komme ich nicht unnötig oft hierher.“

Billig sicher nicht, aber dafür extrem verrückt eingerichtet. Der Fußboden hat eine leichte Schräge, was die Fortbewegung etwas schwierig gestaltet und dem Besucher den Eindruck gibt, er stehe auf einem Piratenschiff bei Windstärke 10. Draußen schlägt eine Uhr nicht 12, sondern 13 – was wohl symbolisieren soll, daß dieser Welt ihr letztes Stündlein geschlagen hat.

„Alk Kollektionen in diesem Laden stammen von Vivienne ‚Westwood“, erklärt Holly, während er

uns durch die Räumlichkeiten führt.

„Sie ist die innovativsle Designerin, die England seil den 60er Jahren hervorgebracht hat. Wer voll auf Fashion steht und einen Trip nach London plant, kommt an diesem Laden eigentlich nicht vorbei. Sie haben hier zum Beispiel diese karierten Jacken, die ich früher oft getragen habe. Und der Hut, den ich aufhabe, stammt auch von hier. Er ist inzwischen mein bestes Stück und wird schon ganz offiziell der ,Holly-Johnson-Hut‘ genannt.

Holla, das Hemd lacht mich an!“

Er zieht eine blaue Kreation mit weißen Punkten heraus. „Obwohl mir das Schwarze mit den weißen Sternen noch besser gefällt. Aber das kann ich beim besten Willen nicht tragen, weil Craig von Bros schon eins hat. Wie teuer? 80 Pfund? Minus meinen 15 Prozent Rabatt? Hm, ich glaube, da kann ich nicht nein sagen. Wo ist mein Portemonnaie??“

„Die Kings Road“, sagt er, als wir um die Ecke zu unserem nächsten Ziel bummeln.

„ist allerdings schon lange mehr kein Ort fürs Shopping, sondern ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Man glaubt, mitten in einer Modenschau zu sein, die man vom Laufsteg auf die Straße verlegt hat. Besonders samstags triffst du hier alle nur erdenklichen Typen – von den Touristen aus der ganzen Welt bis hin zum prähistorischen Punk-Rocker, der den Absprung aus den 70ern verschlafen hat.

Was die Geschäfte anbetrifft, so hat die Kings Road ihre Ups und Downs. aber besonders dieser Laden dort gefüllt mir ausnehmend gut, weil da superfreundliche Leute arbeiten. Er heißt .American Classics‘.“

Der Laden ist nicht zuletzt deswegen unter Londoner Hipstern angesagt, weil hier die Teenieschwärme von Bros ihre gebrauchten Levis kaufen –

die mit den dekorativen Löchern am Knie. Auch ihre Lederjacken und die Halstücher stammen von hier. Holly legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß er „American Classics“ schon viel eher als die Bros-Brüder Goss entdeckt habe. „Du bekommst hier tolle Einzelstücke aus dem Amerika der 50er Jahre, mußt aber regelmäßig reinschauen, um nicht die Schnäppchen zu verpassen. Besonders dann, wenn sie gerade eine neue Lieferung erhalten haben. Sie bekommen immer einen ganzen Haufen toller Sachen aus Amerika – was umso ärgerlicher ist, wenn du zu spät kommst und dir die besten Sachen unter der Nase weggeschnappt werden. Eine echte Offiziers-Lederjacke aus den 40ern habe ich von hier, mit einer nackten Frau auf der Rückseite. Phantastisches Ding! Sie haben haufenweise super Krawatten und auch so essentielle Sachen wie klassische Pomade. Obendrein ist es erstaunlich billig, was ich immer ab positiv empfinde. “ Unser preisbewußter Shopper wühlt in einer Kiste und fischt ein Paar Jeans heraus, die ihm offensichtlich gefallen. Ungerührt zieht er, vor aller Augen, mitten im Laden seine Hose herunter und steigt in die Jeans. „Uuh, das nenne ich gute Jeans! Und das schöne Hemd mit den farbigen Flecken dort drüben ist auch nicht übel.

Komisch, irgendwie fällt es mir leichter, mich in der Öffentlichkeit fotografieren zu lassen als im Fotostudio. Anyway, die beiden Sachen passen doch super zusammen, nicht wahr? Ich denke, die schenke ich mir heute.“ Und – mit schelmischem Augenaufschlag: „Bin ganz schön versaut, was?“

Arbeit macht bekanntlich hungrig. Nachdem

anstrengenden Geldausgeben verspürt Holly ein unangenehmes Zerren in der Magengegend. Nach kurzem Überlegen beschließt er. uns in einen seiner bevorzugten Gourmet-Tempel zu fuhren, den „Blue Elephant‘ auf dem Fulham Broadway. „Es geht hier einerseits ganz normal und natürlich zu, gleichzeitig siehst du aber all diese wundervollen Stars aus Film, Funk und Fernsehen. Einmal haben wir sogar gleich neben der Königin aus Schweden gesessen!

Wir tuscheln uns immer zu Tode, wenn die Berühmheiten einlaufen – natürlich fällt nie ein gehässiges Wort, hahaha. Um ehrlich zu sein, haben wir uns für alle Pop-Größen liebevolle Spitznamen ausgedacht. Da haben wir zunächst einmal Spass – ich denke, ihr wißt, wen ich meine. Dann Bimbo Beyond. Wir lieben sie abgöttisch. Transvision Tramp, weil…, nun ja. Athena Pappadopoulus ist natürlich unser aller George Michael. Und Bobby Brown führen wir unter Binbag Brown. „

Nicht daß das neckische Gesellschaftsspiel der hauptsächliche Grund sei, den „Blue Elephant“ zu besuchen! Es ist natürlich zunächst einmal die exzellente Küche, die Holly und seine Clique hier schätzen. Holly bestellt Thai-Fisch. „Natürlich ist der nicht frisch, sondern kommt aus der Kühltruhe, aber diese Soße hier wertet ihn gourmettechnisch erheblich auf.“

Wichtiger aber ist ihm das innenarchitektonische Ambiente:

„Abends, wenn es dunkel ist, schimmern all diese wundervollen Wandteppiche im Kerzenlicht und erzeugen eine zauberhafte Atmosphäre. Was nicht heißen soll, daß es das schönste Restaurant ist, das ich kenne. In Paris etwa gibt es ein wunderschönes Restaurant – oben haben sie einen atemberaubenden Sternenhimmel, unten ein riesiges Aquarium.“

Trotzdem, so Holly, treffe man ihn vergleichsweise selten in exklusiven Freß-Tempeln an. „Ich ernähre mich vorwiegend von Sandwiches, um ehrlich zu sein. Allerdings schlummern in mir auch ungeahnte Talente als Hobby-Koch. Meine Pasta ist nicht übel, und meine Fischgerichte mit Erbsen sind auch nicht von schlechten Eltern. Letztlich koche ich lieber zu Hause als in ein Restaurant zu gehen. Da weiß ich jedenfalls immer genau, was am Ende auf meinem Teller liegt. Mein Feigen- und Walnuß-Kuchen ist übrigens unter meinen Freunden auch äußerst beliebt. „

Der Geschäftsführer des Restaurants hat inzwischen auf die Anwesenheit einer schlagzeilenträchtigen Pop-Größe reagiert und läßt, „mit den vorzüglichen Komplimenten des Hauses“, eine Platte frischer Früchte auffahren, die man kunstvoll in Blütenform arrangiert hat. Nachdem alle Anwesenden das etwas peinliche Ereignis ausgiebig gewürdigt haben, rettet Hollys PR-Dame die Situation und bittet um die Rechnung.

„Ich denke, ich werde nach Hause fahren und für den Rest des Tages in meinem Kellerstudio ein wenig herumbasteln“, verkündet unser Gastgeber. „Popstar zu sein bedeutet nämlich weiß Gott nicht, den ganzen Tag shoppen und schlemmen zu gehen. Gute Songs sind mir da doch weit wichtiger. Mein liebster Ort ist daher immer noch mein kleines Studio. „