Frank Zappa 1940 – 1993


Sein Tod kam zur falschen Zeit - und das nicht nur, weil am 4.12.93 das letzte ME/Sounds bereits abgeschlossen war und der überfällige Nachruf erst jetzt erscheint. Auch wenn er sich in seinen letzten Jahren von der Rockmusik ab- und seinen kompositorischen Neigungen zugewandt hatte - Frank Zappa bleibt das, was der Rockmusik heute mehr denn je abgeht: ein Mann, der gegen alle Ströme schwimmt.

VORSPIEL IM HIMMEL: Frank Zappa findet sich – obwohl zu Lebzeiten nie so recht überzeugt von der Vorstellung eines Lebens nach dem Tode – auf einer Wolke wieder, im Arm die akustische (!) Einheitsharfe, und blickt in milder Irritation hinunter auf unseren Planeten.

„Schau sie dir an“, sagt er zu Dizzy Gillespie, einem weiteren Neuankömmling, „sie kriechen aus dem Gebälk wie die Kakerlaken, diese selbsternannten Kritiker und Möchtegern-Schriftsteller, die ihre ‚Tribute‘ in die Schreibmaschine klopfen und mit ihren ‚Biographien‘ in die Verlagshäuser hetzen …“

„Du sagst es, Junge“, meint Diz. „Wußtest du, daß Beethoven Kritiker mit Moskitos verglichen hat?“

„Wirklich ? Mann, diese Perückenheinis waren Schmeichler!“

Gelächter, zwei unisono zuckende Kinnbärtchen.

Zappa schüttelt den Kopf. „Eigentlich ist es nicht sehr komisch, Diz. Diese Schreiberlinge fragen sich nie, ob sie eigentlich qualifiziert sind, meine Arbeit zu beurteilen. Denn wenn sie das tun würden, wären sie ihren Job los.“

Nur zu wahr, Frank, nur zu wahr. Es war der Mangel an qualifizierten Zuhörern und nicht nur der aus dem professionellen Lager, der den irdischen Freak in einem Moment der Offenheit dazu veranlaßte, seine Karriere als „totale Pleite“ zu bezeichnen. „Ich hasse es, einer dieser Typen zu sein, die ständig jammern: ‚Ich werde verkannt!‘, aber bei mir gehl es noch nicht mal darum. Ich werde nicht verkannt – die Leute haben überhaupt keine Ahnung, was ich mache. “ Für Zappa, der die Etiketten, die man ihm aufdrückte – Satiriker, Sozialkritiker, Ikonoklast – immer seinen Songtexten zu verdanken hatte, waren Worte letztlich nur schmückendes Beiwerk und viel weniger wichtig als musikalische Substanz. Über irgendwas muß man schließlich singen, dachte er sich, und Herz und Schmerz kommen nicht in Frage. Warum also nicht unserer Gesellschaft den (Eulen)Spiegel vorhalten und ein bißchen Gift und Galle spritzen?

Trotzdem waren die Texte für Zappa eher Nebensache. Der größte Teil seiner Kompositionen von 1965 an fiel in eine Kategorie, die praktisch noch nicht existierte, als seine seltsame Odyssee begann. Zappa schrieb „Musik über Musik“, er war „postmodern“, um das Vokabular „seriöser“ Kritiker zu verwenden. In seinen idealistischen Anfangstagen versuchte Frank, verschlüsselte Nachrichten an all die zu senden, die seinen bizarren Geschmack teilten. Als er entdeckte, daß kaum jemand auf der gleichen Wellenlänge lag, bestätigte ihn das nur in seinem Gefühl der Isolation, und er bemühte sich, diesen Zustand so gut es ging zu genießen: „Ich befinde mich also allein auf weiter Flur, o.k. Was ist die Alternative? Daß mich alle lieben? Dann ziehe ich es vor, allein zu sein.“

Um Zappa wirklich folgen zu können, muß man nicht nur die Doo-Wop-Vokalgruppen der 50er kennen, den Blues und R&B eines Johnny „Guitar“ Watson, Guitar Slim, Muddy Waters und vieler anderer, Jazz-Bigbands (besonders Ellington und Basie), die Vorläufer des Free Jazz (Roland Kirk spielte als Gast bei den Mothers, Archie Shepp mit der Zappa-Band) und diverse „Weltmusiken“ (Frank begeisterte sich für bulgarische Musik, liebte die irischen Traditionalisten The Chieftains und hatte auch für mongolischen Obertongesang einiges übrig), sondern auch ein riesiges Repertoire amerikanischer Fernsehmusik (das Spektrum reicht vom „Bonanza“-Thema bis zu Nino Rotas Fellini-Soundtracks).

Noch wichtiger jedoch sind die unendlich vielen Verweise auf die Geschichte der „klassischen“ Musik des 20. Jahrhunderts. Wer sich ernsthaft mit Zappa auseinandersetzt, sollte zumindest ansatzweise Bescheid wissen über die Musik von (tief Luft holen) Edgard Varese, Strawinsky, Charles Ives, Schönberg, Webern, Cage, Boulez, Ligeti, Penderecki und Toru Takemitsu um nur einige zu nennen.

Da tiefergehende musikalische Betrachtungen in Rockmagazinen gewöhnlich nicht sehr beliebt sind, soll hier nur einer der frühen Zappa-Songs als Beispiel angeführt werden: Auf „Brown Shoes Don’t Make It“ (ABSOLUTELY FREE, 1967) hört man an einer Stelle im Hintergrund ein „streng akademisches Zwölfton-Streichquartett“ (als Tribut an Schönberg und Webern) und am Ende eine Collage aus Liedern, in denen die glorreiche amerikanische Nation besungen wird eine Anspielung an das musikalische Schlüsselerlebnis des jungen Charles Ives. der eines Tages in einem Park in Connecticut zwei Blaskapellen hörte, die sich, unterschiedliche Stücke spielend, an einer Weggabelung begegneten.

Diese Verweise werden nun (um im Bild zu bleiben) mit dem Schuhlöffel in einen Song eingepaßt, der für all die, die sich ausschließlich auf den Text konzentrieren, nichts weiter ist als eine zynische Attacke auf die Moralvorstellungen von Trägern konservativer Fußbekleidung. Solche Spielchen hat Zappa oft und gerne gespielt.

Das Absurde an Zappas Position war, daß die „klassischen“ Zuhörer und Kntiker, die seine musikalischen Spaße vielleicht verstanden hätten, von der Rock n‘ Roll-Lautstärke und dem kruden Humor abgestoßen wurden, während sein Rock-Publikum keinen Schimmer von der musikalischen Komplexität seiner Stücke hatte und so naiv war, viele Texte einfach für bare Münze zu nehmen. Ein großer Prozentsatz seiner Fans entsprach genau dem Typus, den Zappa in Stücken wie „Titties ’n‘ Beer“ auf die Schippe nahm, und obwohl Betrunkene und Kiffer besonders oft als Zielscheibe seines Spotts herhalten mußten, hatten Zappa-Konzerte immer etwas Bacchanalisches an sich. Frank selbst sagte einmal: „Ich hätte keine Lust, zu einem meiner Gigs zu gehen und mir von einem 15jährigen über die Schuhe kotzen zu lassen.“

Doch je mehr Zappa, der sich von allen Drogen fernhielt, die lasche „Ich will Spaß!“-Attitüde seines Publikums verhöhnte, desto größer war der Jubel. Und es war ja nicht zuletzt die direkte Unterstützung dieser Leute, verbunden mit einer unglaublichen Arbeitswut, die Zappa einen Grad an Unabhängigkeit verschaffte, den kein anderer „Avantgarde“-Komponist erreicht hat: 60 Alben in 25 Jahren (wenn man BEAT THE BOOTS, eine Serie autorisierter Bootlegs. hinzurechnet, sind es sogar 76) und viele Jahre radikaler Experimente in seinem Hightech-Heimstudio, der „Utility Muffin Research Kitchen“. Zappa veröffentlichte Platten auf seinem eigenen Label (Barking Pumpkin), vertrieb Zappa-Devotionalien über eine eigene Versand- und Merchandising-Firma (Barfko-Swill) und vergaß selbst den Videomarkt nicht (Honker Home Videos). Soweit man das als Außenseiter überblicken kann, hat es nie einen Zeitpunkt gegeben, an dem Zappa nicht genau das machte, was er machen wollte, und dabei viel Geld verdiente – was sicher nicht die schlechteste Definition von Erfolg ist. Die Pleite, von der er selbst sprach, rührte daher, daß „fast niemand“ die Nuancen verstand. „Ich habe mich in eine Sackgasse begeben, musikalische Fragen beantwortet, die normale Menschen niemals stellen.“ Gegen Ende jedoch begann sich das Blatt zu wenden, als zunächst Pierre Boulez und dann das Ensemble Modern das Zappa-CEuvre mit ihren Interpretationen in einem neuen Licht erscheinen ließen und Komposilionsaufträge namhafter Kammer-Ensembles vom Kronos Quartett bis zum Aspen Wind Quintet folgten. Zappa, schon immer ein unflexibler Sturschädel, konnte über die Klassikgemeinde ebenso gnadenlos herziehen wie über die Rock-Welt: Er verabscheute die arrogante Trennung zwischen E- und U-Kultur und bestand trotz aller gegenteiligen Beweise darauf, nicht Künstler, sondern „nur“ Entertainer zu sein.

An seinen wahren Prioritäten gibt es jedoch keinen Zweifel. In einem Interview mit der Zeitschrift „Pulse“ im August ’93 definierte Zappa sie folgendermaßen: „Ich hatte von Anfang an nicht die Absicht, Rockmusik zu schreiben. Ich wollte immer Musik komponieren, die mehr Gehalt hat und die in Konzerthallen aufgeführt wird, aber ich wußte auch, daß niemand meine Musik spielen würde. Also dachte ich mir, um jemals etwas von mir zu Gehör zu bringen, muß ich eine Band gründen und Rock spielen.“ So also sah der Langzeitplan aus: eine Karriere als Komponist mit Tarnkappe.

Vor einigen Jahren veröffentlichte jemand ein Buch über moderne amerikanische Komponisten und nannte es „Desert Plants“. Zappa wurde darin nicht genannt, obwohl er hineingehört hätte. Nicht nur beschreibt der Titel sehr schön Franks stachelige Persönlichkeit (der uramerikanische Kaktus), Zappa war auch im wörtlichen Sinne ein Kind der Wüste.

Er wuchs auf in Lancaster, Kalifornien, einer Art amerikanischen Hintertupfingen mitten in der Mojave-Wüste, und dieses gottverlassene Kaff war auch Schauplatz seiner ersten musikalischen Gehversuche. Anfangs konzentrierte sich der kleine Frank bei seinen autodidaktischen Studien auf schwarze Musik, was für einen weißen Jungen Anfang der 50er sehr ungewöhnlich war. Er überredete Opal und Chester, die Besitzer einer örtlichen Imbißstube, ihre Jukebox mit R&B-Singles zu füllen: „Ich aß gutes Chili und hörte mir ‚Three Hours Past Midnight‘ von Johnny Gustav Walson an.“

Mit 14 verfiel er der Musik Edgar Vareses und entlockte seinen Eltern das Geld für ein Ferngespräch mit seinem neuen Helden in New York. („Ich glaube, ich murmelte so etwas wie: ,Hey ich steh‘ echt auf Ihre Musik.'“ Mit der Zeit wurde die Palette immer größer: „Weil ich keine formale Ausbildung hatte, war es mir egal, ob ich Lighinin‘ Slim hörte oder die Jewels, eine dieser Vokalgruppen, oder Webern, Strawinsky und Vare’se. Für mich war das alles einfach gute Musik.“

Nach einem kurzen Flirt mit dem Schlagzeug entschied er sich für die Gitarre und gründete ’57 seine erste Band, die Blackouts, eine multikulturelle Mixtur aus schwarzen, weißen und mexikanischen Musikern. Zu dieser Zeit begann auch seine Freundschaft mit einem anderen schrägen Vogel aus Lancaster, Don Van Vliet, Bildhauer und Blues-Sänger, der später unter dem Namen Captain Beefheart bekannt werden sollte. Anfang der 60er stellten sie zusammen eine Band namens The Soots auf die Beine. Zappas damalige Aktivitäten lassen sich zeitlich nicht mehr genau einordnen. Wir wissen, daß er Cocktail-Musik in Bars spielte. Soundtracks für zwei Low-Budget-Filme schrieb, sein erstes Heimstudio in Cucamonga einrichtete, in Steve Aliens Fernsehshow mit einem „Fahrradkonzert“ auftrat (virtuose Leistungen als Speichenzupfer und Lenkstangenbläser) und zweimal, wegen Landstreicherei und „Planung pornographischer Delikte“, ins Gefängnis wanderte Erfahrungen, durch die Polizei und Jurisdiktion ganz oben auf Zappas Liste legitimer Satire-Opfer landeten.

Ursprünglich hießen sie einfach die Mothers, in der Jazz-Sprache eine Abkürzung für „motherfuckers“, also besonders heiße Musiker. Die mittlerweile legendären Mothers Of Invention waren Ableger einer Band namens Soul Giants, in die Zappa 1964 einstieg. Frank gehörte anfangs nur zum Fußvolk, übernahm aber schnell die Kontrolle, weil er als einziger eigenes Material schrieb das zu spielen für die Band allerdings ein Kamikaze-Unternehmen war, denn auf einen Zappa-Song folgte in der Regel sofortiges Auftrittsverbot.

Auch in Los Angeles, in dessen „Freak“-Szene Zappa & Co. wenig später einbrachen, mußten erstmal 18 Monate traditionelle Fron-Dienste (leere Taschen, leerer Magen) abgeleistet werden, bevor die Band ihren ersten Vertrag bei MGM unterschrieb. In seiner höchst unterhaltsamen Autobiographie „The Real Frank Zappa Book“ präsentiert Zappa eine eher einseitige Version der frühen Mothers-Geschichte. Seine Behauptung. Tom Wilson (Produzent von FREAK OUT) wäre geschockt gewesen vom Extremismus der Band, wirkt wenig glaubwürdig, wenn man bedenkt, daß Wilson bereits eine ganze Reihe radikaler Free Jazzer produziert hatte und abends die Clubs mit John Cale und anderen Mitgliedern der späteren Velvet Underground unsicher machte.

Noch beunruhigender ist Franks Aussage, die Mothers der 60er seien, was musikalische Fähigkeiten betrifft, eher zweitrangig gewesen. Tatsächlich beweisen Aufnahmen aus dieser Zeit, daß die damalige Besetzung in vielerlei Hinsicht die kreativste war. die Zappa je angeführt hat. Die Band der UNCLE MEAT-Periode war eine faszinierende Mischung aus Autodidakten und klassisch ausgebildeten Musikern, konnte Rock’n’Roll-Rauheit und komplexe Rhythmen mühelos unter einen Hut bringen und verfügte mit den Saxophonisten lan Underwood und Bunk Gardner und dem Keyboarder Don Preston über hervorragende Solisten. Keine der späteren Zappa-Bands besaß so viel Potential und Freiraum für solistische Ausflüge und Improvisation wie die frühen Mothers.

Eindeutig ist jedoch, daß es Zappa war, der das Konzept der Band bestimmte. Als Unruhestifter war er ein Naturtalent – „Wenn jemand sich aufregen wollte, war ich immer gerne bereit, ihm einen Grund zu liefern“ – und das bizarre Treiben der Mothers machte Schlagzeilen. Zu den frühen Erfolgen gehörte ein sechsmonatiges Engagement am Garrick Theater in New York, bei dem die Band ihre „Monstrositätenschau“ präsentierte einmal wurden zwei Soldaten auf die Bühne gebeten, die zu musikalischer Begleitung eine Babypuppe mit Bajonetten zerlegten. („Ich sagte, ‚Zeigt uns, was ihr mit diesen Schlitzaugen in Vietnam gemacht habt‘, und sie legten sich richtig ins Zeug.“)

Zappas Vorliebe fürs Theatralische entfaltete sich in dieser Zeit zu voller Blüte.

Heute ist schwer nachzuvollziehen. welchen Aufruhr das Album WE’RE ONLY IN IT FOR THE MONEY 1967 hervorrief. Auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung wagte es eine ihrer Kultfiguren, sich über die Ideale einer ganzen Generation lustig zu machen: Der Titel war ein Seitenhieb gegen die Peace-and-Love-Manifestos seiner Zeitgenossen, das Cover eine böse Parodie von SGT. PEPPER, die Texte einer Verhöhnung bongospielender Blumenkinder: Zappa sonderte sich systematisch von der Herde ab. Mittlerweile wissen wir. wie recht er mit seiner Skepsis hatte, und die Musik der frühen Mothers hat sich um einiges besser gehalten als die aller anderen psychedelischen Westcoast-Bands.

Das Ende der Ur-Mothers kam. nachdem Veranstalter George Wein die Band zusammen mit einigen bekannten Jazzgruppen auf Tour geschickt hatte. In South Carolina hörte Zappa, wie Duke Ellington einen von Weins Mitarbeitern um einen Vorschuß von 10 Dollar bat: „Wenn Ellington um eine solche Summe bellein mußte, was um Himmels willen machte ich mit einer zehnköpfigen Band, die versuchte, Rock ’nRoll zu spielen?“ Bis dahin hatte Zappa seiner Band ein festes Gehalt gezahlt, unabhängig davon, ob es Arbeit gab oder nicht. Von nun an bestanden seine Ensembles hauptsächlich aus „Saisonarbeitern“, die nur für Aufnahmeprojekte oder Tourneen zusammengetrommelt wurden. Wirtschaftlicher war das natürlich schon, aber die Musik verlor damit diese undefinierbare, „organische“ Qualität, die man nur bei Bands findet, die langfristig auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.

Was Zappa jetzt wollte, war totale Kontrolle: Die Musik wurde entweder so gespielt, wie er es sich vorstellte, oder überhaupt nicht. Er übernahm die Rolle des Dirigenten auf der Bühne. Selbstverwirklichung der „Sidemen“ (denn das waren sie jetzt) war nicht gern gesehen. Auch hinter der Bühne führte Zappa ein strenges Regiment. Musiker, die sich mit Drogen erwischen ließen, wurden sofort gefeuert. Mit der Zeit bestanden Zappas Tour-Bands immer mehr aus bewundernswert disziplinierten, aber eher gesichtslosen Protagonisten. Technisch versiert, oft mit einem Diplom der Berklee Jazz School in der Tasche, konnten sie alles, was Frank ihnen vorsetzte, vom Blatt lesen, hatten aber nicht viel Persönlichkeit. Und das war genau, was der Boß wollte.

Trotzdem gab es im Laufe der Jahre einige Ausnahmen, und als wollte er einen Ausgleich schaffen für die kurze Leine, an der er sie führte, schrieb Zappa „maßgeschneiderte“ Stücke, um die Eigenheiten dieser Musiker besonders zur Geltung zu bringen. Oder, aus etwas wenieer edlen Motiven, um mit ihrer Hilfe seinen Kompositionen Farbe und Dichte zu verleihen. Zu den interessanteren Spielern, die im Laufe der 70er und SOer Jahre seine Band durchliefen, gehörten die Gitarristen Steve Vai und Adnan Belew, die Schlagzeuger Terry Bozzio, Vinnie Colaiuta. Chad Wackerman und Aynsley Dunbar, der Bassist Jeff Berlin, der Keyboarder George Duke, der Violonist Jean-Luc Ponty und wahrscheinlich das größte Talent von allen die Vibraphonistin und Percussionistin Ruth Underwood. Nach Ruths Einstieg konnte man sich Zappas Arrangements kaum mehr ohne ihre wirbelnde Percussion vorstellen.

Mit einer straff geführten Band im Rücken konnte sich Zappa als Gitarnst mehr Freiheiten erlauben – zehnminütige Soli waren bald keine Seltenheit mehr. Die Live-Alben SHUT UP ‚N‘ PLAY YER GUITAR und GUITAR beweisen jedoch, daß diese Soli – oder „Luftskulpturen“, wie er sie nannte nie in leere Geschwätzigkeit ausarteten. Obwohl nach konventionellen Maßstäben kein virtuoser Spieler, entwickelte Zappa eine ganz eigene Gitarrensprache. Steve Vai: „Bei Zappa war ich das Werkzeug des Komponisten, meine Aufgabe bestand darin, bestimmte komplexe Sachen zu spielen, die er hören wollte. Aber am meisten genoß ich die Momente, in denen ich nichts zu tun hatte und einfach dastehen und ihm zuhören konnte. In seinen Sachen war immer Kontinuität und Entwicklung, und erspielte mir ungeheurer Konzentration. Seine Lines hatten eine Menge Kanten, eine Menge Cavenne-Pfeffer…“

Zappas Humor dagegen war den Kritikern immer ein Dorn im Auge. Sie hatten es mit Mühe geschafft, den absurd-surrealistischen, aber meist harmlosen Witz der frühen Mothers-AIben zu verdauen; von 1970 an wurde dieser Humor jedoch bösartiger. Über Texte zu lachen, die sich über die Ausbeutung von Groupies durch Popstars lustig machten (und deren Verfasser häufig auf brutale Weise zu erkennen gab, daß er mit Sex ganz allgemein wenig anfangen konnte) war zu einer Zeit, in der sich die Frauenbewegung auf dem Vormarsch befand, politisch kaum vertretbar. Zappa interessierte das natürlich einen feuchten Dreck. „Es ist leicht, mich zu hassen“, erklärte er dem britischen Fernsehen ein paar Monate vor seinem Tod, „weil ich absolut unbelehrbar bin. Meine Unsensibilität macht vor so gut wie nichts halt.“

Zappa hatte nicht mal Hemmungen, sich kopfüber in das Minenfeld ethnischer Stereotypen zu stürzen. Wegen des Songs Jewish Princess“ kam es zu öffentlichen Protesten der B’nai Brith-Liga, die ihm antisemitische Tendenzen vorwarf. Frank lachte, startete eine Gegenkampagne, um sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen, und setzte seine Serie „typischer“ Frauenporträts mit nicht weniger gnadenlosen Attacken auf „Catholic Girls“ und das kalifornische „Valley Girl“ fort.

Weitere bevorzugte Zielscheiben waren Fernsehprediger. Zensoren, Scientologen, Liebhaber von Disco-Musik, Fernfahrer, „Zurück in die 60er“-Nostalgiker. Gesundheitsapostel und natürlich Politiker jedweder Couleur unter besonderer Berücksichtigung der Republikaner.

1979 sagte Zappa in einem Interview mit der Zeitschrift Relix, er habe sich noch nie mit einer sozialen oder politischen Bewegung identifizieren können und vermeldete, er weigere sich, nur deswegen zur Wahl zu gehen, um den schlimmsten Kandidaten zu verhindern. In den 80er Jahren änderte er seine Meinung, warb für Wählerregistrierung (eine Eigenart des amerikanischen Wahlrechts), äußerte sich zu Umweltfragen und war ohne Zweifel der eloquenteste unter den Rockmusikern, die öffentlich gegen die zensurwütige Tipper Gore und ihr Komitee der „Washington Wives“ Stellung bezog.

Nachdem Zappa 1988 mit dem Touren aufgehört hatte der Streß und die Streitereien zwischen Bandmitgliedern gingen ihm auf die Nerven, und er war es leid, in einer Zeit weltweiter Rezession bei jedem Konzert draufzuzahlen (die letzte, 12 Mann starke Band war ein finanzielles Desaster) – investierte Zappa noch mehr Zeit in Politik und Geschäft. Er knüpfte Handelsbeziehungen mit Osteuropa und freundete sich bei einem Besuch in Prag mit Vaclav Havel an, der, wie sich herausstellte, ein Mothers-Fan der ersten Stunde war. Als Havel ihn zum außerordentliehen Botschafter für Handel, Kultur und Tourismus der Tschechischen Republik ernannte, kam es fast zu einem internationalen Eklat. Das amerikanische Außenministerium setzte ein Ultimatum: „Entweder ihr macht Geschäfte mit uns oder mit Zappa.“

Worauf Frank, dem es gegen den Strich ging, immer in die Kulissen gedrängt zu werden, seinerseits in die Offensive ging und seine Kandidatur für die amerikanische Präsidentschaft androhte: „Seien wir doch mal ehrlich, könnte ich wirklich mehr Mist bauen als George Bush ?.'“

Es wäre sicherlich ein äußerst unterhaltsamer Wahlkampf gewesen (Zappa im Streitgespräch mit Ross Perot!), aber es kam nicht dazu. 1991 stellte sich heraus, daß Frank an Prostatakrebs litt. Die Krankheit war bereits in fortgeschrittenem Stadium, und die Ärzte machten ihm keine großen Hoffnungen.

Zappa intensivierte seine Arbeit in der „Utility Muffin Research Kitchen“, bereitete weitere Plattenveröffentlichungen vor, regelte persönliche Angelegenheiten und überschrieb die Rechte an seinen Kompositionen dem Zappa Family Trust. Der Wille weiterzumachen war stark. Einen 12-Stunden-Arbehstag scharfen, alte Tapes bearbeiten, neues Material auf dem Synclavier schreiben, das war bis zum Schluß jeden Tag sein erklärtes Ziel.

Musikalischer Höhepunkt seiner letzten Jahre war für Zappa die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Ensemble Modern; die ausgezeichnete CD THE YELLOW SHARK wird voraussichtlich nicht das einzige Dokument dieser Kooperation bleiben. Im Juli 1993 produzierte Zappa in Los Angeles ein Album für sein Label Barking Pumpkin, auf dem das Ensemble Modern die wichtigsten Orchesterwerke von Edgard Varese spielt – darunter „Ionisation“, das Stück, das seinerzeit in Zappa den Wunsch weckte, Komponist zu werden, und das ihn sein Leben lang begleitet hat. Bei dieser letzten Session konnte er sein gesamtes, in drei Jahrzehnten erarbeitetes Know-How einsetzen, um die Klangfarben dieser Musik, die er so gut kannte, optimal herauszubringen und in 48-Spur-Digitaltechnik festzuhalten.

„In hundert Jahren“, sagt Steve Vai, „werden Frank und seine Musik verehrt und gefeiert werden.“ Vielleicht hat das Publikum dann ja mit ihm aufgeschlossen, und es wird etwas ganz Normales sein, Blues, Doo-Wop. Folklore, Free Jazz. Hardrock und Schönberg in rascher Gegenüberstellung zu hören und das auch noch schön zu finden. Seine Musik hat Brücken gebaut, über die wir der Insularität und Banalität des Pop entfliehen können. Diejenigen, die ihm gefolgt sind, wissen, welch faszinierende musikalische Welten dort draußen zu entdecken sind. Zappas Leidenschaft für Die Wahre Musik kam einer spirituellen Überzeugung so nahe, wie das bei einem so unreligiösen Mann wie ihm möglich sein kann.

Auf JOE’S GARAGE hat er es selbst gesagt: „Information ist nicht Wissen, Wissen ist nicht Weisheit, Weisheit ist nicht Wahrheit, Wahrheit ist nicht Schönheit, Schönheit ist nicht Liebe, Liebe ist nicht Musik. Musik ist das Beste.“