Ganz nach Mutters Geschmack


Auf dem Tisch steht eine Flasche Wein. „Rascal“ steht auf dem Etikett. Es ist ein Geschenk von Alex Turners Mutter für Miles Kane, den Kumpel ihres Sohnes, dessen eigene Band den Namen The Rascals trägt und der mit Turner The Last Shadow Puppets gegründet hat. „Was uns verbindet“, erklärt der so Beschenkte, „ist, dass wir beide aus ähnlichen Familien kommen.“ Alex: „Wir sind beides Einzelkinder. Unsere Mütter sind sich sehr ähnlich. Sie benützen zum Beispiel beide den gleichen Wassererhitzer.“ Miles: „Das gedämpfte Gemüse schmeckt bei beiden genau gleich.“ Alex: „Unsere Mütter sind beide sehr…“ Miles: „… großzügig. So hat die Mutter von Alex diesen Wein irgendwo gesehen und mir gleich eine Flasche davon…“ Alex: „… mitgebracht.“ Miles: „Als Mutter liebt mich, meine Mutter liebt Al. Wir sind eine einzige glückliche Familie.“ Alex: „Ach, übrigens hat sie dich am Samstag im Fernsehen gesehen. Sie meinte, der Schal würde dir ausgezeichnet stehen.“

Wenig mehr als zwei Jahre sind verstrichen, seit das Debüt der Arctic Monkeys die letzten Spinnweben aus der britischen Gitarrenszene pustete. Alex Turner, kaum 20 Jahre alt, war der neue Nationalheld. Dabei zeigte sich der junge Mann aus Sheffield vom Rummel um seine Person genau so wenig beeindruckt wie die restliche Band. Ein Interview mit ihm war harte Arbeit. Nicht etwa, weil er unfreundlich gewesen wäre, sondern weil er von der Kunst des Smalltalks wenig weiß und sogar glaubte, er habe ohnehin nichts Interessantes zu sagen. Seine Sätze waren kurz und „to the point“ – wie seine Songs. Seither ist viel passiert, Whatever people say I am, thats what I’m not brachte es in Großbritannien zu vierfachem Platin und trug der Band den Mercury-Preis fürs „wichtigste britische Album das Jahres“ ein. Statt sich auf den Lorbeeren auszuruhen, ließen die Monkeys ein Jahr später schon den zweiten Streich folgen: Und Favourite worst nightmare hatte keinen Schimmer davon, wie es ist, eine schwierige zweite Platte zu sein. Wieder hagelte es Awards. Am Anfang hatte sich das Quartett noch störrisch geweigert, an solchen Zeremonien teilzunehmen. Inzwischen trauen sie sich. Bei den kürzlichen Brit-Awards leisteten sie sich sogar das Vergnügen, ihren Pokal – „Bestes Album“ – im Aufzug von Bauern aus Yorkshire abzuholen. Dazu machten sie sich lustig über die Schüler der „Brit Performing Arts“-Schule in Croydon, wo das … Popstarsein unterrichtet wird und zu deren Ex-Studenten Leona Lewis, Amy Winehouse und The Feeling gehören. Längst ist Alex Turner nicht mehr der ungelenke, pickelige Post-Teenager, der kaum weiß, wohin mit Händen und Füßen. Deshalb sind seine Sätze nicht länger geworden. Aber er spricht sie selbstsicherer aus.

Ganz anders Miles Kane. Ein Liverpooler, wie er im Buche steht: Er kann reden wie ein Buch. Turner und Kane lernten sich kennen, als Miles Kane mit seiner Ex-Band The Little Flames das Vorprogramm einer frühen Monkeys-Tour bestritt. „Wir waren ständig beisammen“, erinnert sich Kane. „Danach blieben AI und ich in Kontakt, und über die Zeit hinweg hat sich eine sehr enge Freundschaft entwickelt. Es ist mit ihm wie mit den Rascals: Das Arbeiten ist nicht Arbeit, sondern nur Spaß.“

Früh merkten die beiden, dass ihre Stimmen gut zusammenpassen. Und Kane brachte Turner auf den Geschmack von Scott Walker, den geheimnisvollen amerikanischen Crooner, der mit den Walker Brothers in den Sixties nach London zog, Welterfolge feierte, dann als Solostar einige herrlich dramatische Alben mit Chansons füllte,-! die eine Brücke schlugen ; zwischen Brecht/Weill, The Beatles und Procol Harum.

„Meine Mutter hörte viel Walker Brothers und so Zeug“, sagt Turner. „Aber erst Miles hat mich auf den Geschmack gebracht.“ „Und Bowie!“, ruft der, weitere Einflüsse nennend: „Die frühen Sachen, Aladdin Sane, ,Ziggy Stardust‘, ,Five Years’…“ Alex: „Wir haben sogar einen Bowie-Song aufgenommen …“ Miles: ,“In The Heat Of The Morning‘.“ Alex: „Von live at the bbc.“ Miles: „Ein echt toller Song! Und einen Billy-Fury-Song haben wir auch gecovert, ,Wondrous Place‘. Den habe ich schon immer geliebt.“

Stopp, halt, nicht so schnell! Walker – Bowie – Fury. Wie ist Miles Kane denn auf Scott Walker gestoßen, auch die Mutter…? „Das war wohl durch meinen Cousin. Der ist ebenfalls Sänger, bei The Coral (er ist der Cousin von Frontmann James Skelly und auch von Coral-Schlagzeuger Ian Skelly – Anm. d. Red.). Zum diffizilen Spätwerk von Walker hat Kane bislang allerdings eine eher gestörte Beziehung: „Kennst du the drift?“, fragt er (Walkers Album von 2006-Anm. d. Red.). „Joe in meiner Band ist ein Fan davon. Eines Tages hat er’s auf dem Heimweg von einem Gig reingeschoben.“ Früh um halb fünf. „Da kam dieser eine Song, sehr düster. Ich drehte durch. Die anderen erzählten, ich sei leichenblass geworden. Ich musste sogar kotzen. Diesen Song werde ich im Leben nicht aushalten!“

Aber von den ersten Vier Scott-Walker-Alben habe man viel gelernt. „The Chamber“, ein mysteriöser Song voller Geigen und sanftem Gesang, war der erste gemeinsame Wurf.

Kane: „Das ist der Song, in dem wir den Gesang zwischen uns hin und her springen lassen. Ich singe „leave yourself alone‘ und dann…“ Alex: „… komme ich rein und singe ,leave yourself alone‘.“ Miles: „Da wussten wir schon, dass wir etwas echt Tolles entdeckt hatten.“ Im vergangenen August begaben sich die beiden mit James Ford (Simian Mobile Disco), der schon bei der Entstehung von Favourite worst nightmare mitgeholfen hatte, in ein Studio in Nordfrankreich. Auf dem Weg dorthin haben die Last Shadow Puppets pausenlos David Axelrod (ein US-Produzent, -Arrangeur und -Musiker-, der zwischen Pop, Jazz, Beat und Klassik zu Hause ist – Anm. d. Red.) angehört, um in Stimmung zu kommen. Zwei Wochen dauerten die Aufnahmen. Turner: „Das Album besteht zu einem Drittel aus Liedern, die wir ganeinsam geschrieben haben. Je ein weiteres Drittel sind Lieder von Miles und von mir.‘ Die Aufnahmen gingen nach Kanada zu Owen Pallett alias Final Fantasy, der auch schon Streicher für Arcade Fire arrangiert hatte. Kurz vor Weihnachten traf sich das Duo mit ihm in einem Hotel in Manchester, um letzte Änderungen vorzunehmen. Dann konnten sie in London aufgenommen werden, mit vollem Orchester. Die Erinnerung entlockt sogar Alex Turner ein großes Wort: „Regelrecht kathartisch war das! Dabei aber auch komisch. Denn für die Orchestermusiker war’s bloß ein Job. Einmal kurz die Noten angeschaut und los.“

Aber auch mit ihrer eigenen Arbeit sind die Last Shadow Puppets hochzufrieden: „Besonders stolz bin ich auf die Texte. Die bedeuten einen Schritt vorwärts für mich“, sagt Alex Turner. „Es geht darin weniger um Geschichten als um Emotionen. Trotzdem sind es pure Popsongs. Ich glaube, wir brauchen Popsongs, und zwar nicht diese ironisch übertriebenen Popsongs, sondern ehrliche P.S.: Die Arctic Monkeys nahmen bereits im Februar erste neue Songs auf. Die Debüt-EP von The Rascals, „Suspicious Wit“, ist im Februar im UK erschienen, das Album folgt im Juni. 2008 soll es die Last Shadow Puppets auch noch live zu sehen geben.

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