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„Glass“-Kritik: Der entscheidende Twist zu viel


Fast zwei Jahrzehnte hat M. Night Shyamalan für den Abschluss seiner Trilogie benötigt. Dass „Glass“ nun als Superheldenfilm vermarktet wird, zeigt, dass der Regisseur nach „Split“ und „Unbreakable“ den Faden verloren hat.

Zur Jahrtausendwende galt Regisseur M. Night Shyamalan als einer der talentiertesten Regisseure Hollywoods. Nach „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ nannten ihn einflussreiche Kritiker sogar schon den „nächsten Spielberg“. Doch Shyamalan ist nach seinen ersten Erfolgen genauso wie viele Zuschauer einem fatalen Irrtum aufgesessen. Und zwar dem, dass er durch seine berühmten Twists und Überraschungen in den letzten Minuten seiner Filme zu Ruhm gelangte. Natürlich ist das Ende von „The Sixth Sense“ legendär, auch der Twist aus „The Village“ hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Aber eigentlich wurde Shyamalan wegen ganz anderer Stärken zum geschätzten Drehbuchautor und Filmemacher.

Übernatürliche Themen behutsam und vor allem emotional und  in die Realität einbetten – das konnte der in Indien geborene Regisseur zeitweise wie kein zweiter. Der Twist in „The Sixth Sense“ hätte beispielsweise niemals für solche Begeisterungsstürme gesorgt, wenn das Verhältnis zwischen Bruce Willis‘ und Haley Joel Osments Figuren den Zuschauer nicht dermaßen in die gewagte Geschichte um ein Kind, das tote Menschen sieht, gezogen hätte. Auch „Unbreakable“ und „Signs“ bestachen durch Porträts zweifelnder und fast gebrochener Menschen, die in Übernatürlichem entweder Erklärungen für ihr gesamtes Leben oder einen Neuanfang suchten.

Übernatürliche Spinner

Am Donnerstag startet mit „Glass“ nun das Ende von Shyamalans sogenannter „Eastrail 177“-Trilogie in den deutschen Kinos. Und der Regisseur macht den gewaltigen Fehler, ein überraschendes Finale weit über nachvollziehbare Handlungsstränge und die potenzielle Strahlkraft der einzelnen Figuren zu setzen.

Vor fast zwei Jahrzehnten erschuf Regisseur M. Night Shyamalan in „Unbreakable“, dem ersten Film der Trilogie, zwei Persönlichkeiten, die arg an Superhelden erinnerten. Oder die eben einfach nur Spinner waren, die sich für solche hielten. Samuel L. Jackson spielte damals und jetzt in „Glass“ den wahnsinnig cleveren, aber durch eine Krankheit sehr verletzlichen Elijah Price. Bruce Willis entdeckte als David Dunn seine besonders starken Muskeln sowie die Fähigkeit, die Sünden von Menschen durch bloße Berührung zu erkennen.

Film-Podcast: „Die Streifenpolizei“ spricht über M. Night Shyamalans „Glass“

„Unbreakable“ endete mit der Erkenntnis, dass Price ein Terrorist ist, der etliche Menschen getötet hat, um den augenscheinlich unzerstörbaren Dunn zu finden. Price, der sich auch Mr. Glass nennt, wanderte in eine Anstalt, die nun im dritten Film zum primären Schauplatz wird. Dunn und Price sitzen beide dort fest, als dritter Gefangener wird Kevin (James McAvoy) dort festgehalten. Kevin ist ein Mörder und Entführer, 2017 hielt er im Film „Split“ mehrere junge Frauen fest und terrorisierte sie mit seinen multiplen Persönlichkeiten. Der Thriller war am Ende eigentlich in sich abgeschlossen, dann brachte Shyamalan aber mit einer Überraschung Kinosäle auf der ganzen Welt zum Jubeln: Im Abspann war plötzlich Bruce Willis als David Dunn zu sehen.

Den Zuschauern wurde schlagartig klar, dass „Split“ die Fortsetzung zu „Unbreakable“ ist, Shyamalan gelang mal wieder ein erfolgreicher Twist – nach einer langen Reihe von Filmen, die bei Kritik und Publikum durchfielen. Er hatte sich durch die Begeisterung für den Thriller „Split“ und die unvorhersehbare Verknüpfung mit „Unbreakable“ rehabilitiert und ließ Zuschauer nun zwei Jahre auf ein sinnstiftendes Finale warten.

Ein einzigartiges Szenario

Dr. Ellie Staple möchte herausfinden, ob die Insassen der Anstalt übernatürliche Kräfte haben.

Shyamalan nutzt das erste Drittel von „Glass“ für das Etablieren eines einzigartigen Szenarios: Drei Männer, die sich für Superhelden oder Superschurken halten, sitzen machtlos in Zellen fest. Sie bekommen Besuch von ihren Liebsten oder ihren Opfern, alles unter den Augen der Psychotherapeutin Dr. Ellie Staple. Die von Sarah Paulson gespielte Ärztin ist der einzige nennenswerte Neuzugang in einem Ensemble, das weitestgehend getrennt voneinander agiert. In etwas mehr als zwei Stunden findet Shyamalan nur wenige Momente, in denen er seine bereits in zwei Filmen etablierten Figuren in einen Raum bekommt, ihre Geschichten und Motive kombiniert und dadurch weiter erforscht.

So wird Bruce Willis‘ Figur David Dunn nahezu keine neue Nuance hinzugefügt, James McAvoy spielt seine multiplen Persönlichkeiten genauso meisterhaft wie erwartbar aus. Samuel L. Jackson verfolgt ebenfalls den Plan, den er bereits in „Unbreakable“ hatte: Er möchte der Welt beweisen, dass Superhelden existieren – und provoziert aus diesem Grund Schrecken und Verbrechen.

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Wenig in „Glass“ ist neu, nahezu alle Motive und Themen sind aus „Unbreakable“ und „Split“ bekannt. Bemerkenswert ist allerdings der verschobene Fokus der Reihe, Shyamalan geht weg von den Beziehungen der Figuren zu ihren Liebsten oder Opfern, sondern lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf eine einzige Kernfrage: Haben die drei Gefangenen nun Superkräfte oder nicht?

Vielleicht ist diese Zuspitzung dem Marketing geschuldet, immerhin galten „Split“ und „Unbreakable“ als Horror-Thriller, während „Glass“ erfolgreich der finanziell lukrativen Zielgruppe „Superheldenfans“ angedreht wurde. Diese sieht nun in der besten Szene des Films, wie Dr. Ellie Staple versucht, die scheinbar Übernatürlichen wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Sie entlarvt Kevins multiple Persönlichkeiten als Krankheit, seine Stärke als überhaupt nicht so stark und sein Überleben eines Schrotfintenschusses als Glück und feuchtes Schießpulver. David Dunns Fähigkeiten werden von ihr ebenfalls als eine Mischung aus Intuition, Glück und Workout geerdet.

Heroisch oder armselig?

Staple bringt Helden und Schurken ins Zweifeln. Und damit auch die Zuschauer, die vor allem in der zweiten Hälfte des Films mit einem anderen Blick auf die bekannten Figuren blicken. Denn eigentlich gewinnt „Das Biest“ Kevin seine Kämpfe gegen Wachleute auch nur damit, dass er ihnen ordentlich auf die Fresse haut – nichts Übernatürliches in Sicht. Aber ist er zuvor nicht an einer Wand hochgekrabbelt oder war das nur die Einbildung von Leuten, die selbst psychische Probleme haben?

„Glass“ untersucht in seinen besten Szenen den Zusammenhang von Kindheitstraumata, Gaslighting und der schlichten Sehnsucht nach Heilsbringern und Helden. Und er stellt die Zuschauer durch wirklich sehr geschickte Kameraarbeit vor die Wahl, ob sie nun den an Superhelden in Shayamalans Filmwelt glauben oder auf der Seite der Ärzte sind. Im letzten Akt des Films lässt er seine drei Figuren Mr. Glass, Kevin und David Dunn in einer einzigen Grauzone gegeneinander antreten, setzt sie mal heroisch, mal armselig in Szene und erschafft dadurch einen ambivalenten Höhepunkt, der über so einige Unzulänglichkeiten aus dem bis dato manchmal sehr schlampigen und unnötig langen Film hinwegsehen lässt.

Und dann, nachdem diese ungewöhnlich Filmreihe auf ihr Finale zugelaufen ist, dann sitzt M. Night Shyamalan wieder dem Irrglauben auf, dass ein Film von ihm ohne Twist unvollständig wäre. Und ruiniert damit fast alles, was die „Eastrail 177“ ausgemacht hat.

„Glass“ startet am 17. Januar in den deutschen Kinos. Der Vorgänger „Split“ liegt beispielsweise bei Amazon Prime Video im Abo zum Abruf bereit. 

So wurde in „Split“ schon das Ende von „Glass“ verraten
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