Guided by Voices: „We won’t do the fucking Soundcheck“
Jan Müller erklärt seine komplizierte Beziehung zu Soundchecks.
Im Jahr 1981 eröffnete in Hamburg das soziokulturelle Stadteilzentrum Goldbekhaus. Das weiße Gebäude mit dem schönen Schriftzug an der Fassade liegt direkt am Goldbekkanal, der idyllisch durch Hamburg-Winterhude fließt. Dennoch: Das Wort „Goldbek“ hat nichts mit Gold zu tun, sondern leitet sich von „Gol“ für Schmutz oder Morast ab. Es war also folgerichtig, dass ich als geborener Winterhudianer im Goldbekhaus mein erstes Punk-Konzert besuchte.
Mein Schulkamerad und bester Freund Arne Zank hatte ein Plakat gesichtet: „GZW (Ex-Slime) – Live im Goldbekhaus“. Das muss in etwa im Jahr 1984 gewesen sein. Uns war sogleich klar gewesen, dass wir dorthin gehen würden. Aufgeregt trafen wir am Konzertabend viel zu früh am Goldbekhaus ein. Um 18 Uhr betraten wir den Konzertsaal, in dem sich schon einige, wenn auch nicht viele Leute versammelt hatten. Wir hatten damals keinerlei Ahnung, wie ein Konzertbesuch funktioniert.
Es schien uns seltsam, wie beiläufig dieses Konzert begann
Meine Rockmusik-Konzerterfahrungen beschränkten sich auf ein Torfrock-Konzert im Hamburger Stadtpark und eine Vorführung des fragwürdigen Rockmusik-Clowns Jango Edwards am gleichen Ort. Damals hatten sich meine Eltern um alles gekümmert. Nun also standen Arne und ich im Saal, und ich wunderte mich, dass der ehemalige Sänger der berühmtesten Punkband Deutschlands wie ein normaler Mensch durch den Saal zur Bühne schlenderte. Ich wusste zwar bereits, dass es im Punk keine Stars geben sollte; aber mein 13-jähriges Ich war dennoch sofort in einen Zustand größter Aufregung versetzt worden.
Dirk Jora betrat also die Bühne und die Band fing an zu spielen. Es schien uns seltsam, wie beiläufig dieses Konzert begann und dass selbst die wenigen anwesenden Besucher dem so wenig Beachtung schenkten. Es gab keinen Applaus nach den Stücken, manche Titel wurden gar nicht bis zu Ende gespielt. In den Spielpausen zwischen den Songs unterhielten sich die Musiker untereinander. Und nach einer halben Stunde verließ die Band die Bühne wieder, und ich begann zu ahnen, dass dies noch nicht das Konzert gewesen war. Arne und ich blieben dann einfach im Saal. Nach einer Eintrittskarte hat uns niemand gefragt.
Nach und nach trafen dann immer mehr Leute ein. Das Licht ging aus, die Band betrat wieder die Bühne, die Scheinwerfer erstrahlten und erst dann erlebten Arne und ich tatsächlich unser erstes Punk-Konzert. Erst Jahre später wurde mir klar, dass das, was wir zuvor erlebt hatten, der Soundcheck war. Mitnichten hatte ich damals geahnt, dass ich mit Vorgängen dieser Art in meinem künftigen Leben noch viele quälende Stunden verbringen würde. Heutzutage, ich gestehe es, betrete ich die Bühne am Nachmittag vor dem Konzertabend so spät wie möglich. Unsere Mitarbeiter und Techniker haben dann bereits alles aufgebaut, der Grundsound ist ohnehin digital gespeichert und dann wird der Klang lediglich den Erfordernissen der jeweiligen Spielstätte angepasst. Digital ist eben besser.
Manchmal frage ich mich: „Soundcheck? Muss das wirklich sein?“
Als wir 1993 mit Tocotronic anfingen, lernte ich jedoch zunächst, wie mühselig und lang ein Soundcheck sein kann. Wir bestritten unsere Tourneen zunächst ohne eigene Techniker. Die Techniker vor Ort hatten oft andere Vorstellungen als wir, und wir hatten wenig Sound-Fachwissen. Mit der Zeit begriffen wir einige Grundlagen. Zum Beispiel lernte ich, dass Monitor-Boxen keine Bildschirme sind (wie ich einst dachte), sondern die Lautsprecher für den Bühnenklang. Oft war ich unzufrieden mit dem Sound. Das änderte sich erst, als wir uns entschlossen, mit entsprechenden FOH- und Monitor-Mischern und Backlinern zu reisen. Ich bin ihnen sehr dankbar, wie sehr sie für uns alles verbessert haben. Dank ihnen müssen wir heutzutage zum Beispiel keine stundenlangen Schlagzeug-Soundchecks mehr über uns ergehen lassen. Dennoch: Sätze wie „Und jetzt die Snare bitte!“ haben sich schmerzlich tief in mein Bewusstsein eingebrannt.
Auch wenn die Soundchecks heutzutage nicht mehr den Endlos-Veranstaltungen früherer Zeiten gleichen, so sind sie noch immer nicht mein liebster Tagesordnungspunkt während einer Tournee. Und manchmal frage ich mich: „Soundcheck? Muss das wirklich sein?“ Die Antwort lautet: „Nein!“ Im Jahr 1995 tourten wir mit der amerikanischen Band Guided by Voices. „We won’t do the fucking Soundcheck“ war eine ihrer Standardformulierungen. Sie klangen trotzdem an jedem Abend ganz fantastisch. Wer spielt eigentlich in diesem Monat im Goldbekhaus? Vielleicht gehe ich hin. Zumindest zum Soundcheck.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2025.



