Heute hier, morgen allein


Es war einmal ein kleiner New Yorker, der zog aus, die Welt zu verbessern. Er weigerte sich, Tiere zu essen. Er komponierte Musik, zu der die Menschen tanzen und lieben. Und er bereiste den Planeten, um für seine Jünger zu spielen. Doch das ständige Einchecken, Auflegen und Abfliegen ließ ihn einsam werden. Also entschied MOBY, sein Leben zu dokumentieren. Wir zeigen seine schönsten Momentaufnahmen.

„Normalerweise schillert dieser Tunnel am Flughafen von Chicago in den unterschiedlichsten Farben. Ich musste eine ziemlich lange Zeit dastehen und warten, bis er schließlich nur in einer Farbe leuchtete. In diesem Fall grün.“

„Neujahr irgendwo in einem Eukalyptus-Hain ein paar Stunden westlich von Melbourne. Happy New Year! Ein verrücktes Meer voller Menschen.“

„Wenn jemand in einer Halle in Paris ein verrücktes Raumschiff errichtet, dann muss es ein anderer einfach fotografieren. In diesem Fall war ich zur Stelle.“

„Das war in Budapest. Und das Schöne daran, wenn man das Bild aus dem Kontext nimmt, sieht es aus, als küsse die Stewardess einen Plastik-Tintenfisch.“

„Die Nonne der Zukunft. Entdeckt am Flughafen von Toronto.“

„Ich liebe dieses Bild, weil es sich anfühlt, als habe man unsere Erde hinter sich gelassen und befinde sich in einem anderen Teil des Universums. Schließlich sieht es so aus, als schwebten wir für eine Millisekunde über einem der Monde des Jupiters.“

„Ich lebe in Hotelzimmern. Sie sind funktional und fast immer seltsam und deprimierend.“

„Wie ein Geist“

Zigtausende Meilen hat der Musiker MOBY zurückgelegt für die Aufnahmen auf den vorherigen Seiten. Ein Gespräch über Schlaflosigkeit, giftige Spinnen in Hotelbetten und die Vorhölle auf Flughöhe null.

Interview von Harald Peters

Das Cover Ihrer neuen Platte und des dazugehörigen Bildbandes zeigt das Foto einer Anzeigentafel, auf der das Wort „Destroyed“ steht. Handelt es sich hierbei um ein echtes Foto?

Ja, ich habe es in La Guardia gemacht, dem kleinsten Flughafen New Yorks. Normalerweise gibt es keinen vernünftigen Grund, von La Guardia abzufliegen, weil die Flüge eigentlich immer Verspätung haben oder gleich gestrichen werden. Jedenfalls war mein Flug drei Stunden verspätet, weswegen ich umhergelaufen bin. Und irgendwann sah ich diesen Hinweis: Unattended luggage will be destroyed. Aber auf die Anzeige passte immer nur ein Wort. Also habe ich auf das „Destroyed“ gewartet und mein Foto gemacht. Und als ich dann ein Bild für mein neues Album und den Bildband brauchte, fand ich es ganz passend.

Wieso?

Viele Leute halten „Destroyed“ für ein aggressives Wort, aber für mich steckt darin auch Leere. Es geht nicht um Zerstörung, sondern darum, dass alles auseinanderfällt, alles von einem abfällt.

Fühlen Sie sich so, wenn eine Tour vorüber ist?

Ich will nicht so klingen, als wollte ich mich beschweren. Denn Musiker dürfen sich nicht beschweren. Egal wie aufreibend und nervend das Leben auf Tour sein kann, es ist immer besser als ein gewöhnlicher Job. Und ich weiß, wovon ich rede, ich hatte schon viele schlimme Jobs. Ich habe mal Umschläge im Keller einer Versicherung zugeklebt und das Geschirr in einem Fast-Food-Restaurant gewaschen. Das sind schlimme Jobs. Wenn man bei Burger King arbeitet, dann darf man sich beschweren.

Dennoch führt man auch als Musiker ein seltsames Leben.

Ein sehr seltsames, ein Leben in Transit quasi. Man hält sich nur in Umgebungen und Räumen auf, die eigentlich nicht seltsam wirken. Man ist im Hotel, man ist im Backstagebereich und man ist an Flughäfen. An diesen Ort gibt es ganz gewöhnliche Dinge. Es gibt Betten, Stühle, Badezimmer, eine Couch. Aber all diese Dinge sind anonym und künstlich. Nach einer Weile wird man davon ein bisschen verrückt.

Vielleicht weil keiner dieser Orte für einen längeren Aufenthalt konzipiert ist. Hotelzimmer, Flughäfen und Backstagebereiche sind Transitzonen, ausgerichtet darauf, dass man sie nach einer gewissen Zeit wieder verlässt.

Exakt. Es ist das Gegenteil von Zuhause, wo man alles kennt. Möbel, Freunde und Straßen. Aber auf Tour begibt man sich in Umgebungen, die von Leuten gestaltet wurden, die man nicht kennt. Und diese Umgebungen sollen nicht warm und einladend sein. Sie sollen Flecken abweisen und vertraut wirken, ohne vertraut zu sein. Und da stellt sich die Frage, was übrig bleibt, wenn alles, was im Leben vertraut wirkt, fort ist. Wo findet man in solch einem Umfeld Glück?

Sagen Sie es mir.

Für manche Musiker sind es Drogen. Für manche ist es Sex. Manche gehen sofort nach Hause.

Was ist es für Sie?

Für mich ist es Musik.

Wenn die Show vorüber ist …

… dann gehe ich ins Hotelzimmer.

Ach.

Ich habe vor fünf Jahren aufgehört zu trinken.

Was hätten Sie vor fünf Jahren getan?

Ich wäre zur Aftershow-Party gegangen. Oder in eine Bar. Oder in einen Club. Ich wäre jedenfalls die ganze Nacht unterwegs gewesen.

Warum haben Sie damit aufgehört?

Weil ich meinen Alkoholkonsum nur schlecht kontrollieren konnte. Außerdem bin ich jetzt 45 und mein Körper braucht mittlerweile mehr Zeit, um sich zu erholen. Das wilde Leben ist vorrüber.

Aber immerhin durften Sie es kennenlernen …

… die Beziehung währte Jahrzehnte.

Jetzt gehen Sie einfach ins Hotel …

… und lese ein Buch. Oder kaufe mir Drum-Computer auf Ebay. Dummerweise leide ich unter Schlaflosigkeit, weshalb ich viel Zeit habe, mir Drummaschinen zu kaufen.

Hängt die Schlaflosigkeit ursächlich mit dem Reisen zusammen?

Das Reisen macht es jedenfalls nicht besser. Aber schon als kleines Kind schlief ich schlecht.

Zusammengefasst handelt das Tourleben also von anonymen Zimmern, in denen Sie schlecht schlafen, weil Sie nicht mehr feiern gehen. Was macht Ihnen daran Spaß?

Abgesehen von der Musik: Mich in fremder Umgebung zu erleben. Ich bin in New York zur Welt gekommen und in Connecticut aufgewachsen. Damals wusste ich genau, wer ich in meiner Stadt war. Ich verstand die Stadt, wusste, wie sie funktioniert. Meine Identität war mit der Stadt fest verbunden. Und ich schätzte es, dass diese Identität mit dem Umzug nach New York verschwand.

Sie meinen: Dieses Gefühl hat sich durch permanente Reisebewegungen immer verstärkt?

Genau. Ich verstehe mich nicht mehr als Amerikaner. Nicht mehr als New Yorker. Nicht mehr als der Junge aus Connecticut. Ich verstehe mich als seltsame Entität, die sich in einem anonymen Umfeld bewegt. Wie ein Geist.

Wie George Clooney in „Up In The Air“.

Der Regisseur Jason Reitman ist ein guter Freund. Ohne es mir zu verraten, hat er, zumindest was die Fliegerei angeht, mein Leben verfilmt.

Wie vertreiben Sie sich auf Flughäfen, der Vorhölle auf Flughöhe null also, die Zeit?

Ich warte in der Lounge oder laufe herum. Laufen und warten, grässlich. Meine Lieblingsorte sind die Buchläden. Die Aussicht, ein Buch zu finden, dass mich für die Dauer eines Fluges unterhält, finde ich sehr aufregend – ich bin ein Nerd, ich weiß. Einmal hatte ich eine Panikattacke, weil mir auffiel, dass ich das Buch, das ich mir besorgt hatte, schon kannte. Es war fürchterlich, zumal ich ja nicht schlafen kann. Und meine Sitznachbarn waren keine Hilfe: Ich saß zwischen einem Footballprofi und einer alten griechischen Nonne.

Gibt es Vorlieben bei Hotels?

Ach, da erwarte ich nicht viel. Es muss Warmwasser und Internet geben, es darf nicht schlecht riechen, leise sollte es sein. Was ich nicht leiden kann sind Designhotels, aber sonst ist mir nur wichtig, dass sie funktionieren.

Haben Sie ein Lieblingshotel?

Ja, es ist drei Stunden südlich von Perth in Australien. Ein Eco-Resort-Hotel mitten im Regenwald. Jeder Gast hat eine kleine Hütte, nicht zu schick. Das letzte Mal, als ich da war, waren zwei Spinnen in meinem Zimmer. Weil es in Australien viele giftigen Spinnen gibt, habe ich im Netz nachgeschaut, ob sie gefährlich sind. Tatsächlich handelte es sich um die zweit- und drittgiftigsten Spinnen der Welt, die aber ungefährlich sind, wenn man sie in Ruhe lässt. Also habe ich mich ins Bett gelegt, das Licht ausgemacht und wunderbar geschlafen.

Und das, obwohl Sie an Schlaflosigkeit leiden.

Ja, komisch, nicht wahr?

Albumkritik S. 104

Die Fotografien des Musikers, DJs und Produzenten Moby, bürgerlicher Name Richard Melville Hall, sind dem Bildband „Destroyed“ (128 Seiten, 55 Fotografien) entnommen, den Moby zeitgleich mit einem gleichnamigen Studioalbum veröffentlichte.