Hirnflimmern


Entschuldigen Sie, dass Sie noch warten mussten. Ich durfte noch eben mit meiner Tochter die „Kleine Nachtmusik“ von Mozart hören. Lassen Sie es mich ganz ohne Kitsch sagen: Mit einem süßen Vierwochenbaby auf dem Arm herumschaukelnd die „Kleine Nachtmusik“ hören ist wohl eine der vorzüglichsten Beschäftigungen, denen man nachgehen kann. Noch dazu, wenn das so Geschaukelte einen derart exquisiten Musikgeschmack an den Tag legt. Eben noch hatte das Baby, wie es sein ureigenes Recht ist, unspezifisch geplärrt wie am Spieß und dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Covermotiv von King Crimsons IN THE COURT OF THE CRIMSON KING angenommen, was ich als Hommage an eine meiner Lieblingsplatten und augenzwinkernde Pop-Referenz wertete. Nun ruhte es mit einem Blick, den ich als kennerhaft-berückt beschreiben möchte (es ist ureigenes Recht von Jungeltern, in die Mimik ihres Säuglings hineinzuinterpretieren, was sie lustig sind) auf meinem Unterarm und zog sich Mozart rein. Über die Schönheit des Augenblicks hinaus freute es den Vater, der natürlich schon seit der dritten Schwangerschaftswoche die Bildungschancen des Zöglings fest im Auge hat (not!), wie man den neuen Synapsen im Kindskopf beim Einrasten beinahe zuschauen konnte. Mozart haut da ja unheimlich rein.

Nein, von der reinen Country-Sozialisation für mein Kind, die ich zuletzt ankündigte, bin ich abgekommen; so ein Menschenexperiment wäre vor keiner Moral zu rechtfertigen. Wir hören jetzt alle Arten von Musik. Wobei ich mit Sorge feststelle, dass meiner Tochter der gewisse Gusto für handgemachte Gitarrenmusik fehlt. Zumindest für von mir handgemachte. Dafür konnte ich letzthin mit einer holprigen Interpretation von Reinhard Meys Klempnerlied reüssieren. Während die Mutter vorhin einen veritablen Mash-up auf den Floor gelegt hat: „Alle meine Entchen“ zur Melodie von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ – wow, und das passte voll! Total spannend! Ich bin ja nie so recht heiß geworden mit diesem freshen Pop-Ding, dem Mash-up. Ja, das hat seine popkulturelle Relevanz und „klar, da gibt’s ganz gute Sachen“ (Standardsatz, wenn man vorhat, unqualifiziert über ein Genre herzuziehen). Aber es können heute ja keine zwei Musikstücke mit irgendwie ähnlichen Akkordfolgen mehr friedlich nebeneinander existieren, ohne dass ein gewiefter DJ sie gewaltsam bastardisiert – ob das Ergebnis dann was hat oder ob’s der reine Selbstzweck ist, scheint piepegal. Letztens hörte ich im Radio eine Verwurstung von M.I.A.s „Paper Planes“ und Radioheads „No Surprises“ – versuchen Sie sich das mal vor dem geistigen Ohr vorzustellen -, die so absurd war, dass ich mich schier befleckt fühlte. Es war ein Stück entseelter Musik, das allein existiert, weil es MÖGLICH war, es herzustellen. Meine Tochter kann mit so was jedenfalls nichts anfangen. Und die ist für mich eine Autorität, was Musik angeht.