Im Reich der Sinne


Willkommen in der Zwielichtzone, hereinspaziert in die Halbwelt des Marc Almond, wo die Sünde in Seide gekleidet ist. Mit Soft Cell einst Gast auf den lichten Höhen der Hitparaden, wandelt er heute lieber in den Niederungen dunkler Triebe. Almond zelebriert Tabus und entdeckt den Glamour selbst dort, wo ihn niemand vermutet.

„Du fängst an, dein eigenes Foto zu werden und nur noch deine eigene Reklame herauszuspritzen. Dein Ausverkauf bestätigt: Du bist immer eine Hure gewesen.“

Diese bitteren Zeilen sang Marc Almond vor drei Jahren mit seiner damaligen Gruppe The Mambas. „Catch A Falling Star“, so der Titel dieses eindrucksvollen Songs, präsentiert Almonds persönliche Gedanken über einen fallenden Glamour-Star.

Glamour, was ist das? Marlene Dietrich schreibt in ihren Memoiren: „Das Wort Glamour wurde erfunden, aber niemals definiert. Ganz sicher hat es mit Persönlichkeit, mit Schönheit, ja in gewissem Sinn auch mit Autorität zu tun. Am nächsten kommt man der Bedeutung wohl, wenn man sich die Personen ansieht, die mit diesem Attribut geschmückt werden. „

Marc Almond sitzt mir gegenüber, ich sehe ihn an und frage: Was bedeutet das Wort Glamour für Marc Almond?

„Nun, was mich interessiert, das ist ein gebrochener Glamour, der sich langsam auflöst — im Gegensatz zum oberflächlichen Glamour, der sich etwa in der Kleidung manifestieren kann! Das, was die meisten Leute für konventionell schön halten, interessiert mich nicht! Ich sehe das Schöne im Anstößigen und Häßlichen — wo immer du hingehst, kannst du’s finden; es sprießt wie Unkraut durch die Risse glatter Oberflächen!“

Rosen, Champagner & Villen in Beverly Hills sind es also nicht, was Almond unter Glamour versteht. Der wahre Glamour liegt für ihn im täglichen Leben und wird unter den Teppichen einer auf Ruhe und Ordnung bedachten Bürgerlichkeit verdeckt gehalten. Mit Akribie schweift Marc Almond durch diese im Alltag verschütteten Gefühlswelten, er leckt ihre Wunden und Narben, so wie es auch ein Rainer Werner Faßbinder in seinen besten Filmen getan hat. Willkommen in der Zwielichtzone des Marc Almond. wo die Sünde in Seide gekleidet ist und alle Mittelmäßigkeit durchbrochen wird.

Almond kam in den Ruf eines exzentrischen Sonderlings nicht zuletzt dadurch, daß er metallische Satinanzüge und Silberpelze trug; die Fotos, die etwa sein Album VERMIN IN ERMINE bebildern, zeigen einen in Silberpelz und Satin gekleideten Almond, der aus dem Inneren eines vergoldeten Mülleimers steigt. Der Müll, die Stadt, der Glamour! Der Glanz steigt aus der Gosse empor — diese leidenschaftliche Vision in Technicolor hat Almond zum Thema seiner Musik gemacht.

Seine Songs sind stimmungsvolle Bäder; Almond saugt vertraute Bestandteile der Popmusik auf und verstreut sie nach eigenen Maßstäben in einen wilddrehenden Sound. Triumphierend lacht und weint er die Tränen der Mythen Freude & Schmerz; eben noch ernst wie in einem Chanson von Jacques Brei oder Scott Walker, stichelt er schon lächelnd zynisch wie ein leidenschaftlicher Spieler.

Mit Soft Cell hatte Almond die lustbetonten Augenblicke des grauen Alltags in eine cabaretartige Zauberwelt hineingefiltert: Lange bevor Frankie Goes To Hollywood die schillernde Sündenwelt von Babylon und Sodom & Gomorra geschmäcklerisch in die Charts hievten, entwarfen Soft Cell ein melodramatisches Szenarium der erotischen, tabu-belegten Sinnlichkeit. Mit Soft Cell besang Almond die heimlichen Frustrationen, die ein braver Durchschnittsmensch in seiner möblierten Vorstadtwohnung nach Feierabend durchlebt.

Die Geschichte von Marc Almond ist zunächst einmal die des Aufstiegs und Falls von Soft Cell aus Leeds. In der viktorianischen Industriemetropole treffen sich zu Beginn der 70er Jahre in der Kunstschule zwei eigenwillige Persönlichkeiten: Die eine, Marc Almond, ist desillusioniert von den Malkursen — er nutzt die Möglichkeiten der Schule, um Filme zu machen und Performances zu veranstalten. Eines Tages hört Marc seltsame Geräusche, die aus dem Musikraum der Schule kommen. Bei seinen Nachforschungen trifft er auf Dave Ball, der mit elektronischen Soundlandschaften experimentiert. Und da Dave jemanden sucht, der zu seinen Soundexperimenten einen Gesangspart einbringt, bleibt Marc gleich da. So entsteht auf ganz prosaische Art das Pop-Duo Soft Cell, das 1981 mit „Tainted Love“ erstmals in die Charts Einzug hält.

1982 versammelt Almond eine illustre Mannschaft von jungen Musikern unter dem Namen „Marc And The Mambas“ und betritt das Gebiet der Ernsten Musik. Warum diese erweiterten Aktivitäten —- fühlte sich Almond mit Soft Cell als Performer & Songwriter beschränkt?

„Ja, ich fühlte mich eingeengt. Außerdem wollten Dave und ich von Anfang an nicht unbegrenzt zusammenbleiben. Wir wußten, daß unser Anliegen nach drei LPs erschöpft sein würde. Außerdem wollte ich mein eigener Boß sein -— und das kannst du nun mal nicht, wenn du in dieser Zweierbeziehung steckst.

In meiner Umgebung gibt es viele Leute, die mich herumzustoßen versuchen —- und da versuche ich gegen anzugehen. Vielleicht bewegt sich auch daher der kommerzielle Erfolg bislang an mir vorbei — denn ich bin nicht gewillt, auf all diese dummen Spiele einzugehen, die man als Popstar spielen muß. Nun, wenn es Spaß macht, kann ich dieses Spiel bis zu einem gewissen Grad mitmachen. Wenn man mir aber den Vorschlag macht, in einer Fernseh-Show aufzutreten, nur weil ich dadurch ein paar tausend Platten mehr verkaufe, dann sage ich: ,Nein! Da mir diese TV-Show nicht gefüllt, wurde es mir auch keinen Spaß machen, da aufzutreten.‘ Auch eine Platte muß für mich Spaß machen, denn wenn ich selbst keinen Spaß habe, dann werden ihn die anderen erst recht nicht haben!

Ich habe ein bißchen Angst vor dem wirklich großen Erfolg; mit Soft Cell habe ich ihn einmal berührt, und wenn ich darüber nachdenke, gefiel mir das nicht besonders.“

Mit den Doppel-Alben UNTITLED und TORMENT AND TOREROS bewies Almond, daß auch ernsthafte Musik durchaus unterhaltsam sein kann. Als charismatischer Sänger breitet Almond hier ein neurotisches Melodrama aus. Neben eigenen Kompositionen sind es vor allem seine Interpretationen von Klassikern, die faszinieren: „The Bulls“ und „If You Go Away“ von Jacques Brei, Lou Reeds „Caroline Says“, Peter Hammills „Vision“ und „Terrapin“ von Syd Barrett. Gibt es für Almond Idole aus Musik/Film/ Literatur, die man als Quelle für seine Kreativität benennen kann?

„Alle möglichen Leute haben mich beeinflußt -— Menschen, die ein wirkliches Leben mit Höhen und Tiefen durchlebt haben. Was die Musik betrifft, so mag ich vor allem Sänger, die den Blues irgendwie anders gesungen haben; Leute wie Bessie Smith, Scott Walker, Jacques Brel. Und in der Literatur sind es Schriftsteller wie Jean Genet und die Trivial-Literatur der 60er Jahre! Es ist aber vor allem der Lebensstil, der mich berührt, nicht die Person! Ich würde mein Leben nie an einem Idol orientieren — denn meist enttäuschen dich Idole sowieso!“

Gibt es für Almond eine Trennung zwischen dem Bühnen-Charakter und der privaten Person?

„Nein! Absolut keine. Ich repräsentiere immer meine eigene Persönlichkeit. Manchmal, wenn ich die Songs anderer Leute interpretiere, übernehme ich eine bestimmte Rolle; und manchmal schreibe ich Songs über Personen, deren Charakter ich dann übernehme — aber es steckt immer ein Stück von mir da drin.“

Viele Leute, gerade in England, betrachten Almond als ihr Idol. Dabei imitieren sie ihn in Kleidung und Haarstil -— was empfindet Marc Almond dabei?

„Mir tun diese Leute leid. Manchmal kommen Menschen in meine Konzerte, die so aussehen, als hätten sie mich zu verschiedenen Zeitpunkten meiner Karriere fotografiert und somit zeitlich eingefroren: Sie trugen genau den Ohrring, den ich irgendwann einmal hatte; sie übernehmen das kleinste Detail von mir.. Und das ist schon wirklich seltsam — als würde man sein eigenes Leben im Wachsfigurenkabinett betrachten!

Am liebsten würde ich diese Leute durchschütteln und ihnen sagen: ‚Folgt keiner Mode! Folgt mir nicht — ich bin kein Beispiel.‘ Außerdem sehe ich nicht so gut aus, daß man mich imitieren sollte!

Sehr oft ist ein Idol ja für die Leute nur ein Sprungbrett, um ihre eigene Ausdrucksweise zu finden. Im übrigen habt‘ ich in meiner Jugend wahrscheinlich ähnlich gehandelt — das gehört eben zum Leben eines Teenagers. „

Haben Begriffe wie Ungewißheit und Unsicherheit im Leben des Marc Almond noch Bedeutung?

Ja, ich bin immer unsicher und auf der Suche nach Dingen, an denen ich mich festhalten kann — was mir aber nie glückt! Ich weiß nicht, aber das Wichtigste im Leben sind für mich die wenigen guten Freunde, die ich habe, die garantieren, daß du nicht verrückt wirst!

Gefahr ist auch wichtig im Leben! Ich liebe das Risiko, weil man so auf dem Boden der Realität bleibt. Das Schlimmste im Leben sind die Dinge, die apathisch und mittelmäßig sind.

Ich bewege mich gerne in Extremen. Wenn ich mich schlecht fühle, dann fühle ich mich äußerst schlecht. Wenn es mir gut geht, ist meine Stimmung extrem gut. Wenn ich etwas nicht mag, dann hasse ich diese Sache abgrundtief! Und wenn mir etwas gefällt, dann liebe ich es über alles! Freunde sagen, es sei einer meiner größten Fehler, daß ich die Dinge immer nur schwarz-weiß sehe. Aber ich fange an, mich ein wenig zu bessern.“