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„In Berlin musst du ein Meisterwerk aufnehmen.“ – mit Gold Panda durch die Hauptstadt


Der Brite lebte schon in Kawasaki, kurz vor Tokio, Hamburg, Berlin und London. Seine Tracks lassen vermuten, dass er die Signature-Sounds vieler Städte beinahe auswendig kann – wir haben das überprüft.

Mit elektronischem Klimper-Ambient im Rausch der dreckigen Großstadt: Gold Panda streift auch auf seinem neuen Album GOOD LUCK AND DO YOUR BEST wieder durch die Straßen der magischen Metropolen, sucht kleine Momente zwischen Lärm und Chaos und vertont sie wie kein anderer:

„Wie gefällt dir die Musik von Sophie?“, fragt Gold Panda und schmult hinter einem Plattenregal hervor. Wenn man ihm ins Gesicht schaut, muss man an Labrador-Welpen denken. Die treuen Augen, die leicht nach unten gezogenen Bäckchen, die knubbelige Stupsnase. „Future Bass“ steht auf dem großen weißen Trennstreifen im hölzernen Fach vor ihm, an dem er sich lose mit seinen Fingerspitzen festhält. Wir sind bei „Øye Records“, einem Plattenladen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Eigentlich haben wir keine Zeit mehr, die Promoterin seines Labels bittet uns seit einiger Zeit schon, zum Ende zu kommen. Die letzte Frage zu stellen, sich höflich zu bedanken und: never see you again. Aber Fragen stellen wir uns kaum, das Interview ist zu einem Vormittagsvinylstöbern geworden. Herrlich ziellos agieren – darin scheinen wir ganz gut zu sein. Das perfekte Interview ist ohnehin illusorisch, ebenso der perfekte Song. Und außerdem fürchterlich langweilig. Gold Panda feilt deshalb seit seinem Debütalbum LUCKY SHINER an der Unvorhersehbarkeit von Dynamik und Rhythmik: Er lässt Beats auf Melodien los, die immer mal wieder kurzweilig auf derselben Wellenlänge schaukeln und sich gleich danach in überschwängliche Disharmonien stürzen. Alles flirrt und funkelt, reibt und rauscht – die Musik wird zum Abbild der Stadt, die nach gleichem Muster funktioniert, die immer wabert und pulsiert.

Sophie, der britische Zappelphilipp-Dance-Pop-Produzent, über dessen Debütalbum wir zu sprechen versuchen, hat vor einigen Wochen im Berghain gespielt. Als Gold Panda, der eigentlich Derwin Schlecker heißt, das erfährt, klimpert er nur mit den Augen, ohne einen Ton zu sagen. Zwei Mal, ganz feste. Er sieht in diesem Augenblick wie einer dieser Drittklässler aus, die früher immer kreisrunde Pflaster von den „Fraggles“ auf einem Auge trugen, darüber eine unvorteilhafte Brille in Pastell, mit biegsamen Gummibügeln. Ein Mann kommt hinter der Kassentheke hervor. „Mann, hey! Was machst du denn hier?“, fragt er und spreizt die Arme. Derwin lässt sich hineinplumpsen. Die Männer umarmen sich innig. Im Hintergrund prangt Gold Pandas DJ KICKS an der Wand, er hatte die Platte damals mit einer Widmung verziert, als er noch in Prenzlauer Berg wohnte. Das ist einige Jahre her, trotzdem kennt er noch beinahe jede Straße im Umkreis: Im „Stadtbad Mitte“ in der Gartenstraße war er mehrmals in der Woche schwimmen, bei „Antipodes“ in der Fehrbelliner Straße Avocadotoasts frühstücken, bei „Schneiders“ in der Skalitzer Straße Synthesizer und Sequencer ausprobieren. „Warst du schon mal da?“, fragt er. Kopfschütteln. „Dann solltest du da mal hingehen und ein paar Stunden im Laden verbringen.“ Wirklich? Aber sollten da nicht lieber Menschen hingehen, die solche Geräte tatsächlich zu bedienen wissen? „Du kannst das auch.“ Nicht, dass man was kaputt macht, weil man falsche Knöpfe drückt. Und es sich anfühlt, als hätte man aus Versehen den Feuermelder losgehen lassen, weil man wie ein Elefant im Porzellanladen dagegengerumst ist. „Unsinn! Du kannst nichts falsch machen, weil du dort auch nichts richtig machen kannst. Es gibt keine Regeln.“

SO KLINGT DEUTSCHLAND

„Wenn man in Kreuzberg lebt, macht man bestimmt rauen Noise-Techno, in Prenzlauer Berg hingegen wahrscheinlich puristischen Minimal-Sound“, diese Erkenntnis sei ihm vorhin im Taxi gekommen, sagt Derwin, als er aus dem Fenster schaute und sich in den wilden Altbau-Fassaden und dreckigen Straßenzügen Berlin-Kreuzbergs verlor. Er lebte vor einigen Jahren im cleanen Prenzlauer Berg, das mittlerweile bis zur größtmöglichen Charakterlosigkeit gentrifiziert ist, und fühlte sich verloren in seinem Kiez – obwohl alles so grün und wohnlich, die Menschen gut betucht waren. Vielleicht lag genau darin das Problem: Derwin interessiert sich stärker für die hässlichen Seiten der deutschen Hauptstadt. In seinem Video zur ersten Single „Time Eater“ vom aktuellen Album kann man einem Mann von der Stadtreinigung dabei zusehen, wie er mitten in der Nacht die U-Bahn-Treppe am Kottbusser Tor schrubbt. Der Verkehrsknotenpunkt in Kreuzberg wird aktuell von den Medien beäugt wie ein dreiköpfiger Fisch, der aus einem kontaminierten See gezogen wurde. Man ist entsetzt über die hochgradige Kriminalität, die dort herrschen soll. Berichte über Drogendealer und Messerstecher kursieren.

In „Time Eater“ sieht man all das nicht, kann sich Geschichten wie diese aber durchaus anhand der trüben Bildsprache herleiten: Ronni Shendar, eine gute Freundin von Derwin, hat die Aufnahmen fürs Video gemacht und dafür weder warmweiche Filter noch Schauspieler genutzt. Sie hat echte Szenen zwischen Plattenbau und Dönerbude eingefangen – vermutlich weiß der Putzmann gar nicht, dass er gefilmt wurde. Eine Stadt stehe aber nie stellvertretend für den Rest eines Landes, sagt Derwin. New York, Istanbul, London, Berlin – ihnen kommt eine Sonderstellung zu. Er vergleicht: „In Hamburg zum Beispiel wirkt sich die Nähe zum Meer auf die Entspanntheit der Leute aus. Musik aus dieser Stadt ist frei, direkt, fokussiert, ohne zusätzliche Spielereien.“ Seine letzte Beziehung war der Grund für seinen Umzug nach Hamburg. Im Anschluss ging es nach Berlin. Mit dabei: das Bewusstsein dafür, dass auf der Hauptstadt eine große musikalische Vergangenheit lastet. „Deshalb haben viele Musiker, die hierherkommen, eine unglaublich strenge Erwartungshaltung. Sie denken: ,In Berlin musst du ein Meisterwerk aufnehmen‘“, sagt er und macht den Anschein, als hätte er das auch mal vorgehabt und wäre daran gescheitert.


Man sollte nach Berlin ziehen, wenn man: Brite ist. Derwin sagt: „Berlin ist vor allem für Briten, die Techno machen wollen, ein Traum. Die Stadt ist schließlich nicht so weit von England entfernt.“