Feature

„In Berlin musst du ein Meisterwerk aufnehmen.“ – mit Gold Panda durch die Hauptstadt


Der Brite lebte schon in Kawasaki, kurz vor Tokio, Hamburg, Berlin und London. Seine Tracks lassen vermuten, dass er die Signature-Sounds vieler Städte beinahe auswendig kann – wir haben das überprüft.

SO KLINGT JAPAN

„Als ich bei meinem letzten Japanbesuch früh morgens in Shibuya, einem lauten, angesagten Bezirk Tokios, unterwegs war, konnte man die Vögel zwitschern und kein einziges Auto lärmen hören“, sagt Derwin. Zart bewegt er seine Hände, breitet sie flach vor seinem Körper aus, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Es war anscheinend wirklich ganz leise in Tokio, seine Hände fahren gen Boden, so als wolle er jemanden beruhigen. Japan ist seine große Liebe. Die Momente, in denen sich die Natur in der Stadt breitmacht und auf den Straßen fläzt, sind aber selten. Derwin gibt ihnen immer wieder Spielraum in seiner Musik, baut quakende Frösche in Live-Sets ein, lässt Glockenspiele Regentropfen imitieren, entwickelt kaleidoskopische, florale Artworks. Und manchmal hört man sogar einen mystischen Wind wehen, wie in „Enoshima“ vom zweiten Album HALF OF WHERE YOU LIVE.

Das Kontrastprogramm liefert Tokio gleich mit: Hektik, Arbeitsmoral, blaue Flecken im Nahverkehr. „Man denkt immer, alle Japaner rennen ständig gegeneinander, weil sie so viele sind – dabei sind sie sehr rücksichtsvoll und lassen sich brav in U-Bahnen pressen“, sagt Derwin. Er lebte ein Jahr lang in Kawasaki. Direkt an der Autobahn 246, die sich über mehrere Ebenen erstreckt und so wuchtig vor den Toren Tokios prangt, dass sie an „Metropolis“ von Fritz Lang erinnert. Sobald es in Derwins Tracks um Japan geht, tun sich Abgründe auf: Industrielle Beats arbeiten gegen organische Melodien an, wenn der Sound für einen winzigen Augenblick nicht ziept und zuppelt, wird man von bedingungslosen Harmonien überwältigt.


Man sollte nach Tokio ziehen, wenn man: sein Selbstbewusstsein optimieren will. Derwin sagt: „In Japan merkt man, wie es ist, anders zu sein. Man sticht optisch absolut heraus, alle sehen dich an. Seitdem finde ich mich besser.“

Gold Panda – Chiba Nights (Official Video)
Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

SO KLINGT GROSSBRITANNIEN

Großbritannien muss ein hartes Pflaster sein, darauf lassen Stücke wie das melancholische „Back Home“ von der EP „Miyamae“ und das brachialtechnoide „Dresscode“, zu hören in den letzten Sekunden des Videos zur aktuellen Single „In My Car“, schließen. Derwin wurde in London geboren, zog aber bald mit seinen Eltern nach Chelmsford, in einen kleinen Vorort ohne kulturelle Vielfalt, dafür aber von Engstirnigkeit und Vorurteilen durchtränkt. Er rebellierte, hörte HipHop statt Britpop, einfach nur, um dagegen zu sein. Aus Prinzip. „White shirt, blue jeans, brown shoes“ („Dresscode“) – Einfalt bestimmt das trostlose Stadtbild in Chelmsford bis heute. Die Tracks von Gold Panda, die manch bittere Facette Großbritanniens widerspiegeln, klingen befremdlich, viel kühler als seine japanisch geprägten Songs. „Es war hart, in den 90ern im heutzutage hippen Stadtteil Peckham, im Süden Londons, aufzuwachsen – ich wurde auf dem Weg nach Hause ständig ausgeraubt“, sagt Derwin. Nicht überraschend, dass sich Anspannung und Trübsinn auch in seinen müden Melodien niederlassen.

Trotzdem wohnt er seit einigen Wochen wieder im Londoner Stadtteil Islington – eine unbequeme Übergangslösung. Als er davon erzählt, beginnt er sich lauthals zu ärgern. Darüber, das Wort „hip“ benutzt zu haben und so viel Geld für die Miete auszugeben. Man sei in London immer darauf angewiesen, seine Wohnung mit Menschen zu teilen, um sie überhaupt bezahlen zu können, das sei fürchterlich anstrengend. Denn Derwin liebt es, alleine zu Hause zu sein. Dort schreibt er seine Songs oder verbringt seine Freizeit damit, zu sitzen. Einfach so, um nachzudenken, ohne weitere Beschäftigung. Musik hört er kaum, als DJ ist er auch nicht tätig. Das ist vielleicht etwas seltsam, Derwin weiß das. Ähnlich seltsam ist, dass er nicht gerne ausgeht. Der heimischen Clubszene kann er ohnehin nichts abgewinnen: „Wenn du in Berlin clubben gehst, geht es den Leuten nur um die Musik, sie sind sorglos. In London ist der Spirit ein völlig anderer.“


Man sollte nach London ziehen, wenn man: reich oder auf der Durchreise ist. Derwin sagt: „Eigentlich möchte ich in Norwich wohnen, zwei Stunden Zugfahrt von London entfernt. Dort ist es zwar kühler, aber es regnet viel seltener – und billig ist es auch.“