Interview Frank Zappa


Daß er ein politischer Kopf ist, war bekannt. Daß er sich nun aber als amerikanischer Präsident bewirbt, war selbst von einem Querdenker wie Zappa nicht zu erwarten. ME/Sounds-Mitarbeiter Rudi Dolezal traf den Kandidaten in Prag, wo er mit dem tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel über das sprach, was ihn derzeit am meisten bewegt: Politik.

ME/SOUNDS: Du feierst hier in Prag mit Vaclav Havel nicht nur den Abzug der Sowjets, sondern hast als tschechischer Handelsattache auch politische Fragen zu erörtern. Wie siehst der politisch engagierte Zappa die Entwicklung in Osteuropa?

ZAPPA: Eine unmögliche Geschichte! Die Bürger Osteuropas haben das scheinbar Unmögliche möglich gemacht – und alle Dinge, die „unmöglich“ scheinen, interessieren mich besonders. Ich verstehe noch immer nicht ganz, wie die Tschechen das geschafft haben. Ich frage die Leute immer wieder: „Wie habt Ihr die Kommunisten hier rausgeworfen?“, und die beste Antwort war: „Weißt du, die Kommunisten fuhren übers Wochenende oft in ihre Landhäuser.“ Wahrscheinlich machte es das die Sache ein bißchen leichter (lacht).

Ich habe mit Vaclav Havel interessante Gespräche geführt. Er ist ein sehr netter, gebildeter, humaner Mann – ich wünschte mir, die USA hätten auch so einen netten Mann wie Havel als Präsidenten – von Bildung und Humanität ganz zu schweigen.

ME/SOUNDS: Präsident wird normalerweise ja nur der, der sich jahrelang in der Partei hochgedient hat. Ist es da per se positiv, wenn ein Dichter und Dramatiker zum Präsidenten gewählt wird?

ZAPPA: Was die Gegenwart der CSFR so spannend macht, ist die Tatsache, daß hier etwas unglaublich Radikales geschehen ist, ein Traum Realität geworden ist. Wenn sich diese Regierung von Havel durchsetzt, könnte das durchaus einen Trend in Richtung auf andere Regierungen auslösen. Wenn er hingegen versagt, wäre das eine tragische Entwicklung. Deshalb wünsche ich Havel, daß diese humanistische, originelle, kreative Regierung es schafft. Ich hoffe für ihn.

ME/SOUNDS: Was deine eigene Heimat angeht, so ist es mit einer „humanen und kreativen Regierung“ ja nicht sonderlich gut bestellt. Was erhoffst du dir für die USA?

ZAPPA: Da habe ich die Hoffnung fast aufgegeben – daher werde ich handeln. Ich habe mich nun definitiv entschlossen, 1992 für das Amt des amerikanischen Präsidenten zu kandidieren.

ME/SOUNDS: Und das ist dein voller Ernst?

ZAPPA: Ja, das meine ich ernst. Die USA stecken tief in der Scheiße, dank solcher Flaschen wie Reagan und Versagern wie Bush. Ich bin nicht größenwahnsinnig oder publicitygeil, ich habe mir das gut überlegt – aber mehr Scheiße als diese Jungs kann auch ein Präsident Zappa nicht bauen.

ME/SOUNDS: Welche Chancen räumst du dir denn realistischerweise ein?

ZAPPA: Es gab vor kurzem eine telefonische Meinungsumfrage des TV-Senders „Channel 9“ in Los Angeles. Die Frage lautete: „Würden Sie für Frank Zappa stimmen, wenn er für die Präsidentschaft kandidiert?“ 86 Prozent der Zuschauer stimmten mit Ja, 14 Prozent mit Nein. Das ist doch nicht schlecht für den Anfang.

ME/SOUNDS: Du bist dir auch darüber im Klaren, daß eine politische Karriere, solltest du tatsächlich gewählt werden, dein Leben vollständig umkrempeln würde?

ZAPPA: Nur dann, wenn ich wirklich gewinne. Schon jetzt fange ich bei jedem Interview ohnehin sofort an, über Politik zu reden, selbst wenn der Anlaß für die Interviews eigentlich meine neue Platte ist. Insofern würde sich also nicht so viel verändern – es sei denn, der nächste Präsident hieße tatsächlich Frank Zappa, aber da müßte schon ein Wunder geschehen. Mir geht es in erster Linie um politische Bewußtseinsmachung: Die Jungs, die die letzten Jahre in Amerika am Ruder waren, sind in meinen Augen allesamt Versager, Wichser, Betrüger und Verräter an der eigentlichen Idee der amerikanischen Verfassung. Mein Plan ist, als unabhängiger Kandidat aufzutreten, das heißt, ohne Unterstützung von Demokraten oder Republikanern. Mein politisches Programm ist es, die USA in ihrer Legislative wieder näher an die ursprüngliche Verfassung heranzuführen, von der sie sich, wie ich glaube, weit entfernt hat. Außerdem würde ich umgehend die Einkommenssteuer abschaffen.

ME/SOUNDS: Nun aber mal im Ernst: Das ist doch wohl ein Scherz?

ZAPPA: Keinesfalls, du mußt dir das so vorstellen wie beim Mautzahlen auf der Autobahn: Jeder, der die Autobahn benutzt, zahlt dafür etwas. Wer sie nicht benutzt, braucht auch nichts zahlen. Ich würde es mit den Steuern genauso machen. Nach meiner Vision sollten Leute nur Steuer zahlen, wenn sie Güter kaufen; hingegen sollte ihr Einkommen steuerfrei sein. Das ist doch das, was jeden ankotzt: Der Staat nimmt automatisch einen Teil des Einkommens weg. Ich bin davon überzeugt, daß dieses neue Steuersystem im Endeffekt sogar die Wirtschaft ankurbelt. Ich habe diesen Denkansatz mit zwei Beratern in Washington schon durchgespielt und durchgerechnet – es würde funktionieren. Statt sinnloser Kriege sollten sich die Schwachköpfe im Weißen Haus lieber mit solchen Perspektiven beschäftigen.

ME/SOUNDS: War also auch der Golflcrieg völlig sinnlos?

ZAPPA: Der Golfkrieg war die Bankrotterklärung der Demokratie. Eine halbe Million Leute in den Irak zu schicken, um dort alles in die Luft zu sprengen, hat für mich nichts mit Demokratie zu tun. Außerdem war die Krieg die Bankrotterklärung von George Bush, der sich entblödete, von einer „neuen Weltordnung“ zu sprechen – wußte er denn wirklich nicht, daß die gleichen Worte schon von einem gewissen Adolf Hitler verwendet wurden?

Die Wahrheit hinter dem Golfkrieg ist doch, daß Bush lieber mit korrupten Monarchen wie den Kuwaitis Geschäfte macht als mit einer demokratisch gewählten Regierung. Wie verlogen dieses Gerede von Bush eigentlich war, sah man deutlich am Schicksal der Kurden: Sie hatten keine korrupte Öl-Lobby im Weißen Haus – da ließ sie Bush im Regen stehen. Eine verdammte Schande für die USA.

ME/SOUNDS: Der Golfkrieg halte und hat aber in der US-Bevölkerung mehr Befürworter als Gegner…

ZAPPA: Laß mich etwas Grundsätzliches zur Demokratie sagen: Erinnert sich noch irgendjemand, wie Hitler an die Macht kam? Er wurde gewählt! Waren deshalb die Greueltaten des Dritten Reiches „demokratisch“?

So muß man auch das Medienspiel der heutigen Mächte verstehen. Durch die heute üblichen Massen-Manipulationen kann man relativ leicht die beschissensten Zustände als „demokratisch“ legitimieren.

ME/SOUNDS: Welche Werte wären fir dich als US-Präsident vorrangig?

ZAPPA: Ich glaube, der mit Abstand wichtigste Wert, den die Menschheit bewahren muß. ist die Ehrlichkeit. Wenn man zu sich selbst und zu anderen Leuten ehrlich ist. hilft das letztlich auch der „geistigen Gesundheit“ der gesamten Menschheit. Denn schlechte geistige Gesundheit ist eines der größten Probleme, die die Welt heute mit sich herumschleppt. Menschen, die ehrlich und geistig gesund sind, führen keine Kriege gegeneinander. Kriege führen nur Leute, deren Geist verwirrt ist. die Scheiße im Hirn haben („fucked up people“).

Es ist mir bewußt, daß Ehrlich-Sem heutzutage extrem unmodern ist. Es ist viel leichter zu lügen, als Lügner kommt man schneller viel weiter. Lügner machen die besseren Karrieren. Im Endeffekt aber ist Unehrlichkeit der Sargnagel der Menschheit, Unehrlichkeit zerstört den Menschen. Ich würde also als Präsident auch für mehr Ehrlichkeit in der Politik kämpfen – auch wenn mir bewußt ist, daß das ein sehr naives Anliegen ist. Bloß weil Zappa etwas fordert, werden nicht alle Politiker aufstehen und sagen: „Okay, ab jetzt sage ich nur noch die Wahrheit…“

ME/SOUNDS: Ist der Präsidentschaftskandidat Zappa ein amerikanischer Patriot?

ZAPPA: Ich geniere mich noch immer nicht, Amerikaner zu sein. Die politische Landschaft in den Vereinigten Staaten ist jedoch ein Witz, weil sie von absolut erbärmlichen Existenzen gestaltet wird. Außerdem sollte man eines offen aussprechen: Politik wird nicht mehr von den Politikern gemacht, sondern vielmehr von multinationalen Konzernen – Lobbys, die unendlich viel Geld haben und daher ebenso großen politischen Einfluß nehmen. Bisher waren amerikanische Regierungen bloß drittklassige Fernsehserien, deren Darsteller ständig ausgewechselt werden. Und talentiertere Schauspieler sind nie nachgewachsen.

ME/SOUNDS: Ist der Präsidentschaftskandidat Zappa politisch eher „links“ oder „rechts“ einzuordnen?

ZAPPA: Weder noch. Links und rechts sind Kategorien, die sich ad absurdum geführt haben. Früher glaubte man, daß Gewerkschaften „links“ seien. Heute weiß man, Gewerkschaften sind wie die Mafia, die wiederum für die CIA arbeitet, die wiederum mit der Kirche unter einer Decke steckt. Was für einen Unterschied macht das noch? Sie sind alle korrupt. Die Mächtigen ziehen an den gleichen Drähten. Und Politiker und Gewerkschaften sind nur die lahmarschigen Marionetten der Mächtigen. Mit dem einzigen Unterschied, daß kein Gelächter im Publikum ausbricht, wenn diese Drähte gezogen werden. Stattdessen werden Kriege geführt und Raketen gefeuert. Ein schlechtes Schmierentheater.

ME/SOUNDS: Wie ist eigentlich dein Verhältnis zur Kirche?

ZAPPA: Ich glaube nicht an einen Gott, der irgendwo oben im Himmel thront und auf uns herunterblickt. Es fällt mir schwer, an einen Gott mit langem weißem Bart zu glauben, der angeblich weiß, was im Herzen eines jeden Menschen vorgeht, und der obendrein garantiert, daß die „Guten“ nach ihrem Tode belohnt werden. Diese Art von Religion halte ich für ebenso verlogene wie gefährliche Propaganda.

ME/SOUNDS: Wäre Zappa ein „humanistischer Präsident“ wie Vaclav Havel? Oder bliebe Zappa doch nur der ewige Zyniker, als den wir ihn kennen?

ZAPPA: Ich finde, daß das Leben eine einzige Absurdität ist und daß die Menschheit ein einziger, großer Fehler ist. Sollte es einen Gott geben, so hat er bei der Erschaffung des Menschen wirklich beschissene Arbeit geleistet. Die Menschen sind nämlich nur zu einer Sache wirklich fähig: sich gegenseitig umzubringen. Das können sie besonders gut, viel besser als jede andere Gattung. Menschen schaffen sich selbst die größten Probleme, morden gerne und bauen einen Haufen Mist. Deshalb laufen wir auch Gefahr, daß sich die Menschheit in naher Zukunft selbst ausrottet, wenn nicht ein paar „untypische“ Menschen etwas dagegen unternehmen. Sonst wird unser Planet mit Sicherheit schon bald in die Luft fliegen und statt für Menschen nur mehr Heimat für resistente Küchenschaben sein. Sollten wir jedoch noch rechtzeitig aufwachen und den Irrsinn erkennen, haben wir eine Chance.

Objektiv betrachtet ist die Situation der Menschheit aber völlig absurd. Ich möchte mir nur nicht vorwerfen müssen, das erkannt, aber nichts getan zu haben.

ME/SOUNDS: Was ist denn in deinen Augen der gravierendste Fehler der derzeitigen amerikanischen Regierung? Oder anders gefragt: Was ist deine größte gesellschaftspolitische Ambition als potentieller US-Präsident?

ZAPPA: Es erstaunt mich immer wieder, daß Regierungen die Kraft der Jugend unterschätzen. Wenn heutzutage eine neue Regierung gebildet wird, benutzt sie ausgeklügelte Computer, befragt viele kluge Köpfe, die analysieren sollen, welche Probleme zu lösen sind, wie politische Vorgänge zu organisieren sind, aber: Sie vergessen immer die Jugendlichen. Ganz selten stößt man auf Regierungen, die „die Jugend“ zu politischen Programm machen. Praktisch alle poltischen Konzepte beschäftigen sich mit den „Erwachsenen“, den alten Leute. Politiker vergessen dabei, wieviel Energie die Jugend hat, genauso wie sie vergessen, welchen Schaden eine unzufriedene Jugend in der Gesellschaft anrichten kann.

Normalerweise sind Politiker alte Menschen, die längst den Kontakt zur Jugend verloren haben. Wir Popmusiker müssen „jung bleiben“, selbst wenn wir alte Hasen sind, denn die Jugend ist nun mal das Hauptpublikum der Popmusik. Und Popmusik ist die direkteste Demokratie der Welt. Die Jugendlichen stimmen über Popmusik ab, indem sie Platten oder Konzerttikkets kaufen. Auch wenn dabei Manipulation und Medien sicher eine gewichtige Rolle spielen, so stimmen die Jugendlichen durch den Kauf von Platten und Tickets doch letztlich darüber ab, wer in der Popmusik Erfolg hat. Wenn ihnen eine Band nicht mehr gefällt, kaufen sie einfach deren Platten nicht mehr, „wählen“ sie also nicht mehr. So einfach funktioniert das.

Eine Regierung, die die Jugend vergißt, ist ständig in Gefahr, aus den Angeln gehoben zu werden, denn Jugendliche können gesellschaftlich Berge versetzen. Die meisten Politiker tun so, als ob es die Jugendlichen nicht gäbe. Das zu ändern, ist eine meiner Ambitionen.

ME/SOUNDS: Inwieweit läßt sich deine Tätigkeit als Popmusiker mit der des Politikers vergleichen?

ZAPPA: Vieles, was ich als Popmusiker getan habe, bestand letztlich darin, auch über gesellschaftliche Zustände zu berichten. Ich habe von meinem spezifischen Standpunkt aus berichtet, der sicher kein „normaler“ Standpunkt ist. Meine Songs, so subjektiv sie auch gewesen sein mögen, waren in gewisser Weise ein Spiegel der Gesellschaft. Insofern würde sich der Politiker Zappa nicht einmal übermäßig vom Musiker Zappa unterscheiden, da ich weiterhin gesellschaftliche Zustände kritisieren würde. Eines ist sicher: Ich würde mich nicht den gängigen Formen der Politik anpassen, sondern meinen zynischen Standpunkt beibehalten. Ich glaube fest daran, daß nur die Zyniker recht haben. Nichts zu ernst zu nehmen, sich über vieles lustig machen (auch über sich selbst), ist sicher eine Geisteshaltung, die jedem Politiker gut zu Gesicht stehen würde.

Trotzdem ist meine geplante Kandidatur als Präsidentschaftskandidat der USA kein zynischer Scherz. Warum soll nicht auch ein Popmusiker amerikanischer Präsident werden? Warum soll es ein Witz sein, wenn Zappa kandidiert? Oder hat etwa irgend jemand gelacht, als ein Schauspieler namens Ronald Reagan Präsident wurde?

ME/SOUNDS: Resultieren deine Kandidatur und deine politischen Ambitionen nicht vielleicht auch aus einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem Popgeschäft?

ZAPPA: Mit dem Popgeschäft war ich immer unzufrieden, insofern ist der Wechsel von Pop zu Politik vermutlich der gleiche wie vom Regen in die Traufe. Beide Betätigungsfelder haben ein ähnliches Umfeld: Popmusik ist Illusion, Politik ist Lüge, meistens jedenfalls. In der Popmusik ist nichts echt, in der Politik auch nicht. Die Auswirkungen sind jedoch von unterschiedlicher Tragweite.

ME/SOUNDS: Wer sind deine Hauptgegner im Kampf um die Präsidentschaft: Demokraten oder Republikaner?

ZAPPA: Für mich sind beide gleich daneben. Die Demokraten verkörpern für mich das Motto „Ich wäre lieber ein Republikaner“, und die Republikaner wiederum stehen für rohen Kapitalismus, Gier und Ignoranz. Tolle Auswahl, nicht wahr? In den 80er Jahren gab es für denkende Amerikaner wirklich nichts zu lachen. In den zehn Jahren der Reagan-Administration explodierte die Rate der Obdachlosen, 12 Prozent davon sind Vietnam-Veteranen, 30 Prozent der Vietnam-Vets landeten in Irrenanstalten und der Rest von ihnen vegetiert mit Depressionen an der Armutsgrenze.

ME/SOUNDS: Was wäre die oberste Regel eines Präsidenten Frank Zappa?

ZAPPA: Vertraue niemandem. Halte grundsätzlich jeden für ein Arschloch, bis er das Gegenteil bewiesen hat.