Interview: Vedder, Pearl Jam


Es kam, wie es kommen mußte: Pearl Jam brechen alle Rekorde, "Vs." verkaufte in den USA auf Anhieb mehr als Guns N'Roses letzter Doppelpack. Grund zum Feiern? Mitnichten. Pearl Jams Publikumsliebling Eddie Vedder, als Sänger ungewolltes Zentrum der Hysterie, macht der Erfolg nicht glücklich. ME/Sounds klagte er die Leiden seines neuen Lebens als Star.

ME/SOUNDS: Euer Debutalbum „Ten“ war eines der erfolgreichsten Alben des letzten Jahres, ihr wart danach fast ununterbrochen auf Tour und wieder zuhause habt ihr sofort mit der Arbeit am Nachfolger „Vs“ begonnen. Pearl Jam ist gerade mal drei Jahre alt und heute eine der erfolgreichsten Bands Amerikas. Wie kommt man als relativer Neuling im Geschäft mit dem Aufstieg über Nacht zurecht?

VEDDER: Es gibt da einen guten Trick: einfach alles ignorieren. Wenn man über die radikalen Veränderungen, die das Leben als „Rockstar“ mit sich bringt, zuviel nachdenkt, läuft man tatsächlich Gefahr, ein ganz anderer Mensch zu werden. Man versucht allen Ansprüchen von außen gerecht zu werden und fängt irgendwann an zu glauben, daß man wirklich so groß und außergewöhnlich ist, wie die Welt und die Fans glauben. Wir haben in der Band immer versucht, uns gegenseitig am Boden zu halten, und darauf Acht zu geben, daß uns niemand mißbraucht oder verheizt.

ME/SOUNDS: Hast du dafür ein persönliches Patentrezept?

VEDDER: Ich versuche, mir jeden Morgen, wenn ich aufstehe, zu vergegenwärtigen, daß ich ein normaler Mensch bin, dann gehe ich Fahrrad fahren und freue mich darauf, Musik zu machen, Songs zu schreiben, die Band zu treffen – und mich nur darauf zu konzentrieren. Doch auch das ist schon wieder ein Teufelskreis, denn plötzlich gibt es in meinem Leben einen Grund, die Band zu treffen. Und ich muß Songs schreiben, weil Leute es von mir erwarten. Ich hasse dieses Geschäft…

ME/SOUNDS: Glaubst du, daß die Tatsache, daß Deine Musik sich verkauft, dich von deiner ursprünglichen Intention als Musiker entfernt?

VEDDER: Manchmal ja. Als wahrer Musiker geht es einem nur darum. Musik zu machen. Das ist das einzige, was ich immer machen wollte. Ich habe hart dafür arbeitet, habe jede Menge Drecksjobs gemacht. Wenn man mal an den Punkt kommt, wo man keine Lust mehr hat, Musik zu machen, dann läuft was ganz verkehrt. Dann wird man verändert.

ME/SOUNDS: Du warst also letztes Jahr schon mal an dem Punkt, wo du keine Musik mehr machen wolltest?

VEDDER: Nein, ganz so schlimm war es nicht, aber es gab Momente, wo ich nur noch für mich ganz alleine spielen wollte oder für meine Freundin und mir keine Gedanken mehr darüber machen wollte, für wen oder warum ich spiele. Manchmal genieße ich das Gefühl, Musik zu machen, die in dem Moment, wo ich sie spiele, wieder verloren ist. die auf keine Platte kommt und niemandem gehört.

ME/SOUNDS: Pearl Jams Musik und vor allem deine Person als Sänger scheint bei Fans eine ganz besondere Art der Identifikation auszulösen, eine fast intime Verbindung. Woran, glaubst du, liegt das?

VEDDER: Das läßt sich schwer analysieren. Es gibt eine Menge Bands, die dasselbe vergeblich versuchen. Wenn es dazu eine bestimmte Formel gäbe, hätten sie schon Tausende erfolgreich angewandt. Leuten, die mit Musik Geld machen wollen, ist doch jedes Mittel recht, um die Kids auszubeuten. Kids tragen Flannellhemden, sie nennen es „Grunge-Look“ und vermarkten die ganze Sache. Wir versuchen ehrlich zu sein, lassen unseren Gefühlen freien Lauf und machen positive Musik. Wir spielen, was wir fühlen. In Seattle hat man eh‘ keine andere Wahl, hier läßt sich keiner was vormachen. Wenn du hier versuchst Bon Jovi zu sein, lachen dich die Leute aus. Mit Las Vegas-Performern kann hier keiner was anfangen.

ME/SOUNDS: Das klingt sehr unamerikanisch. Euer Land ist doch sonst berühmt für die Kunst der perfekten Unterhaltung…

VEDDER: Diese Denkart ändert sich gerade, vor allem bei jungen Leuten, die Musik hören. Die spielen da nicht mehr mit. Das ganze testosteronschwangere Konzept des Rock’n’Roll der letzten zehn Jahre funkioniert bald nicht mehr. Es macht mich ganz krank, daß all die ondulierten Poser im Ausland immer noch Amerika und amerikanisches Denken repräsentieren.

ME/SOUNDS: Wie du vorher selber schon bemerkt hast, ist die emotionale Qualität Eurer Musik eher positiv, während deine Texte oft bitter und bösartig sind. Bist du Schwarzseher oder Optimist?

VEDDER: Es ist wohl ähnlich wie in unserer Musik, die Texte unterliegen letztendlich der euphorischen Stimmung der Musik: Egal wie immer dein Leben aussehen mag, am Leben zu sein, ist auf jeden Fall etwas, über das man sich freuen kann. Irgendwas läßt sich doch immer aus einem Tag herausholen, auch wenn du ein Penner bist und unter einer Brücke lebst, kannst du jeden Tag etwas finden, für das es sich zu leben lohnt. Ich finde die Energie faszinierend, die uns alle am Leben hält. Sogar Obdachlose wollen nicht sterben. Das ist unglaublich und beeindruckend.

ME/SOUNDS: Viele deiner Fans scheinen diesen unerklärlichen Lebensmut nicht zu besitzen, du bekommst viele Briefe von Fans, für die du nicht nur Idol, sondern auch Kummerkasten bist. Was gibt einem das für ein Gefühl, wenn einem völlig Unbekannte von ihren Selbstmord-Plänen schreiben?

VEDDER: Sie schreiben mir wohl alle, weil sie glauben, daß wir etwas gemeinsam haben. Ich habe Texte geschrieben, die genau von der Hölle erzählen, durch die sie gerade gehen. Und das bedeutet für sie. daß ich dasselbe erlebt habe wie sie. Sie suchen einen Retter, der ihnen zeigt, wie man sich über Wasser hält. Aber ich bin auch nur ein Mensch wie sie, und was mich über Wasser hält ist meine Musik. Sie rettet mich heute und die Musik anderer Leute hat mich früher gerettet. Jeder kann alle Kraft, die er braucht, aus der Musik ziehen. Wer sie von mir persönlich will, für den kann ich nichts tun. Ich kann mir selber kaum helfen, und das meine ich ernst.

ME/SOUNDS: Du antwortest also nicht auf die Briefe?

VEDDER: Ich habe es versucht, aber es ist sinnlos. Ich kann ihnen nicht geben, was sie brauchen, und wenn ich zurückschreibe, wollen sie immer mehr von mir. Ich habe niemals an Pete Townshend geschrieben, als ich klein war. und gehofft, daß er mein Leben reiten würde. Ich habe meine Kraft aus seiner Musik geschöpft und dabei ist mir klar geworden, daß ich mich so auch selber retten kann – indem ich Musik mache. Und damit meine ich nicht, Musik zu machen, um berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen. Für mich hat Musik eine spirituelle Bedeutung, sie ist für mich das, was mein Leben lebenswert macht. Und es hätte mir immer gereicht, in irgendeinem blöden Job zu arbeiten, solange ich nur nebenbei Musik machen kann.

ME/SOUNDS: Wenn deine Musik für dich etwas so persönliches ist, was für ein Gefühl hast du dann, wenn du live vor den Leuten spielst, die soviel von dir verlangen?

VEDDER: Live zu spielen ist für mich das einzig Wahre. Es ist ehrlich, und du kannst alles ‚rauslassen, du gibst dich hin, deiner Band und dem Publikum, und du machst es gerne. Und wenn Du ins Publikum schaust, siehst Du an den Augen der Leute, daß sie bei Dir sind, daran teilhaben. Sie sind da. direkt vor Dir, und es passiert was. Es ist kein Video, es ist kein Film, keine Leinwand. Du bist mit all diesen Leuten in einem Raum und denkst keine Minute an all die Briefe und die seltsame Bewunderung, die sie Dir entgegen bringen. Es rettet mir jedes Mal aufs Neue das Leben, und ich hoffe, daß es einigen Leuten da unten genauso geht.

ME/SOUNDS: Früher warst du selber „da unten“, warst fanatischer Musikkonsument. Was hat das damals für dich bedeutet?

VEDDER: Ich war nie ein Fan. Ich hatte schon als Jugendlicher immer das Bedürfnis, das Gefühl und die Energie, die mir eine Band in einer Show gegeben hat. irgendwie konstruktiv umsetzen zu müssen. Nach den Konzerten, wenn alle meine Freunde noch ausgegangen sind, bin ich immer sofort nach Hause zurück, wollte nur spielen und schreiben. Das hat mich auf meinen Weg gebracht, ich wollte lieber an meiner eigenen Musik arbeiten, als mich mit dem guten Gefühl auszuruhen, das einem ein gutes Konzert gibt. Denn wenn das Gefühl nachläßt, will man nur diese Band wieder sehen, und das führt einen nirgendwo hin. Man muß Entscheidungen treffen. Wenn man Musik liebt, kann das heißen, in einem Club zu arbeilen oder Gitarre spielen zu lernen. Das Wichtigste ist auf jeden Fall, das man etwas macht, das einem selber gut tut.

ME/SOUNDS: So einfach ist Eddie Vedders Lebensphilosophie?

VEDDER: Ja. das Schöne ist doch, das es so viele Wege gibt, glücklich zu werden. Das ist mir erst kürzlich klar geworden. Ich habe mit ein paar Leuten Acid genommen, und es war wirklich interessant zu beobachten, zu was für unterschiedlichen Dingen uns das animiert hat. Ich war im Freien unter der Dusche, ein anderer lag auf dem Rücken und hat Musik gehört, wieder jemand anderes stand nackt auf einem Felsen, jeder hat seinen eigenen kleinen Weg gewählt, und genauso ist das Leben. Es gibt so viele Dingen die man tun kann, jeder hat die Wahl. Und selbst wenn man aus sozial schlechten Verhältnissen kommt, gibt es Wege, seine Herkunft zu überwinden, wenn man sich nicht unterkriegen läßt.

ME/SOUNDS. Ist das nicht ein wenig blauäugig formuliert, in Anbetracht der Probleme, die sich sozial Schwächeren stellen?

VEDDER: Ich meine nicht, das jeder alles tun kann, aber jeder kann etwas tun. Doch man muß dafür arbeiten. Hier in Amerika gibt es eine Menge Leute, die nicht an sich arbeiten, und auch nicht mit anderen arbeiten wollen. Sie wollen alles haben, was sie im Fernsehen sehen, aber sie können keine drei Wochen im selben Job durchstehen. Es war mal anders hier, die Leute haben dreißig Jahre in Scheißjobs geschuftet, ohne auch nur irgendwas zu erreichen. Heute gibt es da draußen so viele Möglichkeiten, daß sich keiner mehr anstrengen will.

ME/SOUNDS: Jetzt spricht wohl eher Eddie, der Schwarzseher?

VEDDER: Ja. Es deprimiert mich, zu sehen, wie sich die ganze Welt aufGeld und Konsum reduziert. Die Leute gehen nur noch auf die Schule, um später Karriere zu machen, kein Mensch lernt und forscht mehr mit Leidenschaft. Wissenschaft ist zum Geschäft geworden, und man macht Geld mit so ekelhaften Dingen wie Tierversuchen. Kreativität zählt nicht mehr, und die Wahrnehmungsspannen der Leute werden immer kürzer. Kids gucken schnelle Videos, spielen schnelle Videospiele, essen Fast Food, und danach gehen sie in ein U2-Konzert.

ME/SOUNDS: Klingt nicht gerade romantisch…

VEDDER: Nein, weiß Gott nicht. Aber die Leute suchen auch nicht mehr nach Romantik. Ich habe unlängst in London alte Bücher gekauft, aus dem Jahr 1898. großartige Bücher mit seltsamen Widmungen für nur ein Pfund! Ich finde es sehr romantisch, alte Bücher zu lesen, aber wer macht das heute noch?

ME/SOUNDS: Du bist also kein Mensch des Digitalzeitalters?

VEDDER: Nein, ich habe immer noch eine alte Schreibmaschine, die hat mich mal fünfzehn Dollar gekostet und auf der schreibe ich alles. Man kann die Worte auf dem Papier fühlen.. Ich mißtraue Computern, wenn ich an der Schreibmaschine schreibe, habe ich am Ende einer Nacht einen Stapel Papier, den kann ich sehen und ich habe das Gefühl, etwas getan zu haben. Computer sind manchmal praktisch, aber nicht um kreativ zu arbeiten. Die Kunst leidet darunter.

ME/SOUNDS: Dann bist du auch ein Verfechter „handgemachter“ Musik?

VEDDER: Ja. Musik mit Computern zu machen, finde ich abartig. Nun gut. irgendwann wird sie letztendlich doch digitalisiert und kommt auf eine CD, das finde ich seltsam genung. Wenn wir könnten, würden wir auch das vermeiden.

ME/SOUNDS: Was dabei an Musik auf Eurer neuen CD „Vs.“ gelandet ist, ist für Euch trotzdem ein deutlicher Schritt nach vorne. Vieles klingt um einiges aggressiver. Hat das mit den Erfahrungen zu tun, die Pearl Jam seit dem Debüt gemacht hat?

VEDDER: In erster Linie lag das daran, daß wir erst nach „Ten“ begonnen haben, viel live zu spielen. Wir sind dadurch eine richtige Band geworden, und je öfter wir das alte Material auf der Bühne spielten, umso härter und aggressiver klang es. Ein hartes Stück wie „Blood“ auf „Vs.“ geht live erst so richtig ab, und rückblickend kam es uns seltsam und störend vor. daß unsere radikal aggressive Seite auf „Ten“ kaum präsent ist.

Viele Leute haben dadurch einen falschen Eindruck von uns bekommen. Auf „Ten“ gab es zum Beispiel einen sehr gefühlvollen, harmlosen Song „Black“, den wir bewußt nicht als Single veröffentlicht haben wollten. Doch dann wurde das Lied ständig im Radio gespielt, und plötzlich waren diese ganzen alten Leute auf unseren Konzerten, das hat mich wirklich erschreckt. Nicht das ich was gegen ältere Leute hätte, aber ich glaube nicht, daß sie uns verstehen.

ME/SOUNDS: Am allerwenigsten haben die wohl verstanden, was in Eddie Vedder vorgeht, wenn er während Konzerten in selbstmörderischer Art und Weise anfängt, die Bühne hochzuklettern, um am oberen Ende Klimmzüge zu machen oder ähnliches. Warum machst du sowas?

VEDDER: Gute Frage. Manchmal macht mich das Publikum verrückt, manchmal haben sie so leere Gesichter und zeigen keine Reaktion. Ich kann damit leben, wenn jemand sagt, wir sollen uns verpissen, aber ich kann nicht damit leben, wenn uns jemand ignoriert. Ich werde dann sehr unvernünftig und versuche zu provozieren. Ich sollte damit aufhören. Wo soll das noch hinführen? Irgendwann stehe ich mit einem Messer auf der Bühne und schneide mir sich den Arm ab…

ME/SOUNDS: Das solltest du auch lieber bleiben lassen, als Sänger der nächsten wirklich großen Rockband Amerikas…

VEDDER: Danke nein, genau das will ich nicht sein. Ich mache Musik, und es ist schön, daß die Leute sie überall im Laden kaufen können. Aber das nächste „große Ding“ zu sein, bringt einem persönlich überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil, es entfernt einen von einem selber. Und das Geld, das man verdient, macht auch nur Arbeit. Denn plötzlich mußt Du darauf acht geben, daß Dein Geld nicht verschleudert wird, oder daß der Staat nicht alles einkassiert. Und selbst, wenn Du’s verschenken willst, mußt Du Dir Gedanken darüber machen, wieviel und an wen. Sonst leben bald Hunderte von Leuten auf Deine Kosten. Und das will schließlich keiner. Ich will allen meinen Freunden helfen klar, aber wo sind die Grenzen? Geld macht nur Probleme. Ich kann das nicht brauchen.

ME/SOUNDS: Deine neue Berühmtheit macht dir stark zu schaffen, du gibst kaum noch Interviews, und auf vielen Fotos trägst du eine Maske…

VEDDER: Es kommen so viele Anfragen, man muß irgendwann anfangen auszuwählen. Eigentlich sollte man dann konsequenterweise mit gar niemandem reden, aber ich fürchte, das kommt falsch bei den Leuten an. Die denken dann sofort, ich sei nur ein Superarschloch, das zu schnell berühmt geworden ist.

ME/SOUNDS: Was willst du dagegen tun?

VEDDER: Wenn mir das alles zuviel werden sollte, höre ich einfach auf. mir ist das egal. Ich werde immer Musik machen. Es gibt genug Leute, die sie hören wollen, wenn ich meine Tapes zuhause aufnehme, und sie über den Gartenzaun für einen Dollar verkaufen würde, könnte ich damit sicher immer noch meine Miete bezahlen. Ich könnte meine Musik verbreiten, auf ehrliche Art und Weise und hätte komplette Kontrolle über alles. Und das ist das Einzige, was mir wichtig ist. Ich hatte niemals den Lebenstraum, ein Rockstar zu werden. Ich will die ganze Aufmerksamkeit nicht und auch nicht die kreischenden Mädels. Ich habe seit neun Jahren dieselbe Freundin, und es ist unangenehm, ständig von verliebten Kindern belästigt zu werden. Bei mir ist der ganze Rummel fehl am Platz, ihr habt Euch dafür den Falschen ausgesucht.

ME/SOUNDS: Vor was hast du am meisten Angst?

VEDDER: Daß meine Beziehung daran kaputt gehen könnte. Wir sind neun Jahre zusammen und haben jede Menge Scheiße zusammen durchgemacht. Allein der Gedanke, daß sie durch irgendwas gefährdet werden könnte… Was mich wahnsinnig macht, ist daß ich überhaupt keine Kontrolle mehr darüber habe. Jemand schreibt einen widerlichen Liebesbrief und er landet in meinem Briefkasten, in meinem Haus. Ich habe keine Ahnung, wer dieses Mädchen ist, und trotzdem steht sie zwischen uns. Wenn meine Freundin all‘ diese Aufmerksamkeit bekommen würde, wenn sie mein Lebenhühren würde, würde ich vielleicht auch irgendwann daran nicht mehr teilhaben wollen. Ich könnte ihr nicht böse sein, wenn sie gehen würde. Ich habe unlängst ein Buch über John und Yoko gelesen und über den ganzen Mist, daß sie die Beatles kaputt gemacht hätte. Irgendwie kann ich die Geschichte jetzt besser verstehen. Vielleicht kann man ja von seinen Vorreitern in diesem Geschäft noch was lernen. Auch von denen die sich selber mit Drogen umgebracht haben. Ich glaube, wir haben ziemlich Glück, daß wir zehn Jahre später dran sind, und alles anders angehen können.

ME/SOUNDS: Weil du gerade von Toten sprichst – du bist vergangenes Jahr mit den Doors aufgetreten, was für ein Gefühl war es an der Stelle von Jim Morrison zu stehen?

VEDDER: Ich will das nicht so hochspielen, sie haben für einen Auftritt einen Sänger gebraucht, und ich habe zufällig eine ähnliche Stimmlage wie Morrison. Sie haben mich angerufen und gefragt, welche Songs ich singen will und ich sagte „Mir egal, es ist Eure Band. Ich werde da sein und singen.“ Also bin ich mit meiner Freundin von Seattle nach Los Angeles gefahren, es regnete, wir hörten die ganze Fahrt Doors-Musik. und ich wußte, daß diese Jungs auf mich warteten. Es war ein verrückter Ausflug. Als ich mit ihnen auf der Bühne war. spürte ich vielleicht einen magischen Hauch der Vergangenheit, aber das war schnell wieder vorbei.

ME/SOUNDS: Bald danach habt ihr letzten Sommer, noch bevor das neue Album erschien, eine Tour durch Europa gemacht, obwohl ihr dort nicht gerade die besten Erfahrungen Eurer Laufbahn gesammelt habt. Warum?

VEDDER: Es war eine therapeutische Entscheidung. Wir waren 1992 zweimal dort und letztendlich war es grauenhaft. Wir mußten ein paar Shows absagen, weil wir nicht mehr konnten. Wir haben diesmal versucht, zwischen den Shows ein wenig Urlaub zu machen, um wieder ein positives Gefühl für diesen Kontinent zu bekommen.

ME/SOUNDS: Was war den so traumatisch auf Eurer ersten Europareise?

VEDDER: Man hat mir in Stockholm ein sehr persönliches Buch aus dem Backstage gestohlen. Ein Buch, in dem ich Songtexte und meine Gedanken notiere. Und wir mußten ständig Interviews geben. Als ich dann wieder in Amerika war. hatte ich einfach das Gefühl, daß man mir alles genommen hatte, vor allem die Zeit, dort wirklich etwas zu erleben und positive Erfahrungen zu machen. Das wird mir nie mehr passieren. Seit ich dreizehn war. habe ich für und durch Musik gelebt, ich werde nicht zulassen, daß ein paar Plattenfirmenangestellte und ein paar Journalisten die Liebe meines Lebens zerstören. Plötzlich hat das, was immer mein Lebensinhalt war, einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund hinterlassen. Das werde ich nicht mehr zulassen.

ME/SOUNDS: Was willst du in Zukunft anders machen?

VEDDER: Ich will wieder mehr leben. Die Standards, die in diesem Geschäft zählen, und an die sich so viele Bands halten, sind unerträglich: Du machst eine Erfolgsplatte, und danach hast du nur noch zu schuften, gehst zwei Jahre auf Tour, machst sechs Videos… Als ich beschloß Musiker zu werden, geschah das auch aus dem Grund, daß ich nie nach einem Terminplan leben wollte. Plötzlich bin ich ein berühmter Musiker und soll genau das machen, was ich niemals machen wollte: ein geregeltes Leben führen.