Meinung

„It’s Britney Bitch!“ am Berliner Ensemble: Ein Manifest gegen die toxische Männlichkeit


Pop, Projektionen und Patriarchat: In einem Theaterstück spielt Schauspielerin Sina Martens Teile der eigenen und der ihr übergestülpten Geschichte von Britney Spears nach. Das ist gut und nötig, findet unser Autor.

Britney Spears ist nun endgültig in der sogenannten Hochkultur angekommen. Seit Januar 2022 wird im Berliner Ensemble das Stück „It’s Britney, Bitch!“ aufgeführt. Regie führt Lena Brasch, die Hauptrolle (und einzige Rolle überhaupt) übernimmt Sina Martens – und das beeindruckend: Über eine Stunde lang verausgabt sich die 33-jährige Schauspielerin auf verschiedenen Ebenen.

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Als Britney Spears mit Glatzkopf-Toupet rezitiert sie (auf deutsch) Teile der Aussagen, die Spears im Juni 2021 vor Gericht über die Vormundschaft ihres Vaters Jamie Spears machte. Martens singt Spears‘ Hits als düstere, elektronische und minimale Cover-Versionen, durchbricht die Vierte Wand, kommentiert als Spears wütend, traurig und selbstbewusst ihre öffentliche Wahrnehmung, ihre künstlerische Ambition, ihr Selbstbild, ihre Objektifizierung und ihre Rolle als Frau im Pop, etwa im Vergleich zu Gwen Stefani. Als Martens selbst spricht sie, mutmaßlich stellvertretend für andere Schauspielerinnen, ebenfalls über ihre Rolle als Frau am Theater, monologisiert darüber, wie gut sie sich als „King Richard“ machen würde, wenn Lars (Eidinger) diese Figur nicht schon spielte, und welche Fragen sie sich so von Journalisten wie Jörg Thadeusz anhören müsse. All das passiert im Werkraum im Berliner Ensemble mit nicht viel mehr Bühnenbild als einem kleinen halboffenen Kasten, der wohl Spears‘ Gefängnis darstellt, tiefdunklem Sound, Stroboskop-Licht, 2-3 ins Stück eingebauten Kostümwechseln, Texten von Laura Dabelstein, Miriam Davoudvandi und Fikri Anıl Altıntaş und einer Schauspielerin, die 70 Minuten lang zu der Kunst-Figur (und Person des öffentliches Lebens) wird, die sie darstellt.

Breakdown vs. Befreiungsschlag

„It’s Britney, Bitch!“ ist ein Manifest der (fehlenden) weiblichen Selbstbestimmung und ein Kommentar zum Patriarchat. Lena Brasch etwa erklärt im Programmheft zum Stück: „Britney hat in ‚Toxic‘ von toxischen Männern gesungen, bevor der Begriff der ‚toxischen Männlichkeit‘ aufkam. Sie hat sich die Haare abrasiert, und das konnte irgendwie nicht anders verstanden werden, außer als Breakdown. Warum konnte man das nicht als emanzipatorische Geste lesen? Als Miley Cyrus das später gemacht hat, war das auf einmal ein quasi feministisches Statement.“

Wie sich der Begriff der toxischen Männlichkeit am Beispiel von Britney Spears definiert, kann auch ohne Theaterstück eindeutig nacherzählt werden. Als der Streamingdienst Amazon Prime Video im April 2020 auf Facebook die bei ihm startende Dokumentation „Framing Britney Spears“ bewarb, versammelten sich in der Kommentarspalte sogleich ahnungslose Männer mit reflexartigen Reaktionen wie Fragen danach, ob Frau Spears mal wieder Geld bräuchte. Oder Aufmerksamkeit. Oder beides. Dass vorverurteilendes Verhalten wie dieses überhaupt erst dazu führte, dass Britney Spears in den Medien und ihrem damaligen Branchenumfeld als die durchgeknallte psychisch Kranke dargestellt wurde, als die Typen wie jene Kommentatoren sie bis heute sehen, ist denen scheißegal.

Wer die Doku sieht, lernt, dass selbst aufgeklärte Menschen, die Neid und Missgunst am allerwenigsten nötig haben, vor toxischer Männlichkeit nicht gefeit sind: Justin Timberlake, Ex-Boyband-Mitglied, angehender Superstar und zwischenzeitlicher Freund von Spears, wurde nach ihrer Trennung in einem Fernsehinterview Anfang der 2000er-Jahre allen Ernstes gefragt, ob er mit der angeblichen Jungfrau Britney Spears geschlafen habe. Als ob diese Frage nicht schon unglaublich genug gewesen wäre, antwortete Timberlake mit schelmischem Grinsen doch tatsächlich darauf: Ja, das habe er.

Seine Profilierung auf Kosten einer Frau hörte damit nicht auf: In seiner Single „Cry Me A River“ und dem dazugehörigen Musikvideo „verarbeitete“ er die Beziehung mit und Trennung von Spears und goss damit Öl ins Feuer derer, die Britney Spears ohnehin für eine falsche Schlange hielten. Der immergleiche Vorwurf in Interviews und auf Titeln von Klatschpresse lautete: Warum hat Britney diese Beziehung zerstört? Was hat SIE alles falsch gemacht? Es dürfte kaum einen Menschen geben, dem all diese Schlagzeilen und Paparazzi-Belagerungen NICHT psychisch zusetzen würden.

Timberlakes 19 Jahre später veröffentliche Bitte um Entschuldigung für seine vergangene „Ignoranz“ und seinen Profit durch „ein System, das Frauenfeindlichkeit und Rassismus duldet“ war einerseits überfällig, richtig und wichtig. Andererseits kam sie natürlich viel zu spät und öffentlich mutmaßlich nur deshalb, weil die Doku „Framing Britney Spears“ gerade für Schlagzeilen sorgte, der Druck auf Timberlake stieg und er ein eigenes Saubermann-Image zu pflegen hat. Aber immerhin hat er sich entschuldigt – hoffentlich auch bei Spears persönlich.

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Zur weiteren Veranschaulichung des Problems hilft die rhetorische Frage, die Journalistin Salwa Houmsi im August 2021 im „Machiavelli“-Podcast stellte. Sinngemäß warf sie die Überlegung in den Raum, ob männliche Stars wie Kanye West oder Justin Bieber nach öffentlichen mentalen Zusammenbrüchen auch derart kleingemacht würden – oder ob es bei ihnen nicht eher als Spleen, vielleicht sogar als Krankheit durchginge, eventuell aber eben zur Genie-vs.-Wahnsinn-Legendenbildung beitrüge. Während jemand wie Britney von Männern kleingehalten wird.

Wer nun denkt: „Ja, das ist natürlich nicht in Ordnung, was Spears dort widerfuhr, aber da spielte ihr Dasein als öffentliche Person und das mediale Interesse eine ganz andere Rolle, als es das bei Privatpersonen tut“, dem sei gesagt: Das stimmt. Aber man stelle sich davon ausgehend nur mal ganz kurz vor, was Frauen sich anhören und ertragen mussten und noch immer müssen, die a) Privatpersonen sind und deshalb zwar keine öffentlichen Anfeindungen, aber eben auch keinen öffentlichen Rückhalt erleben oder die b) etwa dank ihrer Social-Media-Accounts auf eine neuere Art und Weise öffentliche Personen sind, als es Britney Spears zu ihrer Karriere-Hochzeit war.

Eine Punchline aus Laura Dabelsteins Text „Sucht“ aus „It’s Britney, Bitch!“ lautet: „’Toxic‘ war so viel früher als all Eure toxische Männlichkeit.“ Wobei das nicht mal stimmt: Männer, die ihre Privilegien und den von ihnen bewusst oder unbewusst ausgehenden Sexismus und die strukturelle Diskriminierung des weiblichen Geschlechts nicht erkannten, gab es schon viele Jahrzehnte, bevor Britney Spears 2003 ihren Hit „Toxic“ herausbrachte. Das Problem hatte nur noch keinen solchen Namen.

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„It’s Britney, Bitch!“ wird am Berliner Ensemble noch am 17., 18. und 25. April 2022 aufgeführt. Alle Veranstaltungen sind ausverkauft, eventuelle Restkarten soll es an der Abendkasse geben.