James Blake


Sein Name stand vor zwölf Monaten auf jeder Hotlist für 2011. Im Lauf des Jahres hat der 23-Jährige alle Erwartungen erfüllt - mit seinem Debütalbum, den EPs und den Liveauftritten. Das Interview zum Jahr des James Blake.

Was war 2011 Ihr bester James-Blake-Moment?

Als wir im April vor 6 000 Leuten beim Primavera Sound in Barcelona auftraten, da haben wir gemerkt, dass wir das können. Wir hatten zwar schon ein paar Auftritte davor, aber zum ersten Mal vor 6 000 Menschen auf einer Bühne zu stehen, das war wirklich unheimlich. Komischerweise war ich den ganzen Tag ziemlich selbstsicher, ich bin nicht nervös geworden, weil ich das Gefühl hatte, dass die Leute da waren, um uns zu sehen – sie waren auf unserer Seite.

Soll ich Ihnen sagen, was mein bester James-Blake-Moment 2011 gewesen ist?

Nur zu.

Das war an einem Freitag im September, als ich um 14 Uhr bei Ihrem Auftritt beim Berlin Festival vor der Bühne stand. Ich dachte, das kann nicht funktionieren zu dieser Tageszeit auf einem Festival an einem Wochentag. Ich hatte ein paar Monate vorher Ihren Auftritt im Berghain gesehen …

… ah, das Berghain – ich glaube, das war mein bester Auftritt bisher …

… aber auf dem Berlin Festival dachte ich, kann das nicht funktionieren.

Das habe ich auch gedacht. (lacht)

Und es hat sehr gut funktioniert. Ich stand in der ersten Reihe und es hat mich sprichwörtlich weggeblasen. Zeitweise dachte ich, ich würde das Bewusstsein verlieren. Es war eine intensive körperliche Erfahrung.

Das ist großartig!

Wollen Sie das mit Ihrer Musik erreichen?

Ja, absolut. Mir gefällt der Gedanke, dass die Menschen im Publikum auf verschiedene Weise reagieren. Aber ich liebe die Tatsache, dass mein Auftritt auf Sie so gewirkt hat, vor allem als körperliche Erfahrung. Das ist wichtig für mich, weil mich die gleiche Erfahrung dazu gebracht hat, überhaupt Bassmusik zu machen.

Wie haben Sie das Berlin Festival empfunden?

Der Auftritt hat mich wahnsinnig überrascht. Ich habe noch nie an einem Ort gesungen, an dem der Hall zehn Sekunden lang anhält. Die Akustik war unglaublich. So ähnlich, wie wenn man unter der Dusche singt. Deshalb singen die Leute ja so gerne unter der Dusche, weil dort die Akustik jede Stimme gut klingen lässt. Genauso war es auf dem alten Flughafen. Es war eine wahnsinnige Erfahrung. Und dann auch noch in Berlin.

Wie haben Sie das Jahr 2011 und den Hype um Sie erlebt?

Ich habe versucht, eine Menge davon auszublenden, denn nach dem Lob kommt die Kritik. Und nach der Kritik kommt die Selbsterkenntnis. Und nach der Selbsterkenntnis kommt die Schreibblockade.

Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten für Sie persönlich geändert?

Ich habe die Fähigkeit entwickelt, sehr gut über mich selbst zu reden. (lacht)

Ist das nun gut oder schlecht?

Es ist nicht gut für meine Freunde. (lacht) Ich habe das Gefühl, dass ich heute viel leichter mit den Menschen klarkomme. Ich bin in der Lage, Gemeinsamkeiten mit allen Menschen aus allen Ländern zu finden. Ich habe auch in psychologischer Hinsicht sehr viel gelernt. Ich war in Asien, in Europa und in Amerika – Reisen erweitert wirklich den Horizont. Viele Missverständnisse, die über bestimmte Kulturen oder Orte herrschten, wurden bei mir ausgeräumt.

Macht Ihnen das Interesse an Ihrer Person manchmal Angst?

Nein. Ich würde die Leute nicht an mich heranlassen, wenn ich das nicht wollte. Wenn ich das Gefühl habe, dass es zu weit geht, sage ich nein.

Ihr Debütalbum war einer der am heißesten erwarteten Releases 2011. Die Leute haben es entweder geliebt oder gehasst. Unter den Hatern gab es eine spezielle Gruppe: die, die vorher schon alle Ihre EPs gekauft hatten. Die sagten, CMYK und Klavierwerke waren super, aber das Album ist nicht gut. Können Sie das nachempfinden?

(lacht) Das kann ich sehr gut nachvollziehen, aber es ist mir egal. Wir gehen doch alle durch bestimmte Phasen, in denen wir nur eine Sache gut finden. Ich hatte eine Phase, in der ich ausschließlich Dubstep gehört habe. Alles, was nur andeutungsweise melodisch war, habe ich sofort ausgeschaltet. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass vier der Haupttracks auf dem Album – „Limit To Your Love“, „Never Learnt To Share“, „Unluck“ und „The Wilhelm Scream“ – zur selben Zeit entstanden wie die EPs. Wenn mir dann jemand vorwirft, ich hätte mich verändert, dann ist das einfach lächerlich.

Bei dieser Kritik geht es ja auch darum, dass die Leute einen Künstler möglichst früh für sich entdecken wollen, und ihn, sobald er ein bisschen bekannter ist, wieder fallenlassen. Vor allem aber wollen die Leute, dass „ihre“ Musiker immer gleich klingen.

Das ist unglaublich. Vor allem viele Dance-Produzenten klingen seit 20 Jahren gleich. Manche meiner Lieblingsmusiker benutzen seit zehn Jahren denselben Drumbeat. Das ist okay, so etwas kann zum Markenzeichen eines Künstlers werden. Ich bewundere manche dieser Leute, für mich aber will ich das nicht. Ich muss voranschreiten und mich selber mit neuen Dingen stimulieren.

Später im Jahr ist dann die 12inch „Order“ / „Pan“ bei Hemlock erschienen. Mit einer Musik, die mit nichts vergleichbar war, was sie vorher gemacht haben. Es war eine Art Minimal Techno.

Wenn man die Tracks ganz laut spielt, funktionieren sie im Club. Ich habe das ausprobiert. Aber wenn jemand erst das Album über Kopfhörer anhört und anschließend „Order“ / „Pan“, wird er wahrscheinlich überrascht sein. Ich schreibe Musik, damit die Leute sie anhören. Aber zunächst gehört die Musik, die ich mache, erst einmal mir allein. „Order“ / „Pan“ zum Beispiel habe ich niemanden vorher anhören lassen, ich habe es einfach veröffentlicht.

Was hat Sie 2011 musikalisch beeindruckt?

Listener, das ist ein Spoken-Word-Projekt aus den USA. Das habe ich erst neulich entdeckt und war sehr beeindruckt, es ist sehr emotional und geht ans Herz. Und der Rapper Danny Brown, er ist brillant.

Hatten Sie überhaupt Zeit, sich mit der Musik anderer Leute zu beschäftigen?

Doch, doch, ich kaufe ständig Platten, ausschließlich Vinyl. Vor allem seit ich das Privileg habe, in Städten wie Berlin und New York in die Plattenläden zu gehen.

Im Frühjahr hat Sie meine Kollegin gefragt, ob Sie das Album von Nicolas Jaar kennen, weil es sie an Ihres erinnerte. Sie sagten nein, aber Sie würden es sich anhören. Haben Sie das getan?

Nein, habe ich noch nicht. Aber ich habe mir die B-Seite seiner neuen Single angehört, „Why Didn’t You Save Me“. Der Track gefällt mir sehr gut, weil er sehr emotional ist.