Jazz vom Edelmann


Branford Marsalis bläst nicht für Jedermann. Zu seinem Edel-Sax gehört mindestens ein trockener Chablis.

Sicher, die Deutschland-Tournee war ausverkauft, gleichzeitig blieben nach der Pause immer mal wieder Plätze leer: ein 55-DM-Mißvcrständnis. Lag’s daran, daß die Leute statt trendgerechtem Entertainment spartanische Trio-Improvisationen geboten bekamen? „Great black american mtisic for a well educaied audience“ nennt Bruderherz Wynton Marsalis sowas mit Fug und Recht, aber als „big fun“ dürfte der Abend wohl kaum jemandem in Erinnerung bleiben.

Natürlich hat jetzt Mr. Marsalis die Schnauze voll von Erwartungen aus der falschen Ecke.

„Mir ist klar, daß manche Konzertbesucher nicht ahnen, daß sie nichts als schlicht und einfach Jazz erwartet. Wir wollten die Leute bestimmt nicht vor den Kopf stoßen. Ich kenne mm mal keine deutschen Witze, und eine Showcombo sind wir auch nicht. “ Wenn Branford mit Sting auf der Buhne stand — was in insgesamt vier Jahren nicht eben selten vorkam — stellte er sein Mikro bewußt so auf. daß er seinen Boß im Blick hatte, nicht etwa dessen Fans: Nur die Musik zählt. Weshalb er es auch nicht leiden kann, wenn Kollegen den genialen Kreativling mimen, garantiert frei von allen Vorbildern: „So ein Shit. Sicher habe ich schon nach Ren Webster, Wayne Shorier oder Sonny Rollins geklungen. Aber ich habe dabei trotzdem stets meine eigene Musik gespielt. “ Alles kennen, alles können, so lautet die Devise des radikalen Perfektionisten. Was das Kennen anbetrifft, so reicht seine Sammlung von meterweise Klassik („Ich liebe Mahler, Wagner und Pucchini“) bis zu ethnischen Spezialitäten aus Korea, Afrika oder aus dem Indianerreserval. „Wenn ich was tue, dann richtig. “ Nicht wirklich zutrauen würde er sich zum Beispiel eine Marsalis-Platte im Sting-Stil: „Mit eigenen Popsachen machen sich die meisten Jazzmusiker nur lächerlich. Ich liebe Geld, aber ich würde nicht bestimmte Sachen nur fiirs Geld machen. Übrigens: Daß Sting nicht unbedingt Jazzmusiker braucht, sondern einfach Leute, die seine Songs wirklich interpretieren, zeigt seine tolle derzeitige Band.“

Obwohl Branford nach eigener Aussage Popmusik haßt („und wenn mir einer beweisen will, daß es doch gute Sachen gibt, dann ist das meistens kein Pop“), ziert sein Name Plattencover von Crosby. Stills & Nash, den Neville Brothers. Grateful Dead oder Tina Turner. „Wenn ich Musiker mag, dann spiel ich notfalls auch ohne Gage. “ Was viele US-Auftritte beweisen: „Ich hab sogar bei einem merkwürdigen Disney-Songs-Projekt mitgemacht, nur um mal mit James Taylor im Studio zu sein.“

Auch Springsteen ist für ihn nicht prinzipiell uninteressant: „Sachen wie .Nebraska‘ oder .Tunnel Of Love‘ sind gute Musik. Aber das Mainstream-Publikum will natürlich .Born In The USA‘ hören. „

Der Mann, der nicht nur an den Spike Lee-Soundtracks „Do The Right Thing“ und „Mo‘ Better Blues“ mitstrickte, sondern auch Sean Connerys Saxophonpassagen für „Russia House“ synchronisierte, beweist obendrein auch noch cineastische Ambitionen, wenn er etwa von Wim Wenders schwärmt (den er für einen Holländer hält). Aber der vielseitig interessierte Intellektuelle — College-Hauptfach: europäische Geschichte — hat auch Überraschungen auf Lager: Daß er seine Heimatstadt New Orleans in Sachen Jazz für oberpeinlich hält, „weil die Touristen in die Clubs gehen, um ihr Klischee von Jazz auf der Bühne zu sehen.“ Und schließlich, daß er nach dem geplanten Trio-Live-Album Balladen aufnehmen will. Aber was auch immer „das Chamäleon“ plant: Die Begegnung mit Branford dürfte auch in Zukunft zur Stunde der Wahrheit werden für alle, die vielleicht ja doch nur meinten, den Jazz zu lieben …