John Lee Hooker


Cooler Casanova, Patriarch alter Prägung. König der Freibeuter & letzter Mohikaner. Haudegen Hooker, seit 47 Jahren im Geschäft, hat viele Namen, aber nur eine Geliebte: den Blues. Daran kann auch eine gewisse Flamenco-Tänzerin aus Phoenix, Arizona, nichts ändern

Get down, Boogie! Get down!“ Die Phrase hat man schon hundertmal in alten Funk- und Disconummern gehört, doch vorgetragen mit einer sonoren, coolen Stimme, hat sie ihren speziellen Reiz. Der alte Herr, der diesen Tonfall pflegt, heißt John Lee Hooker. Leicht vornübergebeugt und in sich zusammengesunken, sitzt er auf der Uberbreiten Couch in seinem Wohnzimmer und redet auf einen ebenfalls nicht mehr ganz taufrischen Schäferhund ein: Boogie eben. Nach dem dritten „Get down!“ gehorcht Boogie. Faul läßt er sich zu den Füßen John Lees, und dieser sich zurück in die Kissen fallen. „Jetzt können wir reden“, eröffnet er die Audienz und lädt mit einem Klopfen seiner Hand dazu ein, neben ihm Platz zu nehmen. Es ist ein kühler, grauer Tag im Norden Kaliforniens. Die Straßen von Redwood City, einem eher mittelmäßigen Vorort San Franciscos, in dem John Lee Hooker seit 1970 wohnt, glänzen noch vom letzten Regenguß. Äußerlich unterscheidet sich Hookers Bungalow mit der Satellitenschüssel auf dem Dach durch nichts von den Nachbarhäusern. Doch wer das Innere betritt, fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Chandler-Leser werden sich an die Szene in ‚Der tiefe Schlaf erinnern, in der Marlowe zum ersten Mal General Sternwood besucht und dieser in seinem Rollstuhl im Gewächshaus sitzt, in einem Klima, in dem wohl nur tropische Pflanzen und alte Männer überleben können.

Nicht, daß Hookers Haus mit Sternwoods Villa samt Gewächshaus, knöcheltiefem Teppich und Dienern verglichen werden kann, aber auch hier herrschen locker 30 Grad. Und obwohl die Hütte voll von Besuchern, Verwandten, Musikern, Managern und Hunden ist, richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Hausherren, der scheinbar unbeteiligt auf dem Sofa thront, selten das Wort ergreifend, dann aber so dominant, daß alle schweigen – wie bei einem General eben.

Der Grund für die Hitze im Haus: Hookers Gesundheit ist nicht mehr die beste. Neben zu hohem Blutdruck plagt ihn die Arthritis. Kalte, feuchte Luft läßt seine Glieder erstarren. Seine Hände sind lang und fein, mit dünnen, fast krallenartigen Fingern, sein Händedruck ist ungewöhnlich sanft. Seine Augen sind schmale Schlitze, die nur gelegentlich aufblicken, dabei wässrig schimmern und so empfindlich sind, daß Hooker die meiste Zeit eine Sonnenbrille tragen muß. Natürlich ist die Sonnenbrille mehr als bloßer Lichtschutz. Sie ist eines von Hookers Markenzeichen, genauso wie seine eleganten Anzüge und seine auffallenden Hüte. Auch heute trägt er einen Anzug, silbergrau glänzend, und von modernstem Schnitt. „Ich suche sie selbst aus, ich habe einen guten Geschmack“, sagt er, während er seinen schwarzen, mit straßbesetzten Nieten verzierten Hut zurechtrückt.

Es ist früher Nachmittag, und Hooker ist erst vor einer knappen Stunde aufgestanden. Er liebt es, lange zu schlafen, bleibt aber dafür oft bis spät in die Nacht auf, um fernzusehen. „Ich lebe ein relaxtes Leben“, grummelt er. „Manchmal sitze ich den ganzen Tag hier, und gucke Baseball. Oder ich telefoniere mit meinen Kindern, spiele ein wenig Gitarre. Was eben gerade anfällt.“ Nur noch selten tritt er auf, dann meist in kleinen Clubs in San Francisco. Den Erlös solcher Shows stiftet er der Obdachlosenhilfe oder ähnlich wohltätigen Organisationen. „Ich brauche nicht mehr Geld, ich habe genug, um ein komfortables

Leben zu führen. Mir ist es wichtiger, andere Leute glücklich zu machen. Der Blues und gute Menschen sind das Wichtigste in meinem Leben. Selbst wenn ich keinen Pfennig hätte, würde ich den Blues spielen und gute Menschen kennen. Was für ein Wert hat also das verdammte Geld?“

Monetäre Angelegenheiten sind Herrn Hooker bei weitem nicht egal. Im Gegenteil: er genießt sein Vermögen. Außer seinem Haus in Redwood besitzt er noch ein Anwesen in Long Beach, mit Swimmingpool und Gästehaus. Er besitzt fünf Autos – vom neuesten Toyota Supra, über einen 500 SL bis hin zur Stretchlimo, in der er sich chauffieren läßt. Aber Hooker stammt aus zu ärmlichen Verhältnissen und hat genug Pleiten und Rückschläge in seinem Leben überstanden, um im Geld mehr als ein bloßes Mittel zum Zweck zu sehen. Geboren am 22.8.1918, mußte sich John Lee Hooker das wenige Essen, das sein Vater auf den Tisch brachte, mit zehn Geschwistern teilen. Sein Stiefvater, Will Moore, brachte ihm mit zwölf Jahren das Gitarrenspiel bei, und mit 14 flüchtete John aus dem Mississippi-Delta mit der festen Absicht, Musiker zu werden. 1943 ließ er sich in Detroit nieder. Tagsüber arbeitete er als Hausmeister, nachts spielte er den Blues. Seinen ersten Millionenerfolg hatte er mit dem Jukebox-Hit ‚Boogie Chillen‘, Anfang der 50er gefolgt von Tm In The Mood‘. In den Sechzigern wurde John mit ‚Boom Boom‘ zum Superstar, gefeiert von britischen Blues-Revival-Bands wie den Animals, Yardbirds, und von Musikern wie Peter Green und Van Morrison. Mit letzterem verbindet ihn noch heute eine enge Freundschaft, Morrison ist auch auf Hookers aktuellem Album, ‚Chili Out‘, wieder mit von der Partie. In den Siebzigern stöberten ihn Rockbands in seiner kalifornischen Wahlheimat auf: Die Stones, Led Zep, und Canned Heat vergötterten ihn. Doch so sehr auch Hookers Musik anerkannt wurde – kommerziell blieb er stets auf der Strecke. Reihenweise wurde er von Plattenfirmen über den Tisch gezogen: Ende der Achtziger war er pleite und deprimiert. Die Rettung kam 1989 mit „The Healer*. Das Album sanierte Hooker nahezu über Nacht, brachte ihm Geld und Anerkennung und Trophäen, die heute in einer Vitrine in seinem Wohnzimmer stehen. „Zurückblickend muß ich feststellen, daß nun die beste Zeit meines Lebens ist“, meint Hooker, während er sich über das Frühstück hermacht: hartgekochtes Ei, Toast, Speck und Pillen. „Meine letzten LPs waren erfolgreich, ich werde nicht mehr beschissen, ich habe eine wundervolle Familie, und eine hübsche Flamencotänzerin namens Sedora als Freundin.“ Auf letztere ist Hooker, ein berüchtigter Casanova, besonders stolz, auch wenn er Sedora, die in Phoenix lebt, nur selten sieht. „Ich liebe Frauen, habe sie immer geliebt, werde sie immer lieben. Dreimal war ich verheiratet, wer weiß, vielleicht fängt mich die Flamencotänzerin ja auch noch ein.“

Bei der Vorstellung lacht Hooker los, ein dunkles, grollendes Lachen, er glaubt selbst nicht an eine vierte Hochzeit. „Nein, das muß nicht mehr sein. Ich bin nicht mehr so rege, wie ich einmal war. Mein Leben hat Spuren hinterlassen. Ich habe gesoffen und geraucht, und hätte ich nicht damit aufgehört, wäre ich heute tot. Irgendwann werde ich sterben, aber ich fürchte den Tod nicht. Furcht kann einen umbringen, ich aber will das Leben genießen, solange es geht. Wer weiß, was danach kommt? Kommen wir in den Himmel? Werden wir wiedergeboren? Hier auf Erden weiß ich, was ich tun muß, um glücklich zu sein. Ich brauche nur meine Gitarre zu nehmen und spielen, schon überkommt mich dieses Gefühl, das so traurig und doch so gut ist. Spiele ich den Blues, dann fühle ich mich wie im Himmel.“