John Waters Über Tabubrüche


Seit den späten 60ern setzen seine Filme Maßstäbe in Sachen ekelerregender Lustigkeit. Im Interview erklärt der Kultregisseur, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient hat, seinen merkwürdigen Sinn für Humor und die Vorreiterrolle von Pornos für die Filmbranche.

Als der Rock’n’Roll aufkam, waren Sie zehn Jahre alt. Wie hat Sie diese revolutionäre Zeit geprägt?

Ich wollte Elvis sein! Ich war vollkommen besessen. In meinem Zimmer spielte ich jeden Tag den DJ. Ich rief Plattenläden an, gab mich als Radiostation aus und verlangte ihre Bestenlisten. Natürlich haben die gemerkt, dass ein Knirps am Draht war, aber sie haben mitgespielt. Ich bastelte mir ein Anschlagbrett aus Karton, wo ich die Platzierungen eintrug. Ich schrie: „Auf Platz zehn: ELVIS PRESLEY!!!“ und riss den Zettel ab, sodass der Titel zum Vorschein kam. Klar haben meine Eltern Rock’n’Roll gehasst. Alle Eltern müssen die Musik der Jugend hassen – darin besteht ja ihr Sinn.

Was hielten Sie von Little Richard? Sein Manager hielt ihn ja dazu an, noch verrückter zu sein, als er es eh schon war. Wenn das Publikum ihn für verrückt hielt, würde es nicht auf die Idee kommen, dass er schwul sein könnte.

Dabei war er ja eine echte Drag-Queen und trat als „Princess Lavonne“ auf! Seinen Feinden hat er per Post Scheiße zukommen lassen, sorgfältig in Geschenkpapier gehüllt. Auf so eine Idee sind nicht mal wir gekommen. Ich liebte Little Richard. Ihm habe ich ja auch meinen Schnauzbart abgeschaut. Wenn ich „Lucille“ auflegte, haben die Antiquitäten geklappert. Man nannte das in Amerika „Race Music“. Die weiße Elterngeneration fand sie entsetzlich. „Hairspray“ erzählt genau davon: In der Nähe unseres Hauses in Baltimore lebten einige schwarze Familien. Nachts im Bett hörte ich sie zum Radio singen. Ich fand das unglaublich schön – so klingt Freiheit, dachte ich. Tracy, das füllige Mädchen, um das sich „Hairspray“ dreht und das in einem schwarzen Plattenladen ein zweites Zuhause findet, das war ich.

Ihre tabubrechenden frühen Filme entstanden in einem goldenen Zeitalter für die Kunst der Provokation.

In den frühen Sixties war es einfach, die guten Bürger in ihren Vororten zu verschrecken. Ich konnte es kaum erwarten, rauszukommen und ein Downtown-Beatnik zu werden. Die Szene war integriert, Beatniks hingen mit Schwarzen rum, hörten Jazz und lasen Gedichte. Ich war Tracy. Ich wurde verprügelt, als ich mit einer Schwarzen in einem Tanzlokal erschien. Wenn wir alle im Knast landeten, blieben die schwarzen Kids hängen, die weißen wurden von den Eltern rausgeholt.

Unterdessen sind die Tabus massenweise gebrochen worden. Steckt im Tabubrechen heute noch künstlerisches und politisches Potenzial?

Es ist schon ziemlich schwierig, Tabus zu finden, die es zu brechen lohnt. Das ist eine Herausforderung. Aber es wird immer irgendwo kuriose Typen geben, die mit Filmen aufwarten, die noch überraschen können. Im Übrigen habe ich schon immer gesagt, dass wir den Pornografen viel zu verdanken haben.

Inwiefern?

Die Pornografen konnten sich die Rechtsanwälte leisten, um gegen die Zensur anzugehen und Tabus zu brechen. Deswegen können wir heute für unsere Kunst tun, was wir wollen. Von dem Moment an, als Pornografie legalisiert wurde, war es allerdings vorbei mit dem sogenannten „Exploitation Movie“. In dem Genre orientierte man sich ganz daran, was in Hollywood nicht erlaubt war, und tat es. Pornografie wurde in den USA im Jahr 1972 legalisiert, wegen des Films „Deep Throat“. Bloß ein Tabu zu brechen, ist heute ein alter Hut. Man muss Wege finden, Neues zu sagen ohne Nacktheit und Gewalt, dafür mit Witz.

Wie Sie das zum Beispiel im irrwitzigen „Cecil B. Demented“ getan haben, wo eine fanatische Bande von Underground-Filmemachern Melanie Griffith kidnappt, um sie für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen.

Der Film war ein Scherz, der zeigen sollte, was passieren könnte, wenn ich selber keinen Sinn für Humor hätte bei der Arbeit. Es geht etwas in Richtung Jackass undJohnny Knoxville, dessen Arbeit ich in mancherlei Hinsicht ziemlich schätze. Nur sieht man unterdessen all die Realityshows, wo die Grässlichkeit nicht mehr gespielt wird, wo kein Fetzen Intelligenz zu Tage tritt. Man fühlt sich schlecht für die Menschen, die sich so erniedrigen lassen. Ich, der die Performancekünstlerin Divine dazu brachte, Hundescheiße zu kauen, sagt so was? Jawohl. Divine wurde nicht erniedrigt! Und sie hat darauf eine ganze Karriere aufgebaut.

Manchmal, wenn man solche Realityshows sieht oder Talkshows wie die von Jerry Springer, hat man das Gefühl, Ihre Filme seien zum Leben erwacht.

Meine Filme sind in Kinos, die normalerweise Exploitation-Movies zeigten, nie gut angekommen. Sie spürten, dass wir uns über ihr Genre lustig machten, und verfügten nicht über einen Hauch Ironie. Menschen, die Exploitation-Filme anschauten, taten es, weil sie diese für sexy hielten. Traurigerweise waren es die Kinos in den gut situierten Vierteln mit den smartesten Leuten, wo meine Streifen am besten aufgenommen wurden.

Sie haben geschrieben, dass Sie nie und nimmer einen Film mit „Message“ drehen würden. Ich hege den Verdacht, dass jeder Film von Ihnen eine sehr starke Botschaft hat.

Aller Humor ist politisch. Es gibt nur einen Weg, wie man einen Menschen dazu bringen kann, seine politische Meinung zu ändern. Zuerst muss man ihn zum Lachen bringen. Wenn jemand lacht, legt er die Pistole nieder. Er mag anderer Meinung sein, aber er ist weniger zornig. Als nächstes muss man sich über sich selber lustig machen, das erweckt Vertrauen. Dann konfrontiert man ihn mit einem Bild, über das er sich sonst entsetzen würde – aber man verpackt es so, dass es lustig wirkt. So werden seine Ängste neutralisiert. Schließlich braucht man noch eine gute Handlung mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Schluss, das zieht rein. Ehe er sich versieht, haben wir ihn einer Gehirnwäsche unterzogen, und er merkt überhaupt nicht, was ihm da schmackhaft gemacht worden ist.

War das von Anfang an Ihre Strategie?

Bis vor einer halben Minute habe ich noch nie eine Strategie formuliert. Aber ich glaube, dass das meine Methode ziemlich genau beschreibt.