Johnny Hates Jazz – Selfmade Supermänner


Sie können alles: komponieren, spielen, produzieren, mischen und managen. Das britische Trio macht Hits im Alleingang. ME/Sounds-Mitarbeiterin Sylvie Simmons traf die Alleskönner.

Johnny Hates Jazz. Klar! Und Pop Will Eat Itself. Gegessen. Spätestens seit Dead Can Dance. Gene Loves Jezebel und Curiosity Killed The Cat ist es Mode geworden, gleich einen ganzen Satz zum Bandnamen zu machen. Auch wenn die Aussage dadurch oft genug nur noch nebulöser wird. So ist es denn nicht weiter verwunderlich, daß es in der Gruppe Johnny Hates Jazz keinen Mann namens Johnny gibt. Und es versteht sich fast von selbst, daß die drei Bandmitglieder: Clark Datchler, Calvin Hayes (beides Engländer) und Mike Nocito (Amerikaner) – dem Jazz keineswegs abgeneigt sind, im Gegenteil!

Clark Datchler beispielsweise begann seine Karriere als Schützling von Julie Roberts, die später Sängerin bei der Jazz Revival-Band Working Week wurde und schon vor sieben Jahren einen seiner Songs interpretierte. Damals war das junge Talent. Sprößling eines Jazzmusikers, gerade erst 16 Jahre alt.

Besagter Johnny, den sie im Bandnamen verewigt haben, existiert aber wirklich; er ist ein Freund der drei und beinharter Bon Jovi-Fan. „Am Anfang“, so Clark, „war unser Name mehr ein Witz, aber seil er zum Siein des Anstoßes wurde, läßt sich seine Werbewirksamkeit nicht mehr abstreiten. Der Name erzeugt eben eine gewisse Spannung und Neugier. „

In England erzeugt er allerdings auch Antipathie. Ein Radio-DJ machte kürzlich die abschätzende Bemerkung. Johnnv Hates Jazz sei „Designer Pop mit harmlos-hübschen Melodien.“

Clark Datchler denkt eine Weile darüber nach, wiederholt die Worte laut und mit verschiedenen Betonungen. „Nun ja, man wird wohl noch viel üblere Dinge über uns sagen, wenn wir weiter Hits schreiben.“

Bis jetzt waren es immerhin drei: „Shattered Dreams“, „I Don’t Want To Be A Hero“ und „Turn Back The Clock“; alles glatte, gut-geschneiderte Tanzmusik-Stücke, die problemlos in die Charts rutschten. Sind Johnny Hates Jazz also populäre Eintagsfliegen, nichts als drei hübsche Gesichter? Sind sie überhaupt das?

Die Make-up-Leute von der (inzwischen eingestellten) Fernsehshow „Live aus dem Alabama“ gaben sich jedenfalls alle Mühe, ihre nicht gerade außergewöhnliche Physiognomie zu verschonen. Clark Datchler hat eine flüchtige Ähnlichkeit mit Gary Numan: Mike Nocito hat Tom Pettys Pferdegebiß und Calvin Hayes könnte bei abgedunkelter Beleuchtung als ein Bruder von Depeche Modes Dave Gahan durchgehen.

Nein, sonderlich hübsch sind sie nicht, dafür haben sie mehr musikalische Vergangenheit als die meisten ihrer Kollegen. Calvin Haves (25) war mit kurzen Unterbrechungen acht Jahre lang Session-Musiker. Als junger Talent-Scout bei der Londoner Firma RAK Records war es sein Verdienst, daß Kim Wilde unter Vertrag genommen wurde.

Mike Nocito (27) hat die größte Studioerfahrung, wenn auch mehr als Tontechniker denn als Musiker. Er hat u.a. mit Duran Duran, The Cure und Pink Floyd (auf THE FINAL CUT) gearbeitet. (Nebenbei bemerkt, freut es ihn diebisch, daß der von Dave Gilmour gelenkte Teil der heute getrennten Floyds weit mehr verkauft als der andere unter Roger Waters: „Ich finde das einfach toll. Waters brauchte mal einen Dämpfer. Als ich damals dabei war, war sein Verhalten den anderen Drei gegenüber unglaublich arrogant …“) Als Calvin Hayes bei RAK Records vom Talent-Scout zur Produktion wechselte, begann seine Zusammenarbeit mit Mike Nocito. Clark Datchler war zu dieser Zeit als Solokünstler bei RAK unter Vertrag.

Der 24jährige Datchler ist eine anachronistische Figur im heutigen Popgeschäft. Er wurde offensichtlich noch von der amerikanischen Songwriter-Tradition geprägt und gehört zu der Sorte Schreiber, die morgens um 9 Uhr in ihr Büro gehen, um den ganzen Tag am Klavier zu sitzen und Hits zu komponieren.

Bereits mit 17 unterschrieb er einen Vertrag bei einem Musikverlag in Los Angeles. Während dieser Zeit schrieb er u.a. Material für die Soultruppe The Drifters. Seine Idole sind Michael McDonald und Ex-Steely Dan Donald Fagen, die beide zeitweise hauptberuflich als Songschreiber arbeiteten. Inzwischen hat Datchler selbst ein beachtliches Kontingent an Songs zusammengeschrieben.

Johnny Hates Jazz ist folglich ein Projekt, das auf wunderbare Weise autark ist: drei Multi-Instrumentalisten, ein Songschreiber, ein Produzent und ein Tontechniker in einem Paket. Obendrein haben sie sich bis vor kurzem auch noch selbst gemanagt. Calvin: „Es hat mich immer gewundert, daß junge Bands irgendeinen verrückten Spinner mit einem nicht unerheblichen Teil ihres Einkommens bezahlen, bloß damit er bei Plattenfirmen ihre Demo-Bänder vorspielt. Warum solltest du, wenn du kaum was verdienst, auch noch einen Prozentsatz davon abgeben wollen?“

Natürlich kann sich die Band seit den Hits derartigen „Luxus“ erlauben. Aber nur nicht zu viel! Calvin ist überzeugt davon, daß Pop die Musik der jungen Generation ist, und daß deshalb der Erfolg herbeigezwungen werden muß, solange man die Jugend noch auf seiner Seite hat. „Musik, vor allem das Musikgeschäft, ist wie eine Droge, Wenn du einmal Hits hattest, willst du immer Hits haben. Typisches Beispiel ist David Bowie. Vor zehn Jahren war er ein Gott für mich. Er schien nichts falsch machen zu können. Jetzt sehe ich ihn im Fernsehen und kann nur über ihn lachen. Genau wie über Mick Jagger. Du denkst dir: ‚Oh Gott, genug Geld müssen die doch inzwischen haben. Warum sind sie nicht ausgestiegenes sie noch die Nase vorn hatten, als sie noch Stil und Würde hatten?'“

Also ist das Ziel von Johnny Hates Jazz, so schnell wie möglich die Schäfchen ins Trockene zu bringen?

Mike Notico: „Wir sind bestimmt nicht so clever und berechnend, wie es nach außen hin aussehen mag. Egal was man plant, das Musikgeschäft bleibt immer eine Lotterie. Bis jetzt hatten wir eben Glück.“