Katharina Franck


Wie selbstverständlich machen sie da weiter, wo sie vor 12 Monaten aufgehört hatten: Wer geglaubt hatte, die Rainbirds flögen nur einen Sommer, muß nach dem Erfolg ihrer zweiten LP und Tournee umdenken: Deutschland liebt sie immer noch, diese unprätentiöse, anormal normale Band aus Berlin. Daß sich hinter der kollektiven Fassade dennoch ausgeprägte Individualisten verbergen, erfuhr Rolf Lenz im ME/Sounds-Interview mit Katharina Franck.

ME/SOUNDS: CALL ME EASY, SAY IM STRONG, LOVE ME MY WAY, IT AIN’T WRONG ist der LP-Titel – eine Aufforderung, zumindest eine Einladung. Wird sie erwidert? Macht man(n) dir eindeutige Anträge?

FRANCK: „Keine eindeutigen. Ich kriege Liebesbriefe, aber eher lustige, verspielte… und mehr von Frauen als von Männern. Die meisten Sachen sind sehr humorvoll, ein paar davon habe ich auch beantwortet. Nur wenn es so heftig wird, daß ich gar nicht mehr weiß, was ich dazu sagen soll, wähle ich lieber den einfachen Weg und laß‘ es.“

ME/SOUNDS: Die Jungs, die dir schreiben: Welchen einen Eindruck haben die von dir?

FRANCK: „Die meisten halten mich wohl für einen Menschen, der gut zuhören und mit dem man gut reden kann. Ich habe das Gefühl, die stellen sich mehr so’n mütterlichen Typ vor, obwohl ich das natürlich nicht so toll finde.“

ME/SOUNDS: Du bemühst dich allerdings auch nicht gerade, diesen Eindruck zu zerstören.

FRANCK: „Ich habe eigentlich immer nur mit Leuten zu tun, mit denen ich auch eng zusammenarbeite … und da habe ich keinen Ambitionen. Ich mag die Jungs in der Gruppe extrem gern, alle, auch die Leute im Studio – gerade die Aufnahme der zweiten Platte war ein richtig gutes Gefühl -, aber ich empfinde nicht die geringste Lust, mit denen dann auch noch zu schlafen oder sonstwie enger befreundet zu sein.

Andere Frauen machen das und haben keine Probleme damit, aber für mich ist das fast ein Tabu. Wir haben eine sehr freundschaftliche und irgendwie auch zärtliche Beziehung, aber eben ohne Anfassen. Die Rainbirds sind nicht eine Frau und drei Männer – wir sind eher so’n Klüngel.“

ME/SOUNDS: Wie verträgt sich der „Klüngel“ mit dem Privatleben, mit Freunden, Freundinnen …?

FRANCK: „Beckman hat ’ne ganz langjährige Freundin, da ist das überhaupt kein Problem. Obwohl er natürlich auch manchmal sagt: ,Nee, jetzt will ich mal wieder bei meiner Freundin sein und morgen komme ich erst dann und dann …‘ Wolfgang hat das Problem gelöst, indem er sich eine Freundin in Kanada angelacht hat.

Und Roddie liebt halt Gitarre-Spielen. Der macht auch sonst nichts, der ist Gitarrist und – wie er selber sagt – ,Gammler‘. Manchmal kommt seine Freundin zum Mit-Gammeln vorbei, und dann gammeln sie gemeinsam, aber zur Probe ist er auf jeden Fall da und immer fit und vorbereitet.

Und bei mir, ich weiß nicht… Für mich kommen die Rainbirds – die Gruppe und das, was ich mache – ganz klar an erster Stelle. Das weiß eigentlich auch jeder, und ich warne die Leute wahrscheinlich instinktiv schon vor: .Halt! Ich bin die Sängerin von den Rainbirds. Mehr ist da nicht zu erwarten‘ oder so … (lacht) das ist natürlich Quatsch.“

ME/SOUNDS: Meist macht ihr einen geradezu unwirklich harmonischen Eindruck: Gibt es bei den Rainbirds auch Reibereien?

FRANCK: „Es kommt durchaus vor, daß Ideen oder Vorlieben in eine Richtung gehen, die insgesamt vielleicht nicht so passen würden. Aber jeder ist sich des Wertes bewußt, den die Gruppe in dieser Konstellation hat, und niemand ist so destruktiv drauf, daß er das durch irgendeine Idiotie oder irgendeinen Ausflipp kaputtmachen würde.

Solange wir uns bei aller Unterschiedlichkeit immer noch auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, solange wir alle vier sagen können: Ja, so wollen wir’s haben, das gefällt uns‘ – solange wird sich daran auch nicht viel ändern. Für mich ist das wichtigste am Musikmachen das Menschliche: diese Gruppe zu haben und etwas gemeinsam mit Freunden zu machen“.

ME/SOUNDS: Du lieferst dem „Klüngel“ einen Text und das dazugehörige Melodie-Gerüst – die Arrangements und der endgültige Aufbau der Songs werden dann von allen Rainbirds erarbeitet. Verwendet ihr deshalb so selten einfache Lied-Strukturen?

FRANCK: „Die meisten Nummern sind schon irgendwie komisch und nicht im üblichen Sinne aufgebaut. Dieter Bohlen würde sagen ,groovetechnisch und arrangementmäßig völlig daneben‘.

Auch in den Nummern, die ziemlich gerade wirken – wie ,Love Was Already There To Be Found‘ – folgen die ulkigsten Teile aufeinander: Eine Strophe hat z. B. vier Sätze, dann drei Sätze Refrain, ein komisches Zwischenspiel, dann geht wieder eine Strophe los, dann kommt dieser ganz leise Teil, der sich langsam steigert, noch ein Zwischenspiel … und so weiter, seltsam durcheinandergewürfelt.

Das ergibt sich teilweise schon dadurch, daß wir sehr melodiebetont arbeiten: zwei Gitarren, Beckmann ist auch eher Melodie-Bassist, und Wolfgang spielt nicht einfach nur seinen Beat runter, sondern sehr phantasievoll – im Grunde ist er gleichzeitig Schlagzeuger und Percussionist. Außerdem singe ich nie in zwei Strophen exakt dieselbe Melodie. Man kann sie zwar wiedererkennen, aber dadurch, daß manchmal unbedingt noch ein paar Wörter mehr in eine Zeile sollen, muß ich hier noch einen Schlenker machen und da noch irgendwie in eine andere Richtung… Der Typ, der unsere Nummern fürs Songbook in Notenschrift überträgt, kann nie Wiederholungszeichen machen, sondern muß jede Strophe einzeln ausnotieren. Er hat mich auch darauf aufmerksam gemacht, daß meine Melodien nie bei einer Schluß-Note ankommen, sondern immer weitergehen, als ob sie sich selbst in den Schwanz beißen. Das liebe ich wie sonstwas: wenn sich etwas ständig wiederholt und sich nur Kleinigkeiten verändern. Teilweise kommt das natürlich auch daher, daß ich nicht sooo monstermäßig viele Akkorde beherrsche, so daß ich manchmal ganz froh bin, wenn ich eine Melodie über nur zwei, drei Akkorde hinkriege.“

ME/SOUNDS: Klingt nach Punk. Wie bist du überhaupt zur Musik gekommen?

FRANCK: „Ich weiß auch nicht genau, was der Anstoß war. Meine Mutter hat extrem viel Musik gehört und meine Schwester und mich auch zu Veranstaltungen mitgenommen. Ich habe das immer sehr genossen: den Leuten zuzusehen, zuzuhören, rumzutanzen. Und eine Gitarre war sowieso da, weil mein Vater auch ab und zu ein paar Lieder geschrammt hat. Die konnten wir allerdings nach ein paar Jahren nicht mehr hören.“

ME/SOUNDS: Wann hast du angefangen, selber Songs zu schreiben?

FRANCK: „So mit 12, 13 Jahren, in Brasilien, nach den ersten Gitarren-Stunden. Ich glaube, daß es mein Glück war, daß ich einen Lehrer hatte, der mir nicht gleich Spieltechnik reingehämmert, sondern bloß einfach schöne Lieder mit den dazugehörigen Akkorden gegeben hat. Und so kleine Griff-Tabellen, damit ich immer genau gucken konnte, wo ich meine Fingerchen hintun muß.

Ich habe dann ziemlich bald angefangen, mit Plektrum zu spielen und so zu schrubben; und als ich gerade mal ,My Bonnie Is Over The Ocean‘ spielen konnte, da habe ich aus denselben Akkorden schon meine eigenen Liedchen gemacht – gleich mit englischen Texten.“

ME/SOUNDS: Liebeslieder? Tönende Tagebuch-Eintragungen?

FRANCK: „Nee, schaurige Sachen, ganz tragische Geschichten. An eins erinnere ich mich noch (singt:) ,drik to me, my friends‘ und so’n Scheiß. Das war fast ein Sauf-Lied – wirklich absurd – ich weiß auch nicht, wie ich darauf kam…“

ME/SOUNDS: Schlechter Umgang, betrunkene Vorbilder? Was hast du damals für Musik gehört?

FRANCK: „Alles mögliche. Meine Mutter hatte jede Menge Platten: viel alten Jazz, viele Sängerinnen, aber auch die Hammer-Alben von den Beatles, James Brown, Janis Joplin, Jimi Hendrix… Wir haben oft zusammen Musik gehört, und sie hat sich immer köstlich amüsiert, wenn ich Grimassen dazu geschnitten oder irgendwelche Rock-Posen eingenommen habe.

Und dann kam meine Patti Smith-Phase; da habe ich so gut wie gar nichts anderes mehr gehört – wenn’s hochkam, ein bißchen John Cale…“

ME/SOUNDS: Wie bist du gerade auf Patti Smith gekommen?

FRANCK: „Erstmal haben mich einfach ihre Texte gereizt, wobei ich nicht behaupten kann, daß ich bis ins Letzte dahintergestiegen bin, worum es da ging. Kennengelernt habe ich sie auf dem Klo: Da lag bei uns immer ein Stapel Zeitungen, und irgendwer hatte mal ein ,Emma‘-Heft dazugelegt. Ich hab‘ das nur so durchgeblättert, bis ich auf eine Doppelseite stieß, die auf der einen Seite eine Zeichnung, auf der anderen ein Foto von Patti Smith zeigte und dazu ihr Gedicht,Female‘: eine unglaublich harte Abrechnung mit ihrer Schwangerschaft und der Tatsache, daß sie mit ihrer Weiblichkeit nicht so richtig klarkam. ,Female‘ hat mich regelrecht geschockt, andererseits aber auch irgendwie fasziniert.

Monatelang habe ich rumgesucht, bis ich endlich ihr HORSES-Album gefunden hatte. Das habe ich lange Zeit nur so ab und zu gehört, aber eines Tages hat’s mich einfach erwischt. Ich dachte wohl, ich höre da den Sinn des Lebens oder sowas.

Dann kamen RADIO ETHIOPIA und EASTER, und da gab’s irgendwie kein Halten mehr. Ich habe sämtliche Bücher aufgekauft, alle Gedichtbände … die habe ich heute noch. Ich war völlig hin und weg.

Durch Patti Smith habe ich auch viele andere Sachen kennengelernt, die ganze New Yorker Szene: Television. Talking Heads, Ramones und all die. Das kam für mich erst nach und nach, weil: Punk-Explosion oder sowas gab’s ja in Portugal, wo ich damals lebte, nicht. Da war alles Punk, da war auch die erste U 2-Platte Punk, jede Gitarrenband war Punk. Ich kann mich noch an viele Titel erinnern, die ich damals zwar gehört, mir aber nie gekauft habe, weil ich in dieser harten, engen kleinen Patti Smith-Welt lebte, wo kaum etwas anderes reinkam.

Ihr Aussehen hat mich auch fasziniert, diese Wildheit und diese Unkonventionalität. Auf einmal habe ich nur noch schwarz getragen. Eine Weile hatte Patti immer Strumpfhosen und Boxershorts an, und so lief ich danach auch rum, zwar 20 Kilo dicker als sie, aber hemmungslos, mit einem riesigen schwarzen Mantel drüber. An meiner Schule war ich eigentlich ziemlich punkmäßig…“‚

ME/SOUNDS: Ich kann mir schwer vorstellen, daß du auch ihre Vorliebe für illegale Stimulanzen aller Art geteilt hast.

FRANCK: „Damit hatte ich Schwierigkeiten, stimmt. Ich hab‘ mal ein Konzert von ihr gesehen, da bin ich extra nach München gefahren. Und die war sowas von stoned! Aber nun war ich schon soweit gefahren, also fand ich’s erstmal geil. Nachträglich gefiel es mir nicht mehr so gut, weil sie völlig abgehoben war und nur noch auf ihrer Gitrarre rumgeschrammt hat. Sie war nicht mehr so intensiv wie auf ihren Platten. Außerdem war ich damals schon so’n bißchen Anti-Drogen. Ich hatte zwar auch ein Jahr in Portugal, das war so mit 15, in dem ich ziemlich rumgegammelt habe und ständig mit einer Clique rumhing. In die Zeit fielen auch sämtliche Experimente, was Drogen anging. Die Sommerferien mit allen Exzessen – auf dem Zahnfleisch nach Hause kommen, aber um Elf wieder an den Strand und abhängen, bis es dunkel ist und dann in die nächste Kneipe – danach war’s dann aber auch gut.“

ME/SOUNDS: Du hast damals auch schon in Bands gespielt…

FRANCK: „Das ging in Portugal los, mit Freunden meiner Schwester, die Musik machten. Die haben mich mal eingeladen vorzuspielen, dann haben sie ,Baby, I Love Your Way‘ von Peter Frampton gebracht – und ich sollte mitsingen! Damals habe ich noch mit einer total klaren, netten, lieben Stimme gesungen; ohne irgendwelche Schlenker oder Kratzer. Mit den Jungs habe ich lauter so Rock-Nummern gespielt: Stones, Lou Reed.. .“

ME/SOUNDS: Du warst insgesamt 14 Jahre in Portugal und zwei in Brasilien – wie stark fühlst du dich von dieser Zeit geprägt?

FRANCK: In Brasilien habe ich angefangen, Musik zu machen – und so wie ich Rhythmusgitarre spiele und den Gesang phrasiere, ist das schon noch ein bißchen drin. Auch die Haltung, warum man überhaupt Musik macht. Wenn ich manchmal den Jungs zugucke, wie sie an ihren Midi-Computern herumhantieren und hier noch was einstellen, und da muß noch was geschraubt werden, und dann verkaufen sie das Teil wieder, um sich noch was neueres zu holen … dann denke ich immer: Ich mache doch nicht Musik, um mir solche Gerätschaften anzuschaffen und mich damit rumzunerven. Eigentlich muß es einfach nur losgehen: spielen, singen und … ich mein‘, das ist doch irgendwie der Sinn der Sache!

Wobei es natürlich total wichtig ist, daß es Leute gibt, die sich mit Computern und all dem auseinandersetzen. Aber ich werd‘ das nie lernen…“

ME/SOUNDS: Stattdessen hast du inzwischen einiges zum Thema „Ernährung“ gelernt.

FRANCK: „Ich hatte letztes Jahr eine Zeit, da war ich körper- und gesundheitsmäßig ziemlich am Ende: Das habe ich an meiner Haut gemerkt und an bestimmten Launen und Unruhen. Ich hatte das Gefühl, daß ich mich mal wirklich zusammenreißen müßte, sonst würde ich das nicht lange durchhalten und richtig krank werden. Als ich daraufhin meine Ernährung komplett umgestellt habe, habe ich sofort gemerkt, wie sich auch mein ganzes Lebensgefühl geändert hat.“

ME/SOUNDS: Fällt dir der Verzicht auf liebgewonnene Gewohnheiten schwer?

FRANCK: „Bei Schokolade hatte ich anfangs noch Rückfälle, aber inzwischen reagier‘ ich auch darauf sofort allergisch. Ich brauche bloß ein Stück in den Mund zu stecken, und schon habe ich ein Gefühl, als ob ich keine Luft mehr kriegen würde.

Außerdem: Wenn man sich auf einmal soviel besser fühlt und von den Leuten, mit denen man täglich zu tun hat, gesagt bekommt, daß man sich auch körperlich verändert und daß das besser aussieht – dann macht’s natürlich auch Spaß. Auf einmal nehme ich von ganz allein ab, und nicht weil ich weniger esse, sondern weil ich nur noch bestimmte Sachen esse. Ich habe mein ganzes Leben lang irgendwelche Diäten gemacht, und keine hat funktioniert – es gibt nichts Frustigeres.“

ME/SOUNDS: Ein Leben lang Diäten? Du siehst gar nicht aus wie die typische „Brigitte“-Leserin.

FRANCK: „Ich bin als Baby von unserer portugiesischen Haushälterin gemästet worden. Ein Arzt hat meine Mutter mal aus seiner Praxis geworfen, weil sie mit so einem Monster von Kind ankam.“

ME/SOUNDS: So ein Ernährungs-Plan verlangt nicht bloß Disziplin, sondern auch eine gewisse Regelmäßigkeit. Wie läßt sich das mit deinem Alltag vereinbaren?

FRANCK: „Ich habe das in einer Zeit angefangen, in der ich viel zu Hause war und kaum Termine oder sonstwie Streß hatte. Als sich die ersten Resultate zeigten, fing mich die Sache an zu faszinieren: Ich wollte mehr darüber wissen, habe mich immer intensiver damit beschäftigt, und dann hat sich das irgendwie verselbständigt. Streckenweise habe ich über nichts anderes mehr geredet, jeder mußte sich das anhören.

Überhaupt: essengehen. Wenn gerade an dem Tag alle zum Italiener wollen, an dem ich kein Olivenöl essen soll… (Katharina zuckt die Achseln) Man isoliert sich schon ein bißchen.“

ME/SOUNDS: Was möchtest du sehen, wenn du in den Spiegel guckst?

FRANCK: Also erstmal möchte ich mich schön finden… (verschämter Blick) … ich bin schon ein bißchen eitel. Klamottenmäßig und was Mode angeht, habe ich mich inzwischen schon gebessert. Früher habe ich mich überhaupt nicht darum gekümmert, das hat erst mit dem Rainbirds-Erfolg ein bißchen angefangen.

Aber ich hasse Einkaufen – das muß immer ganz schnell gehen. Wenn ich mal in einen Laden gehe, etwas anprobiere, und es gefällt mir, dann kaufe ich’s ganz schnell und sause fix wieder nach Hause. Weil: In noch einen Laden gehen und womöglich noch etwas sehen, was mir gefällt – das verkrafte ich nicht.“