Keine Denker, Macher!


13 Sommer sind durchs Land gezogen seit der Veröffentlichung der vielleicht letzten richtig großen Gitarrenballade: "Wonderwall" - und dem großen Britpopfight Oasis vs. Blur. Und immer noch ziehen Oasis ihre Kreise, ignorieren alle Trends und Moden und setzen dennoch CDs zu Millionen ab. Ganz als würde sich die Sonne um den Mond drehen.

Bedingung, an den Hof von Noel und Liam vorgelassen zu werden, ist ein vorheriger Besuch im Oasis-Hauptsitz gleich beim romantisch-eleganten Bahnhof Marylebone, im Zentrum Londons. Hier war es, wo sich Noel Gallagher er wohnt ums Eck – vor einigen Wochen heldenhaft vor ein Auto stürzte, das führerlos auf eine belebte Kreuzung zurollte. Endlich hatten die britischen Boulevardblätter wieder etwas zu schreiben über die Gallaghers. Eine selten gewordene Gelegenheit, die einstmaligen Mütterschrecke der sensationslüsternen Leserschaft vorzuführen.

Ein Bediensteter von Big Brother, so der Name der Firma von Oasis, sperrt uns in eine winzige Kammer und dreht die Stereoanlage auf. Was da in der Lautstärke eines startenden Düsenjägers herandonnert, ist tatsächlich beeindruckend, dig out your soul heißt das siebte Oasis-Album. Und es klingt deutlich frischer und fokussierter als ihr letztes Werk don’t believe the truth. Dabei wurde diese Platte schon als eine Art Renaissance der Herrscher des Britpop gehandelt. Sechs Monate nach seinem Erscheinen erreichte das gitarrenschwangere „Popalbum“, wie es Noel heute mit keinem Wort zu viel nennt, in Großbritannien seine dritte Platinauszeichnung. Selbst in den amerikanischen Billboard-Charts debütierte es auf einem respektablen zwölften Rang.

dig out your soul wurde, wie schon sein Vorgänger, mit dem viel beschäftigten und offensichtlich äußerst wandlungsfähigen amerikanischen Produzenten Dave Sardy eingespielt, der u. a. schon bei Marilyn Manson, den Stones, Slayer und den Ting Tings für den angemessenen Sound sorgte. Und nicht in irgendeinem Studio, sondern in der Abbey Road. Eindeutig weniger Gitarren sind zu hören, dafür mehr Bass und Keyboards. Einige Stücke sind eher Grooves als Songs. Aber das verstärkt nur den Eindruck von Dringlichkeit. Die erste Single – „The Shock Of The Lightning“ – ist ein hochoktaniger Rock’n’Roll-Schub, erst komplett mit den typisch lapidaren Gallagher-Lyrics: „Come in, come out tonight“, „Love is a time machine upon the silverscreen“. Natürlich. Und selbstverständlich schwebt auch wieder der Geist von John Lennon über Oasis: „(Get Off Your) High Horse Lady“ beginnt wie eine Hi-Tech-Version von „Give Peace A Chance“. Sechs Kompositionen stammen von Noel, je eine von dem Rhythmusgitarristen Gern Archer und dem Bassisten Andy Bell und drei vom kleinen Bruder Liam, darunter das finale „Soldier On“, ein eigenartiger Loop, der klingt, als kippte die Band demnächst komplett hintenüber in Trance.

Zwei Stunden nach der Listeningsession öffnet sich für uns die Tür der hangarartigen Probebühne in Westlondon, wo wir vor einigen Monaten schon Paul Weller besucht haben. Der Saal ist allerdings kaum wiederzuerkennen. Paul Weller hatte sich keine Mühe gegeben, die einzig funktionale Halle gemütlicher zu machen. Oasis jedoch haben das hintere Drittel des Betonbunkers mit langen schwarzen Vorhängen verhüllen lassen und eine Art Wohn- und Esszimmer eingerichtet samt Sofas, Lehnsesseln, Kühlschrank und einem Küchentisch, auf dem Sandwiches und Gebäck angerichtet sind.

Die Band wäre eigentlich bereit zum Proben. Doch Liam fehlt noch. Aber ohnehin soll uns jetzt erst einmal Noel etwas zur neuen Platte erzählen. Der lässt sich gut gelaunt in einen Sessel plumpsen.

„Wir haben uns schon mal getroffen, oder?“, fragt Noel zur Begrüßung. „Du hattest mir eine Pink-Floyd-CD geschenkt, oder?… Nein? Hättest du aber tun sollen!“ Zu Oasis dringen wir bei Noel erst einmal nicht durch. Unser Gespräch biegt sofort in die Vergangenheit ab: 1967 – zu einer Band namens The David, kalifornischen Psychedelikern im Stil zwischen Doors und Love. Nur eine LP hat sie veröffentlicht. „Brillant!“, fulminiert Noel. Und The Left Bänke müsse man sich auch unbedingt anhören: „Die werden dich erst umhauen! Fucking amazing!“

Ist notiert. Doch aktuell im Ohr, und das fühlt sich auch nicht schlecht an: dig out your soul …

Das Album rockt und groout dampfend uor sich hm. Im Gegensatz zum letzten, eher poppigen.

noel g alagher: Nun, das letzte Album war eben – mir fällt keine bessere Beschreibung ein – so ein Sixties-fucking-Britpop-Album, verstehst du? „Lyla“, „The Importance Of Being ldle“ und all das Zeug. Das neue Album ist ein bisschen mehr Rock’n’Roll, ein bisschen psychedelischer, ein bisschen hypnotischer…

Der Sound klingt einerseits gewaltig, auf der anderen Seite hört man sehr viele Details.

Es hat weniger Gitarren. Ich glaube, außer auf „Ain’t Got Nothin'“ spielen Gem und ich nur ein einziges Mal gleichzeitig Gitarre. Die Dynamik war deshalb anders. Liam hat gesungen, ich spielte Gitarre, Gem Bass, Andy Keyboards und Zak Drums (Zak Starkey verließ inzwischen die Band und wurde durch Robbie Williams‘ Ex-Drummer Chris Sharrock ersetzt-Anm. d. Red.). Dann habe ich Gitarren-Overdubs gemacht, und Gem hat weitere Keyboards gespielt. Normalerweise schmeißen wir eine Riesenladung Gitarren drauf und lesen die besten Passagen heraus. Diesmal steckte mehr Überlegung dahinter. Wir merkten, dass die neuen Songs derart starke Basslinien und Grooves hatten, dass es all die Gitarren gar nicht brauchte. Zudem wollte unser Produzent den Sound minimaler gestalten. Am Ende ist der uns zwar doch wieder ziemlich mächtig geraten, aber eben mit weniger Gitarren. Wenn wir die Songs jetzt live bringen, kriegen sie noch mehr Druck, weil wir sie mit zwei Gitarristen spielen. Fucking hell, das ist alles ziemlich Rock!

Stichwort „Rock : Bei einer früheren Gelegenheit wurde Oasis sogar aus dem Abbey Road Studio geschmissen. Habt ihr euch diesmal der Hausordnung unterworfen?

Das war bei den Sessions für BE here now. Wir marschierten am frühen Morgen ins Studio, warfen ein paar Drogen ein und drehten unsere Beatles-Platten voll auf. Am nächsten Tag schmissen sie uns raus. Ha! Gem ist überzeugt, dass die Magie von Abbey Road in unser neues Album eingedrungen ist. Wenn wir uns allerdings vorher vorgenommen hätten, eine psychedelische Rockplatte einzuspielen, hätten wir’s vergeigt. So was können wir nicht planen. So was passiert einfach. Gott sei Dank. Bei unserem letzten Zusammentreffen mit Noel zur Veröffentlichung der Best-Of stop the clock im Herbst 2006 berichtete er, er habe seit mindestens zwei Jahren keinen neuen Song mehr fertig gestellt. Früher habe er der Muse regelrecht nachgestellt und sie quasi zur Arbeit gezwungen: „Schließlich gab es viel zu tun. 1994 waren wir noch nicht die größte Band der Welt.“ Inzwischen sehe er das entspannter:

„1997, als wir tatsächlich die größte Band der Welt geworden waren, nahm ich den Fuß vom Gas. Heute habe ich nicht mehr das Verlangen, jeden Tag einen neuen Song schreiben zu müssen. Wenn mich die Muse findet, toll… magisch! Wenn nicht, ist mir das auch egal.“

Für das neue Album hat das ja offenkundig wieder ganz gut geklappt mit der Muse und dir. Was ist passiert?

noel gallagher: Allerdings. Ich habe sogar gleich noch ein paar Songs fürs nächste Album geschrieben. Davon haben wir auch schon etwas aufgenommen. Zu dem Studio, in dem wir… soul abmischten, gehörte ein kleiner Aufnahmeraum. Statt den ganzen Tag im Pub zu hocken, während die Platte gemischt wird, nahmen wir einfach weiter auf. So sind wir uns jetzt selbst voraus. Die neuen Songs sind fantastisch. So eine Art moderner Blues.

Die sollen bestimmt auch schnell veröffentlicht werden.

Ach wo. Meine Songs sind zeitlos. In dieser Hinsicht gehören wir m eine Kategorie mit U2: Bands, die nur klingen wie sie selbst. Die Sache mit der Muse ist übrigens die: Man darf sich keine Gedanken machen, wenn die Ideen nicht fließen. Aber man muss bereit sein, wenn sie kommen. Sich öffnen können und drauflos schreiben. Als es losging, habe ich wohl zwei Monate lang nicht mit meiner Freundin gesprochen. Saß in meiner Bude, habe Tee getrunken, Zigaretten geraucht und geschrieben. Dann kam auch noch das Baby (2007 wurde Noels zweites Kind Donovan geboren -Anm. d. Red.). Und ich habe trotzdem weitergeschrieben. Toll, zur gleichen Zeit hab ich kleine Menschlein, Songs und Alben gemacht!

Aber die Zeit hat gereicht, bei der Geburt dabei zu sein?

Aber sicher doch! Das sind die großartigsten Tage in deinem Leben. Dabei zu sein, wenn ein neues Leben entsteht. Meine Tochter ist nun ja auch schon acht Jahre alt. Benimmt sich, als wäre sie 38. Ermahnt mich wegen meiner Manieren und korrigiert mein Englisch. Kinder – darum geht’s im Leben!

Wie hat sich dein heute stabiles Familienleben auf die Arbeit mit der Band ausgewirkt?

Ich glaube, es wirkt sich gar nicht darauf aus. Ich schreibe ja keine Songs über mein persönliches Leben. Außer dann und wann ein Liebeshed für Sara, Ich trenne diese Dinge. Aber beide Seiten brauchen ihre Aufmerksamkeit, sonst verkümmern sie. Wenn man Kinder hat, sieht man allerdings alles aus einer neuen Perspektive. Auch die Obsession für Musik: lächerlich! Eine Wand voller Platten und CDs – und fast alle sind sie ganz großer Mist! Und die meisten Leute, die diese Musik machen, sind verdammte Idioten! Ich kann heute vor meiner Plattensammlung stehen und mir denken: Keine Ahnung, warum mir das alles gehören muss. Das kommt von den Kindern. Man sieht, was wirklich wichtig ist.

Aber den vielen Menschen Freude zu bereiten mit deiner Musik, so blöd kann das ja auch wieder nicht sein, oder?

Nein, natürlich nicht. Aber dass man das dann so wahnsinnig ernst nehmen muss… Da erzähle ich irgendwo ganz spontan, was ich von einer bestimmten Band halte, und schon bricht die Hölle los: „Noel hat den und den gedisst!“ Ich begreife nicht, wie sich Leute, die Fans von einer Band sind, dadurch angegriffen fühlen, wenn jemand anderes diese Band nicht mag.

Vor ein paar Wochen gab es ja einen amüsanten Disput zwischen dir und Jay-Z. Du sollst gestichelt haben, ein Hip-Hop-Musiker wie er gehöre nicht auf ein Gitarrenfestiual wie Glastonbury.

Absurd war das! Das habe ich so nie gesagt. Aber sobald so was im Internet auftaucht, gilt es als Evangelium. Andererseits macht’s ja auch irgendwie Spaß. Es gibt den Leuten was zum Reden. Wir können ja nicht alle Chris Martin sein und alles irrsinnig toll und fantastisch finden. Wobei ich betonen muss, dass ich in unserer Band der Einzige bin, der Coldplay ganz gerne mag. Immer wieder spiele ich den anderen ein Coldplay-Stück vor und behaupte dann: „Das ist doch so gut wie die Beatles!“ Doch dann spielen die einen anderen Song vor und sagen: „Mag ja sein, aber das hier klingt wie Annie Lennox!“ Haha! Ich denke auf jeden Fall, dass es sehr schwer sein muss, mit dem Gedanken Musik zu machen, dass man dieses Stück bald schon im Madison Square Garden spielen können muss. Wir kommen aus der total entgegengesetzten Richtung. Wir, Oasis, sind keine Denker. Wir sind Macher. Wir tun unser Ding und überlegen uns später, was damit angestellt werden kann… So lange kaltes Bier im Kühlschrank steht – who cares?

Wie kommst du heute eigentlich mit deinem Bruder aus? Hat sich da etwas geändert?

(kichert) Nein. Eigentlich nicht.

Aber du hast gelernt, mit ihm umzugehen?

Ich ignoriere ihn halt.

Da erscheint Marcus Russell, Oasis-Manager seit den frühesten Tagen. Er müsse unbedingt mit Noel sprechen. Draußen vor dem Tor pafft Chris Sharrock an einer Zigarette. Etwas zerknittert sieht er aus in seinem schwarzen Lederjäckchen. Übernächtigt sei er, weil er bis vier Uhr morgens zusammen mit seinem alten Brötchengeber Karl Wallinger von der Band World Party in dessen Studio gejammt habe. Als damals der Anruf kam, ob er nicht bei Oasis einsteigen wolle, dachte er, es nehme ihn jemand auf den Arm, erzählt Sharrock. Und jetzt sei alles einfach nur noch „fantastisch“: „Nach dem Ende der Robbie-Williams-Tour Ende 2006 gab’s nichts zu tun für mich. Und jetzt das! Bei dieser Band, die ich schon immer geliebt habe!“

Ein Taxi fährt vor. Liam Gallagher steigt aus, gefolgt von Gene, seinem siebenjährigen Sohn. „Hallo Liam, wie geht’s?“ „Großartig!“, ruft er. „Ich habe ziemlich zu tun.“ Seine Band hat sich drinnen inzwischen schon auf der Bühne eingefunden. Chris Sharrock zählt ein, und los geht’s mit dem feisten Intro von „Rock’n’Roll Star“. Liam kümmert das nicht. Er gibt Gene erst einmal ein Sandwich und etwas zu trinken, plaudert noch ein bisschen mit ihm. Bis er endlich Richtung Bühne schlendert. Genau in dem Moment, in dem Liam sein Kinn hoch zum Mikrofon reckt, legt die Band den Schalter vom Intro zur Strophe um.

„The Shock Of The Lightning“, das nächste Stück, ist selbst in dieser drögen Halle weit weg von so ziemlich allem, was nach Rock riecht, live gespielt eine Lawine von einem Song. Dabei wandert Liam mitten im Stück immer wieder von der Bühne, um sich um Gene zu kümmern. Bis sich Gene einen Stuhl holt und im rechten Winkel zum Mikrofon vor seinen Papa setzt, der schon den nächsten Song angestimmt hat. Stolz blickt er zu ihm nach oben. „It’s a crazy Situation“, nölt der Papa, „but all I need are cigarettes and alcohol!“ >»www.oasisnet.com >»albumkritik SEITE 92