Kulturbotschafter: Ryuichi Sakamoto


Afrikanische Trommler neben japanischen Chören, klassische Geigen neben krachenden Reggae-Beats - der Topf kann gar nicht groß genug sein. Warum der japanische Kultur-Quirl trotzdem nicht an die Zukunft der "Weltmusik" glaubt, erfuhr ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake.

Für ihn wurde „Oscar“ zur Schlusselfigur. Ryuichi Sakamotos Soundtrack zu Bertoluccis Film „Der letzte Kaiser“ gewann den Film-Preis, einen Grammy sowie einen Academy Award und machte aus dem japanischen Keyboarder/Komponisten (und Schauspieler/Sänger/

Produzenten), der mit seiner Technopop-Band Yellow Magic Orchestra in den Siebzigern zum Kultstar geworden war, über Nacht einen Star.

Ryuichi findet, jeder sollte so einen praktischen Oscar haben: „Er ist wirklich nützlich, weißt du. Wie eine gigantische Visitenkarte. Auf einmal öffnen sich eine Menge Türen. Es wird sehr einfach, ‚wichtige‘ Leute zu treffen.“

Sakamoto verwendete seinen frisch erworbenen Ruhm dazu, auf seinem neuen Album BEAUTY einige große Namen zu versammeln. Einzig Jeff Beck weigerte sich beharrlich. Sakamoto zurückzurufen (worüber Ryuichi immer noch ziemlich sauer ist). Dafür gelang es ihm jedoch, einige äußerst publikumsscheue Einsiedler ins Studio zu locken. Robbie Robertson, selbst ein großer Filmfan, kam mit der Gitarre unter dem Arm, und (vielleicht noch erstaunlicher) Beach-Boys-Boß Brian Wilson, der größte Eigenbrötler der Pop-Welt, überwand seine Schüchternheit und sang ein Duett mit Youssou N’Dour. dem Senegalesen mit der engelhaften Stimme.

Sakamoto liebt den Kontrast von zunächst nicht zusammenpassenden musikalischen Elementen in einem Song. Auf BEAUTY sind über 50 Musiker und vielleicht ein Dutzend Genres vertreten. Westafrikanische Percussionisten Seite an Seile mit Sängern aus Okinawa. Robert Wyatt singt „We Love You“, den Flower-Power-Hit der Rolling Stones. Der hoch angesehene klassische Violinist Shem Guibbory spielt über Sly Dunbars krachenden elektronischen Reggae-Drums, und Arto Lindsay, Anti-Gitarrist und Pseudo-Brasilianer, spielt den Kastenteufel, lugt an allen Ecken und Enden singend, rappend. Gedichte vortragend aus den Massen von Indern, Kubanern, Koreanern, Jazzern und klassischen lnstrumentalisten hervor. Kurzum, eine verwirrende, hyper-eklektische Sound-Mixtur, aber trotzdem stimmig – Ryuichis perfekt gewürzte Weltmusik-Soße.

Die Besetzungsliste wird bei Sakamoto praktischerweise gleich mitkomponiert. „Ich fange immer mit einem Demo an, nur Keboards und Rhythmusmaschinen, und aus der Komposition ergibt sich dann, welche Musiker ich brauche. Dieses Mal bekam ich Sly Dunbars Drum-Sound einfach nicht uns dem Kopf. Also rief ich ihn an, und er kam. „

Verstehen die an deinen Produktionen beteiligten ethnischen Musiker eigentlich, was er da tut? „Ah .. .nein! Das müssen sie aber auch nicht. Die ganze Sache hören sie sowieso nicht. Normaleweise bin ich der einzige, der weiß, wie die Musik klingen wird. Aber ich glaube, gute Musiker springen immer auf gute Musik an, eqal aus welchem Kulturkreis sie stammen.“

Die Vormachtstellung „ethnischer“ Rhythmen und Sounds auf BEAUTY klingt verdächtig nach Worldbeat-Trend. Sakamotos Enthusiasmus für die entlegensten Ecken der Welt ist jedoch um etwa 15 Jahre älter als die aktuelle Welle der Musik-Touristen, der 38jährige Japaner hat sogar ein Diplom in Ethno-Musikwissenschaft und einen Lehrauftrag an der Tokioter Universität. „Ich fing an, mich mit ethnischer Musik zu beschäftigen, um den Beschränkungen westlicher Kunstmusik zu entkommen, und dieses Interesse ist geblieben. Mein Traum ist ein Neo-Geo-Orchester aus 50 ethnischen lnstrumentalisten mit einem kompletten Svmphonieorchesier dahinter. Kannst du dir das vorstellen? Und damit dann auf Tour gehen, in jedes Land der Erde!“

Klingt nach einer ziemlich kostspieligen Angelegenheit. „Stimmt! Vorher muß ich noch ein paar Platten verkaufen.“ Dazu braucht er vor allem Glück, läuten doch viele Kritiker bereits das Ende der pan-kulturellen Popmusik ein. Auch Sakamoto ist sich da nicht so sicher: „Ich habe sehr hohe Achtung vor Peter Gabriels Arbeit, es ist eine großartige Verbindung aus Pop-Idiomen und ethnischen Elementen, aber ich denke nicht, daß ‚Weltmusik‘ in diesem Jahrzehnt neue Richtungen weisen wird. Englischsprachige Popmusik isi sehr kommerziell, sehr konservativ und hat für radikale Veränderungen wenig übrig …“

„Schade, was?“ Ryuichi Sakamoto lacht darüber. Er sieht nicht sehr sorgenvoll drein. Er wird seinen eigenen exzentrischen, eklektischen Weg weitergehen, welche Haken die Pop-Musik auch schlagen mag – den Sampler immer griffbereit.