Kurtis Blow – Rappin‘ with Mr.B


"Rap-music" ist das neue Ding. Rapper sind ursprünglich DJs, die artistisch mehrere Plattenspieler bedienen und dazu "rappen": improvisierte, sich reimende Wortfetzen, die das Publikum aus der Reserve locken sollen. Was in den New Yorker Ghettos Harlem und Bronx unspektakulär begann, hat inzwischen Wellen auch nach Europa geschlagen. So belegte Kurtis Blow's jüngste LP THE DEUCE in den ME-Kritikertips des letzten Monats überraschend Platz 1. Hans Keller hat den gerade 22jährigen Rapper-König in der Bronx besucht.

In einer Geschichte über Kurtis Blow kommt man nicht umhin, ein paar grundsätzliche Facts über Rap vorauszuschicken. Nimmt man eine Karte von New York zur Hand, kann man fünf Stadtteile erkennen. Zwei davon, Manhattan und Staten Island, sind relativ kleine Inseln, zwei weitere, Brooklyn und Queens, bilden das Westende der Riesen-Insel Long Island. Der einzige auf dem Festland liegende Teil ist die Bronx, durch den Harlem River von Manhattan getrennt. Harlem und Nord-Manhattan schmiegen sich wie eine schmale Zunge in die westliche Bronx.

In Harlem und der Bronx ist Rap entstanden. Eine Musik, eine Kraft, die nur aus der Vitalität dieser Stadt zu begreifen ist. Aus der Seele, der Lebensfreude und Überlebenskraft ihrer schwarzen Bevölkerung. Einmal mehr haben die Schwarzen durch ihr unfehlbares, tiefes Rhythmusgefühl die Weißen geschlagen. Einfach so. Mit Musik – und mit schnellgereimten Worten. Zu Boden gesabbelt. Rap ist das Beste, was schwarzer (und weißer!) Musik in der Nach-Disco-Flaute passieren konnte, wobei die Erfahrungen von Disco und Funk schamlos und unbefangen verwertet werden. Rap ist eine Droge, die kein hangover hinterläßt, ein Kick, der endlos aktiv erhält, eine positive Sache.

Chris, eine Bekannte von mir, und ich haben Kurtis Blow in der Nord-Bronx besucht. Nicht alles in der Bronx sieht wie Berlin ’45 aus, hier, in der Gegend um die Fordham Road wirkt sie eher wie eine monumental geratene englische Stadt: Bäume, Kirchen, Backsteinhäuser und Rassengemisch in den lebendigen Straßen.

Kurtis, auf dem Sofa zurückgelehnt, die Hände hinter dem Kopf, erinnert sich an die Anfänge der Rap-Musik.

„Es war 1972, als ich 13 Jahre alt war und ein verrückter Tänzer. In einer Midtown-Disco sah ich diesen großartigen DJ Jones. Er spielte die damalige Musik sehr gut, mit – wie wir es nennen -„accurately position timing“. Er mixte den Beat so, daß aus einer 12 Sekunden langen Beat-Figur ein fünf-minütiges Stück wurde.“

Dazu eine technische Erklärung: Schwarze Disco- und Rap-DJ’s haben zwei (heute manchmal bis zu fünf oder sechs) Plattenspieler vor sich aufgebaut. Virtuos und absolut artistisch (da kann man über die Waisenknaben in den „Madhäusern“ und ähnlichen Tanz noch lachen) ist nun, was sie mit den Plattenspielern und Platten machen. Sie drehen beispielsweise während des Spielens die Platten am Rand blitzschnell zurück, um so eine Rhythmusfigur beliebig wiederholen oder variieren zu können. Komplizierter wird’s bei zwei gleichlaufenden Plattenspielern, wobei die eine Platte die Sequenz spielt, während die andere – zurückgedreht und dann losgelassen – die Figur wiederholt. Lautstärke und andere Differenzierungen werden gleichzeitig mit einem Misch-Pult reguliert. Disco-Hits werden so verfremdet, verlängert, verändert, bis sie kaum noch 1 etwas mit dem Original gemein haben.

Kurtis: „Später hatte Jones dann einen MC. (Master of Ceremony). Das ist ein Typ, der zur Musik durchs Mikro munter drauf los erzählte, personality jokes und so etwas. Wie die DJ’s das ja auch im Radio (vor allem auf den schwarzen FM-Stationen) zu tun pflegen. Im Radio machten die DJ’s das meist als Intros und Outros zur Platte, in den Discos am Anfang auch. Der DJ erzählte, wer er ist, in was für einer Disco man sich befindet, er versuchte halt, die Leute in Stimmung zu bringen.

Ich folgte also DJ Jones überall hm, bei jeder Show war ich dabei: Plätze wie Negro, Lowgreen, Superstars, Downbeat. Ich fehlte nie und war verrückt danach zu tanzen und zu breaken. Und ich war ein B-Boy. „

Stop! B-Boys machen Breaking. B-Boys sind ganz junge Typen, die in der Bronx und in Harlem leben, in den Straßen rumhängen, meist Kinder armer Leute. Sie tragen Levi-Jeans, bunte T-Shirts, Turnschuhe, Schirmmützen (auch heute noch oft Kurtis‘ Bekleidung). Sie tanzen auf den Straßen und in Parks zu Disco, Funk und vor allem Rap, der aus überdimensionalen Kofferradios oder kompletten Soundsystems schallt. Artistisch-akrobatisch, eine Art Bodenturnen. Verrückt. Sie machen schnelle Liegestützen, Handstände, Überschläge, wirbeln knapp über dem Boden herum. Es gibt Wettbewerbe und kaum eine Altersgrenze nach unten, ich habe schon 8-jahrige Breaker gesehen. B-Boys gleich Bronx-Boys, Beat-Boys, Break-Boys, Bronx-Beat – die Bedeutung ist offen, wähle, was dir gefällt.

Kurtis: „Ich machte das also auch und war 1974 Top-Ten-Breaker in Manhattan.“

Unschwer, sich das vorzustellen. Zwar ist Kurtis nicht groß, aber ungemein kräftig gebaut, man sieht ihn geradezu beim Bodenturnen vor sich.

„Aber ich achtete immer mehr auf den DJ und sagte mir: ‚Hey man, you have to be part of this! Weil es so phantastisch war. Ich beschloß, mein ganzes Leben dieser Sache zu widmen. Ich wollte DJ werden, wollte zum Radio und dann vielleicht auch eine Platte machen. Ein paar Freunde von mir arbeiteten damals in der Jones Gallery in Harlem, das war damals a real hot club. Ich war sechzehn. Und wir wollten etwas Komplizierteres machen als der DJ Jones. Wir wollten auch zwischen Intro und Outro der Platten rappen, im Rhythmus des Beats sprechen, im Dance- undBreak-Teil des Songs. Ich bekam also meinen ersten Job als DJ in Jones Gallery, 1977. Ich arbeitete zwei Wochen, dann brannte der Laden aus … Ich wechselte zu Small’s Paradise, spielte dort jeden Dienstag und ging daneben ins College“. (Übrigens: Kurtis Blow ist eine Intelligenz-Bestie und wurde in der Schule als sogenanntes IGC – d.h. Intelligible Gifted Child – gefördert.) „Rapping wurde immer komplizierter, es war die Zeit, als DJ Hollywood ungemein populär wurde. Er sprach in die Musik und Rhythmen hinein, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte. Außerdem hatte er raffinierte Reime drauf.

Ich folgte nun ihm überallhin, saß da in einer Ecke, schnippte mit den Fingern, sagte zu mir, ‚Hey man, he is right! Und schrieb die Sachen mit, die er rappte … ho,ho!“

Machte er denn immer noch beides gleichzeitig, rappen und Platten bedienen?

„Nun, inzwischen war es schon so komplex, daß man nicht mehr beides gleichzeitig machen konnte, man brauchte einen DJ neben sich. Sagen wir mal, von ’72 bis ’74 machte der DJ alles allein. Von ’74 bis ’76 stand der DJ immer noch im Vordergrund, aber er hatte schon einen MC zur Seite. Nach ’76 aber holte der Rapper mächtig auf und wurde der Star.“

Der Rapper macht Reimsätze, die im Beat-Rhythmus, den der DJ vorlegt, gesprochen werden. Je nach Temperament und Anlieaen des Rapners wird über Gott

und die Welt gerappt. Es ist alles möglich, – das ist das Großartige daran. Gleichzeitig spricht der Rapper das Publikum direkt an, er singt nicht nur einen Song, der keine Beteiligung des Publikums zuläßt, er fordert auch die Reaktion der Leute. Das übliche „Hoooooh!“ oder „Paaaarty!“, das er vom Publikum zurückfordert, ist nicht einfach nur eine Floskel, sondern auch ein Test, ob sein Rapping gut war. Frustrierend, wenn er allein bleibt mit seinem „Ho-oooh“ – gut für ihn, wenn die Menge zurückbrüllt.

„Es war die Zeit, als DJ Hollywood, Eddie Cheeba, DJ Starsky, ich und etwas später Grandmaster Flash in Hartem und der Bronx groß herauskamen. Der DJ wurde, bei aller Artistik, zweitrangig. Der Wettbewerb (und ein Hauptmerkmal von Rap-Soziologie ist gesunder Wettbewerb: Wer ist am besten im Beat, am schnellsten, der Größte? Wettbewerb aber im typischen schwarzen, spielerischen Sinne: Der „Größte“ sein zu wollen, entbehrt hier jeden faschistoiden Beigeschmacks) wurde sehr hart in Manhatten, ich entschloß mich, nach Queens auszuweichen und war dort bald DJ Nummer Eins. Flash war dasselbe in der Bronx. Also sagte ich zu Flash: ‚Hey man, you’re getting pretty hot these days, laß uns doch zusammentun und Manhattan knacken.‘ Wir machten also eine Show in einem Schuppen namens Hotel Diplomat. Tausend Kids aus der Bronx kamen, tausend aus Queens und ganz Hartem obendrein. Es war phantastisch, wir hatten uns nun richtig profiliert.“

Doch all die Jahre hatte niemand Rap auf Platte gebracht. Es blieb eine Live-Sache der New Yorker Ghettos. Dann passierte etwas für das Musikgeschäft ganz Typisches: Die Fatback Band, gewiefte und routinierte Disco/Funk-Gruppe, die sie sind, hatten D] Hollywood im Apollo gesehen. „Und die sagten sich: Hey, this is something dilierent, laß uns mal sowas aufnehmen! Und so kam es, daß ihr Song „King Tim III Anfang ’79 der erste Rap-Song auf Platte wurde.“

Mit anderen Worten: Eine erfolgreiche, schlaue Profi-Gruppe übernimmt die vielversprechenden Ideen mittelloser Rapper und scheffelt erstmal Geld damit. Wie oft ist sowas schon passiert!:

„Sicher, ‚King Tim III‘ ist nicht schlecht. Aber wir sagten uns: Hey, wir machen das nun schon sieben Jahre, w i r sind die Leute, die das kreiert haben, wir sind besser, wieso sollten wir nicht auch eine Platte machen ?“

Der Damm war gebrochen. Nun kam die Sugar Hill Gang mit „Rappers Delight“ und Kurtis schrieb zusammen mit Robert Ford, einem ehemaligen Billboard-lournalisten, und seinem künftigen Manager Russell Simnions den „Christmas Rap“.

“ Wir dachten aber immer an die B-Boys und was sie mögen, wonach sie tanzen. Die lieben den Break-Part, wo es richtig funky wird. Also sagten wir: ‚Laß uns doch eine Platte machen, die ‚The Breaks’heißt! Wir dachten nach: ‚The Breaks’… Was für Ideen können wir dafür zusammenkriegen? Wir dachten an alte Gospel- und Blues-Songs, wo es darum geht, daß deine Frau dich verlassen hat, dein Konto überzogen ist, dir es überhaupt dreckig geht – eben all diese Breaks, die im Leben passieren.“

Die meisten anderen Rapper sind auf unabhängigen, kleinen Labels, warum ging Kurtis gerade zu einem Konzern wie Polygram?

„Wir hatten große Schwierigkeiten, ‚Christmas Rap‘ überhaupt unterzubringen. Die Firmen zeigten uns Verträge mit 75 Seiten, die alles, inklusive deine Küche und die Benutzung deines Bades miteinschlossen. Schließlich fanden wir einen Typen aus LA namens John god bless his ears – und der sagte: Hey, ich habe jemanden, deran euch interessiert ist! Also, ich habe nichts dagegen, auf einem großen Label zu sein, schließlich haben wir uns sieben Jahre abgemüht.“

Hat denn deine Firma an den Erfolg der ersten LP geglaubt?

„Oh, nein! Nicht die Bohne! Wir verkauften 400 000 Stück ohne jeden Promotion-Push ganz einfach, weil die Leute drauf standen und die DJ’s von sich aus die Platte spielten.“

Kurtis Blow ist der Erfolg indes nicht in den Kopf gestiegen. Er geht regelmäßig zurück zu den Roots, nach Harlem, wo er aufgewachsen ist. Und er wird im nächsten Januar wieder ans College gehen, um sein Studium zu beenden. Er ist sich seiner Verantwortung bewußt, denn die Kids hören auf ihn, hören auf das, was er sagt, rappt.

Kurtis ist mit seinen 22 Jahren ein Star, der diesen Status sehr ernst nimmt. Es kommen durchdachte und ernstgemeinte Statements von ihm wie: “ Viele Rapper mich selbst eingeschlossen – sprechen zu oft von sich selbst. Daß sie die Größten sind etc. Wir nennen es das Bo Diddley-Syndrom. Ich will da raus, ich gehe jetzt vom Me-ismus zum You-ismus, versuche den Leuten zu erklären, was sie tun können, um etwas Positives zu erreichen.“

„Throughout Your Years“ von der ersten LP macht diese Einstellung besonders deutlich:

„Some people you may be around/have negative vibes and try to get you down/But if your mind is sound and your will is strong/you’ve got the faith to override the wrong/Winter, summer, fall and spring/give it your all and your everything/ Don’t be no other, be yourself/ you can do that better than anyone else..

Zu einer Zeit, in der „schwarze Führer fehlen“ (Kurtis) kann diese Haltung nicht hoch genug veranschlagt werden. Und dann tut sich ein Abgrund auf, der blitzartig den Status Quo der Farbigen in Amerika aufzeigt: „Wenn ich auf meinen Platten alles sagen würde, was ich sagen möchte, würde ich umgehend eingelocht. Ich will’s nicht so machen wie etwa Gil Scott-Heron, ich versuche positive Einflüsse zu geben. Ich sage nicht: ‚Kämpft mit Waffen zurück‘ – ich versuche konstruktiv zu sein.“

Rap verändert sich ständig. Kurtis ist vor kurzem zum erstenmale mit einer Band aufgetreten, nachdem er jahrelang nur mit seinem DJ Davey D. herumgereist ist. Dieser erste Auftritt mit Gruppe hat mich zutiefst beeindruckt und an den jungen James Brown erinnert. Und das ist wohl das Stärkste, was man überhaupt zu Kurtis Blow sagen kann.

Zum Ende gibt es eigentlich nur noch von viel, viel Fun zu berichten. Kaum je zuvor hat ein Interview bei mir geradezu freundschaftliche Gefühle hinterlassen. Er lädt uns spontan zu seiner Geburtstags-Party in der heißesten Rap-Disco in der Bronx ein. Und als er sich letzten Samstag bei einem Rap-Wettbewerb mitten in Harlem als Ansager betätigt, passiert folgendes: Er entdeckt mich plötzlich mitten unter den Schwarzen und ruft durchs Mikrofon: „Hans Keller! Listen, this is Hans Keller from Musik-Express. He com es all the way up from Germany to you!“ Einen Moment fühle ich mich als Farbiger: Ich glaube, ich war etwas rot im Gesicht…