Kurz & klein


von OLiver Götz Letztens schauten die Macher der kleinen, feinen, jedoch fast schon einschüchternd produktiven Plattenfirma Tapete, Dirk Darmstaedter und Günther Buskies, auf ihrem Don-Quichotte-Ritt gegen bundesdeutsche Formatradio-Mühten auch bei uns in der Redaktion vorbei. Warum, so fragen sie sich, uns und die Müller, sollte Tapete-Musik nicht auch im Mainstream-Radio laufen? Da ist doch so viel Pop auf der Tapete, der Hörer und Hörerinnen nicht gleich zum Umschalten bewegen würde. Wenn das schon unbedingt das Kriterium Nummer eins in Sendestationen anno 2004 sein muss: die Leute nicht erschrecken. Beispiel gefällig? Hier: Der Ex-Friesländer und Jetzt-Berliner Thimo Sander spielt auf seinem Albumdebüt eine hand immer (Tapete/Indigo) wirklich annehmbarsten, weil angenehmen Sonntagmorgenpop mit Liedermacher-Gitarre, Beatbox und auch echtem Schlagzeug, der nichts weiter will als ein bisschen zu beschreiben, lächeln, Gedanken nachzuhängen. Sendet den doch mal! Mehr als nur ein kleineres Formatradio-Übel findet sich auch mit Dario, der Band der beiden Ex-Rekordler Daniel Riedl und Tobias Reinbacher mit Obertapezierer Buskies an Gitarre und Tasten. Ihre irgendwann e.p. (Tapete/Indigo) könnte heutigen Fans von Echt gefallen, die mit der Band erwachsen geworden sind bzw. gerne wären. Hätten die Mühlenbetreiber hierzulande Echt nur die Chance gegeben, erwachsen zu werden… Auch wenn ihr Bandname sich diesbezüglich ja ziemlich anbiedert, tschuldigung, anbietet, sind die Chancen für ich jetzt täglich ungleich schlechter, in privatwirtschaftlich missratene Radiolandschaften gesandt zu werden. Denn sie sind, auweia, experimentell. So kleinkünstlich jedoch, lyrisch wagemutig bis unsinnig und mit allerlei „Elektrofummel“ kommt stilfragen (Null Vier Null] daher. Dass einem ganz blümerant werden kann in der Magenlandschaft. Zitat: „£m Hund scheißt und betrachtet parasitäres Leben in seinem Kot. “ Bitte? Genug Leute erschreckt jetzt. Da kaufe ich doch lieber für 10 euro nasse hunde (Rent A Dog/AUve) von Jansen. Markus Maria predigt zwar immer noch die Nähe von Stadtfest und Kellerclub, die seine Folkpop-Musik brauche, die er vor fast 15 Jahren noch in arg pathetischer, aber ungleich erfolgreicherer Form mit M. Walking On The Water aufführte – ist also auch nicht eben kleinkunstpreisunverdächtig. Doch das dritte Jansen-Album liefert wenigstens [wenn auch manchmal etwas bemühte) Songs und nicht nur Kanten und olle Spinnereien. Könnte Freunden von Element Of Crime immer noch Spaß machen. Aber das schreiben wir Kritiker leicht mitleidig ja schon seit Jahren.

Auch weniger melancholischen und rotweindurchtränkten Studierenden soll offensichtlich der beinahe-euphorische Klampfenindiepop von Campus aus München Span machen. Als ob Liquido nie zugestoßen wären! Die haben außerdem * nicht nur einen doofen Band-, sondern auch noch einen außerordentlich doofen Albumnamen: populär music IRedwinetunes/PIAS/Rough Trade). Und sonst wirklich nichts, was über den Überraschungsgrad einer durchschnittlichen Mensa-Speisekarte hinausgeht. Mit ähnlicher Coverfoto-Ästhetik für die“.Neon „-Zielgruppe fallen die ebenfalls südostdeutschen JeHison über unser Geschmacksempfinden her: blässtiche, junge Frau – an der Coveroberkante abgeschnitten ab Mundpartie – im Unterhemd fasst sich über Brust an Schulter und wird von Arm einer zweiten, unsichtbaren, offensichtlich männlichen Person von hinten umfasst. Die Botschaft des Bildes: Ja, was weiß ich denn?! Oer Jettison’sche Indierock auf heat wave IChiller Lounge/ Soutfoodl bekommt zumindest merkliche Temperaturunterschiede hin, ist aber ansonsten weitgehend obligatorisch. Damit dieses Wort, welches so ganz fein undifferenziert beschreibt, dass einschlägige Musikanten hier auch nur wieder kredenzen, was ihre Vor-, Spiegel- und Zerrbilder ebenso allmonatlich unter die Tonträgerkäuferschaft zu bringen versuchen, nicht zu inflationär gebraucht wird, folgt es nur noch einmal. Hier nämlich: Eher obligatorisch sind auch: das erste Soloalbum von Millencolin-Sänger Mikola Sarcevic namens lock-sport-krock [Stalemate Music/Burning Heart], weil es nur hinlänglich bekannte Singer/Songwriter-, harmlose Rock’n’Roll- und also ziemlich viele Soloalbum-Klischees verhandelt; Yellowcards Melodienpunk-Scheibe ocean Avenue ICapitol/EMI), weil sie auch nur wieder nach Skatepark-Partys, Jugend am Strand (hier mal Florida, nicht Kalifornien) und allzu großer Sorgenlosigkeit klingt; Psycho-Path aus dem Norden Sloweniens mit ihrer Platte desinvoltura (More Noise Less Music/Exile On Mainstream/Soulfoodl, denen der Balkan-Exoten-Bonus wie die in beiliegendem Empfehlungsschreiben herbeizitierten Girls-Against-Boys- und Queens-Of-The-Stone-Age-Vergleiche natürlich gut zu Gesicht stehen würden. Doch leider ist das nur ziemlich oller Riff-Rock. Kommen wir zu ungewöhnlicheren Dingen. Ungewöhnlich darf man tatsächlich nennen, dass sich in den USA in diesen Tagen immer mehr Kapellen finden, die den Engländern ein Revival vor der Nase wegschnappen, auf dass diese doch ein gewisses Vorrecht hätten; die Wiederkehr des Drone-, Shoegazer-, Sonstwie-zum-Schwelgen-Gitarrenpop der frühen Neunziger. Gregor Samsa aus Richmond. Virginia tun auf 27°3* (OWNI wirklich absolut formvollendet slowdiven – in drei Songs, die sich exakt genau so viel Zeit nehmen, wie der Albumtitel verspricht. Einmal lange ausfaden, ganz allmählich wieder einfaden, und schon landen wir fast unmerklich viele Meilen westwärts bei The Meeting Places aus Los Angeles, die auf find yourself along the way IWords On Music/lndigo) mindestens immer drei Gitarren durch Kathedralen-und Flugzeughangar-Hallgeräte und Komplettverzerrer schicken. Wirklich schöne Songs ohne jeden Druck und Drang machen sie auch noch beziehungsweise trotzdem. Ein wenig konkreter, flotter auch fällt der Soundtrack zum Köpfeschräglegen von For Against aus Lincoln, Nebraska auf coalesced IWords On Music/lndigo) aus – eher Pale Saints oder Ride als My Bloody Valentine oder Slowdive eben. Allerdings muss fairerweise angefügt werden, dass For Against schon semisymphonisch traumpoppten, als die einschlägigen englischen Protagonisten noch in Jugendzimmern auf ihrer Luftgitarre ätherisch taten-. Es gibt sie bereits seit 1985. Aber ganz schön still bislang und ziemlich heimlich. Aber ergeht es nicht viel zu vielen Indie-Acts so, immer wieder? Genau. Und damit sie nicht alle komplett untergehen, schreiben wir hier noch ein paar hin. Kurzempfehlungen wie Rettungsringe. Hier, fangtl Seafoocl zeichnen sich auf as the cry flows iCooking Vinyl/Indigo) – ihrem dritten, aber ersten Album, auf dem nicht so arg die Fetzen fliegen – vor allem durch einen so ganz und gar grundsätzlichen Optimismus aus, der in jede Ritze dieser milden, mich und dich willkommen heißenden Platte dringt. Dem kleinen Chicago-Universum der eher song- und volksnah orientierten Clique um The Sea & Cake sind sie dabei nie allzu fern. Am liebsten ein gutes Stück Erdenrund zwischen sich und ihrer Heimat Bergen wollen hingegen Lorraine bringen, wie weiter vorn im Heft zu lesen war beziehungsweise noch ist. Zumindest haben sie mit the perfect cure (Rec 90/Cargo) ein Album aufgenommen, das uns nicht auch noch einmal weismachen möchte, dass Leise das neue Laut sein könnte. Aber das neue Indie ist dieses Stück allzu allgemeinverträglicher Alternativpop nur leider auch nicht. Noch ein Rettungsring auch für Sons Of Jim Wayne. Die beiden Herren lEx-Ferryboat Bill, -Jim-Wayne-Swlngtett etc.) haben sich zwar zwischenzeitlich mit ihrem handgeshuffelten Folk unermüdlich tourend eine treue Musikkneipenhörerschaft erspielt. Doch mehr als ein paar Über-den-Tresen-Verkäufe bringt das halt nicht ein. Aber auch best hake up is a smile IWarehouse/lndigo) trägt eben wieder diese Botschaft in sich: Lausche mir am liebsten live zwischen Ruifen und Bieren! Solches möchte man bei Vinny Miller vielleicht doch lieber vermeiden. Denn die wieder zum Leben erweckte 4AD-Label-Karteileiche trägt doch auf ihrem dunklen, vielmehr ernstlich verhexten als verwunschenen Liedermacheralbum on the block UAD/Beggars/Indigol so einiges zur Verunsicherung des Hörers bei. Vorne drauf: ein Mann, geteert und gefedert. Innen drin: mal knarzender. mal wie ums blanke Seelenheil flehender Zwischenwelten-Folk, der durch elektronischen Wahnsinn, direktes Ins-Kraut-Schießen und plötzliche Avantrock-Überschläge nicht gerade zur besseren Verdaubarkeit beiträgt. Von Vinny Millers seltsamen Gurgel- und Schamanengesängen in den Pinkelpausen dieser Platte mal ganz abgesehen. Richtig geraten: Die Platte ist die dickste Empfehlung dieser noch so jungen und entsprechend unschuldigen, aber jetzt schon legendären Rubrik.