Kurz & Klein


Was in Genre-Nischen doch mitunter an prächtigen Blüten gedeiht – mitunter sogar jahrelang. Sacco & Mancetti aus Regensburg sind so ein Fall: Auf Cry Baby (Beale Records/BSC/Rough Trade) servieren sie zum wiederholten Mal bestens abgehangene Westcoast- und Blue-Collar-Rock-Spezialitäten. Wenn ich nicht aus eigener Erfahrung sehr genau wüsste, dass Regensburg am Ufer der Donau liegt, würde ich die alte Domstadt angehörts dieser Scheibe glatt am Highway 101 verorten. Seit anderthalb Jahrzehnten tummeln sich Songschreiber/Gitarrist/Sänger Jockl Peithner und seine drei Freunde in den (einstigen) Jagdgründen von Tom Petty, Bruce Springsteen und Warren Zevon – sie hatten in ihrer Anfangszeit mit „Rainbow’s End“ gar mal einen kleinen Radiohit, sind im Süden der Republik eine Live-Attraktion, und mehr denn je vollbringen sie kleine Wunder. Peithners knarzige Gesänge, die unaufdringlich aber unaufhaltsam schiebenden Grooves, die sägenden, jubilierenden, heulenden Gitarren – mit aktuellen Strömungen hat das alles natürlich gar nichts zu tun, aber für Fans des Genres stimmt es hier rundum. Vor allem aber verblüfft die überragende Songqualität – wäre Peithner Amerikaner, er wäre mit diesem Kompositionstalent längst Millionär.

Vieles von dem, was hier über Sacco & Mancetti geschrieben steht, trifft so ähnlich auch auf den Schweizer Gitarristen, Sänger und Songwriter Thomas Erb alias Hank Shizzoe zu. Auch er bewegt sich seit mehr als einem Jahrzehnt souverän stilistisch auf typisch amerikanischen Highways – allerdings noch ein Stückchen weiter in Richtung Roots. J.J.Cale, Tony Joe White und Ry Cooder heißen hier die Referenzgrößen. Auf Headlines (Blue Rose/Soulfood) lehnt sich Erb zum Teil tief zurück, entfaltet einen bei aller Entspanntheit aber durchaus kraftvollen Sound, sein an Cooder erinnernder Bariton kommt genauso lässig wie sein Gitarrenspiel. Und alles zusammen ist natürlich genauso wenig „modern“ wie bei den Oberpfälzern, nur ist das Songmaterial hier nicht ganz so sensationell.

Und noch mal was angenehm Altmodisches: die 24-jährige Singer/Songwriterin Devon Sproule zimmert auf Keep Youe Silver Shined (Tin Angel/Shellshock/Indigo) aus Appalachen Folk, Blues und Jazz beschwingte Songs. Mit Mary Chapin Carpenter hat sie in einem Song auch einen prominenten Gast vorzuweisen, und das ganze Album durchzieht so ein spielerisch-nostalgisches Stummfilm-Flair. Eine Art Norah Jones für Indiefans – und das ist ganz und gar nicht abwertend gemeint!

SDNMT ist eine Band aus Berlin, die sich früher Seidenmatt nannte und kürzlich auf dem Immergut Festival als Überraschungsheadliner gastierte. Auf ihrem dritten Album The Goal Is To Make The Animals Happy (Sinnbus/Allve) bieten die Herren von der Spree zehn überwiegend aber nicht ausschließlich instrumentale Tracks. Das schwillt so postrock-mäßig auf und ab, hat mitunter feine Melodie- und Arrangement-Einfälle, auf Albumlänge aber kompositorisch dann noch nicht die Substanz, um durchgehend zu fesseln. Über Finetunes und andere Downloadplattformen wird das Album auch vertrieben – da bietet es sich an, die stärkeren Tracks einzeln zu erwerben.

„French’n’Roll“ nennt die Düsseldorfer Combo Er France, das was sie auf ihrem zweiten Album Ex Saint (Lolila/Broken Silence) veranstaltet. Klingt aber dann nicht ganz so originell wie es sich liest. Relativ konventioneller Gitarrenlärm, der mit quietschigen Synthies und betont aufgekratzten Girlie-Vocals der aus Frankreich stammenden Sängerin Isabelle Frommer eine halbwegs amüsante Franco-Pop-Schagseite bekommt. Dazu gibt’s Songtexte in drei Sprachen. Ein strenger Produzent hätte aus den nicht uncharmanten Kompositionen noch eine Menge mehr herausholen können.

Von Düsseldorf geht’s weiter westlich nach Lüttich. Wenn sich eine Band einen so spekulativ-reißerischen Namen wie Hollywood Pornstars zulegt, darf man ruhig misstrauisch sein, Satellites (Naive/Indigo), das zweite Album einer Combo, die genau das getan hat, entpuppt sich dann aber gottlob als keineswegs so sleazy wie der Bandname, sondern als frisches und melodienseliges Dutzend Garagenrocksongs, die ohne große Fisimatenten unter Quasi-Live-Bedingungen auf’s Masterband gefetzt wurden.

Nicht erst in diesem Jahrzehnt werden die schönsten Popplatten in den USA von anglophilen Musikern gemacht. Frankie Koroshec und Matthew Kelly sind solche Liebhaber alles Englischen: Als notorische Smiths- und vor allem Johnny-Marr-Fans lernten sie sich in den 90ern auf dem College kennen und gründeten The Autumns. Deren viertes Album mit dem etwas irreführenden Titel Fake Noise From A Box Of Toys (Bella Union/Cooperative Music/Universal) ist eine buntschillernde Sammlung von meist irgendwie von einer ganz eigenartigen Mischung aus Euphorie und Melancholie getriebenen Indierock-Songs, die von Matt Kellys Falsettgesang und schwelgerischen Gitarren dominiert werden. Da mischt sich das Flair alter Shoegazer- und 4AD-Platten mit heutigen Indierock-Tendenzen – nicht das schlechteste für einen goldenen Herbsttag.

„Indie is the new mainstream“, lautet eine Einsicht, die uns Kollege Koch gerne und zu Recht um die Ohren haut. Wirklich „Indie“ fühlt sich dagegen an, was das Pinneberger Duo Bessere Zeiten in Form seines Debütalbums ein bitterer abgesang (Rock’n’Roll Speeds Up/Broken Silence) auftischt. Songs in deutscher Sprache, die sich um irgendwelche Formatierungen musikalischer wie textlicher Art einen Dreck scheren, darunter ist auch ein Cover der Kolossalen Jugend. Durchaus erfrischend.