Kurz und Klein


Da auch ich ein Chamäleon bin, ein unergründliches Mysterium, ein rollender Stein, der niemals zu greifen ist und dabei doch mit großem Geschick zu steuern versteht, welches Bild die Öffentlichkeit von ihm hat, könnte ein Text in der „Kurz & Klein“-Rubrik eigentlich nur dann allen Facetten meiner komplexen Persönlichkeit gerecht werden, wenn er von sechs verschiedenen Autoren geschrieben würde. Da einer meiner Wunschkandidaten aber bedauerlicherweise nicht mehr zur Verfügung steht (sollte das seit seinem Tod die erste Heath-Ledger-Nennung in humoristischem Kontext sein, distanziere ich mich hiermit – und damit nur drei Zeilen später, also zweifelsohne noch rechtzeitig – davon), werde ich wohl oder übel selbst zur Feder greifen müssen.

Beginnen wir mit der italienischen Band Les Fauves, die mit Sicherheit ihre Verkaufszahlen schönt, indem sie sich vom „Fachpersonal“ der CD-Abteilungen in Kaufhäusern mit der amerikanischen Band Les Savy Fav verwechseln lässt. Ihr irgendwie britisch und meist düster dahinrockendes Debüt n.a.l.t. 1 – a fast introduction (Urtovox/Cargo) begeistert so richtig nur am Anfang: Die Gesangsmelodie des ersten Songs hat die Spider Murphy Gang bereits 1981 erfunden, weshalb man schon nach einer halben Minute wunderbar mitgrölen kann: ,Ja in Schwabing gibt’s a Kneip’n, die muss ganz was B’sonders sei, da lassn’s solche Leut’wie di und mi erst gar net nei in ‚d Schickeria…“

Da die meisten Melodien, die Lennon und McCartney erfunden haben, zu schade zum Mitgrölen sind, veröffentlicht das Hamburger Label Bureau B nun eine Beatles-Compilation, die überwiegend aus Instrumentals besteht, easy beatles irresistible in-sound interpretations from the 60s and 70s (Bureau B/Indigo) enthält audiopornographische Easy-Listening-Interpretationen der großen, größten und allergrößten Beatles-Hits: „She Loves You“ als lustiger Latin, „Eight Days A Week“ als schnuffeliger Swing etc. pp. Und ertönt zur Abwechslung doch mal eine Stimme, gehört sie zum Beispiel Nancy Wilson oder Ella Fitzgerald. Wie, frage ich mich, soll man so was in die Pfanne hauen?

Da macht es einem Zascha Moktan schon leichter. Die „junge Frau, die sich nicht verbieten lassen will, an das Gute und das Wahre zu glauben“ (Pressetext), macht „funky“ Pop, der in seiner musikalischen Perfektion („Das ist noch handgemacht! Da waren Profis am Werk, das hört man sofort“ usw.) so schwerfällig und überraschungsarm ist, dass er ständig mit kleinen Michael-Jackson-Quietschern („Au!“, „Uh!“) aufgelockert werden muss. Der 1981 in Neu-Delhi geborenen Tochter deutsch-nepalesischer Eltern werden von der Plattenfirma „jede Menge Skills“ und „die gesunde ,No Shit‘-Attitude des Punks mit einem fein ausgeprägten Sachverstand“ attestiert. Deshalb – und mitnichten etwa weil wir uns ein kleines bisschen von ihrer Schönheit blenden lassen würden – wünschen wir ihr neid- und kritiklos alles Gute und viel Erfolg. Ihr Album heißt the bottom line (Universal) und hat bereits den einigermaßen, aber nicht völlig unerträglichen Hit „Ouch!“ abgeworfen.

Ist es meine ewige Harmoniesucht (Ha! Jetzt will er plötzlich harmoniesüchtig sein! Was für ein Chamäleon, ein unergründliches Mysterium etc. etc.), die es mir so schwer macht, eine klare Haltung zu den Donots zu finden? Ist das „gute“ Musik? Im Universum eines Rilo-Kiley-Fans ist ihr neues Album coma chameleon (Solitary Man Records) der Todesstem. Auf der Vans-Warped-Tour (zu der man mich hinprügeln müsste), zwischen Against Me! und AFI (die ich beide irgendwie ja trotzdem mag), ist das allerdings verdammt gut vorstellbar. Überhaupt sind die Songs so druckvoll, dass sie einen bestimmt „voll“ beim Skaten „pushen“, wenn man oben auf der Halfpipe steht und überlegt, ob man mal den Fivefourrydoublekickflip (to Fakey) probieren soll. „Good within its field“ – können wir uns vielleicht darauf einigen?

Der schönste Song, der in diesem Monat einen Auftritt in der „Kurz & Klein“-Rubrik hat (die Beatles sind außer Konkurrenz), ist „You Can Come To Me“ auf keep your eyes ahead (Sub Pop/Cargo) von The Helio Sequence: eine akustische Gitarre, ein gelungener Mix aus Casio-Fiepsen und warmen Synthieklängen und dazu ein paar kluge Worte, die von einer ganz und gar zauberhaften Melodie getragen werden. So ein Song kann Leben retten.

Ein paar der scheußlichsten Songs finden sich auf IV (Supertracks/Sunny Moon), dem irreführend betitelten dritten Album von Bastian. Der Holländer hat mit zehn Musikern und einem Berg von Effektgeräten elf Elektro- und P-Funk-Stücke eingespielt, von denen jedes einzelne genau vier Minuten lang ist. Zwar mag der Soundbrei mit seinen überstrapazierten Vocoder-Vocals für den oberflächlichen Hörer zunächst ganz geschmackvoll wirken, im Kern aber ist IV doch eher schlechte Musik. Die Texte sind so hohl und die Strukturen so überraschungsfrei, dass man an Kool & The Gang in ihrer schlechtesten Phase denken muss.

Wer schnell auf andere Gedanken kommen will, könnte es zum Beispiel mal mit Björn Kleinhenz probieren. Er hat in Göteborg Songs auf einer gestohlenen Gitarre komponiert (Was für eine Geschichte! Ist das nicht wunderwunderschön? Oder steigere ich mich da jetzt in was hinein?) und veröffentlicht nun quietly happy and deep inside (Devil Duck Records/Indigo). Seine Songs plätschern so angenehm zwischen anglophilem Schweden-Indiepop und Alternative Country dahin, dass mein Kopf sofort ganz leer wird.

Hätte ich Ahnung von Musik – oder wäre mein Kopf nur ein kleines bisschen weniger leer -, könnte ich vielleicht die passenden Worte für die Mobius Band finden. Da ich aber weder das Presseinfo („Noir Indierock“, der „pulsiert“, „knistert und summt“), noch den Bandnamen verstehe (Wikipedia: „Ein Möbiusband, auch Möbiusschleife genannt, ist eine zweidimensionale Struktur in der Topologie, die nur eine Kante und eine Fläche hat.“), wäre schon der Versuch, ihr neues Album heaven (Misra/BB*Island/Cargo) mit kompetenten Worten zu beschreiben, reine Zeitverschendung. Immerhin kann ich sagen, dass mir die Songs der Band aus Massachusetts irgendwie ganz gut gefallen. Aber hilft das jetzt irgendjemandem weiter?

Wäre es mir möglich gewesen, meinen zu Beginn beschriebenen Vorsatz umzusetzen, wäre die nächste Platte ein Fall für Richard Gere. „Ein Werk voller Poesie“, hätte er nach einem Durchlauf mit seiner mönchshaften Ruhe gesagt. „Und manchmal“, hätte er dann vielleicht mit einem verschmitzten Lächeln hinterher geschickt, „ist es auch ganz schön versaut.“ Das „Werk“, das ihm solche Freude bereitet hätte, heißt I can hear your heart (Chemikal Underground/RoughTrade). Es ist die erste Soloplatte, die das einstige Arab-Strab-Mitglied Aidan John Moffat unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Es besteht ausschließlich aus gesprochenen Texten, die der 34-jährige Glasgower in dickem schottischem Akzent vorträgt. Moffat kann schreiben, keine Frage: Seine Erzählung über eine Nacht in einer Bar, die im Booklet als Vorbereitung auf den Audioteil abgedruckt ist, fesselt durchaus. Die Präsentation – wahnsinnig cool, wahnsinnig lakonisch vorgetragene Sex-Geschichten, die mit wahnsinnig geschmackvollem Jazz- und Orchestergedudel (inklusive Vinylknistern) unterlegt wurden -, ist auf die Dauer aber viel zu selbstverliebt (Ich bin Leonard Cohen! Ich bin Hunter S.Thompson! Ich bin Charles Bukowski), als dass I can hear your heart wirklich ein Genuss sein könnte. Und in diesem Punkt darauf vertraue ich ganz fest – wären sich wohl auch meine sechs verschiedenen Autoren einig gewesen.