Leben und Sterben in L.A.


"You can check out any timeyou like, butyou can neuer leave": Um ihr neues Doppel-Album vorzustellen, kehren die Red Hot Chili Peppers ins Chateau Marmont zurück, das die Eagles zu "Hotel California" inspirierte. Was treibt sie immer wieder an diesen Ort, an dem ihr Gitarrist - wie so viele andere Gäste auch - dem Tod ins Auge gesehen hat?

Die Stadt der Engel hat zwei Gesichter. Das eine, dem die Zehn-Millionen-Metropole am Pazifik ihren schlechten Ruf verdankt, ist glatt, gebräunt und in den Problemzonen ein wenig mit Silikon unterspritzt. Man begegnet ihm fast überall: Desperate Housewifes tragen es unter Baseball-Kappen durch die Supermärkte von Santa Monica, Millionärstöchter straffen es in den Toiletten der Bars von Beverly Hills, und Castingagentinnen verbergen es in der Melrose Avenue hinter der neuesten Ausgabe von US-Weekly, während sie mit langstieligen Löffeln Süßstoff-Tabletten in ihre koffeinfreien Soja-Latte-Machiatos rühren.

Dieses Gesicht ist nur die halbe Wahrheit. „Es ist zum Kotzen, daß die Leute immer ihre eigenen oberflächlichen Ansichten auf L.A.projizieren“, wird Anthony Kiedis später mit leicht aggressivem Unterton in einem der Garten-Bungalows des Chateau Marmont sagen. „Als ob das ein Ort voller Künstlichkeit wäre. Das ist so komplett verfehlt.“ Kiedis hat keine Geduld mit Menschen, die Los Angeles auf das Wetter, einen lachenden Arnold und den omnipräsenten Schönheitswahn reduzieren, denn er hat das andere Gesicht der Stadt gesehen: in den VI P- Räumen der düsteren Bars, an den Heroin-Umschlagplätzen „Under The Bridge“ downtown und ganz besonders hier, in diesem verhexten Hotel an Hollywoods Sunset Strip.

Das andere Gesicht von Los Angeles trägt kein Make-up. Es ist eine entstellte Fratze mit kaputter Haut und leeren Augen. Seit den 6oer Jahren, als man im Chateau, wie Roman Polanski berichtete, „fast high werden konnte, wenn man bloß die Dämpfe eingeatmet hat, die durch die Schlüssellöcher kamen“, erblickten die Bediensteten immer wieder dieses furchterregende Gesicht: in den frühen Morgenstunden bei Begegnungen mit Janis Joplin, die, von Tabletten und Drogen um den Schlaf gebracht, wie ein Zombie durch die Gänge schlich; im Winter 1970, als ein LSD-benebelter Jim Morrison vom Balkon in den Garten fiel und sich zwei Rippen brach; und in all seiner Häßlichkeit in den Morgenstunden des 5. März 1982, als sich John Belushi in Bungalow 3 immer wieder einen Mix aus Kokain und Heroin spritzen ließ, bis sein Atem und das Herz ins Stocken kamen und er nackt in seinem Bett verendete.

Hollywood ist nicht stolz auf sein dunkles Geheimnis, und Orte wie das Chateau haben sich darauf spezialisiert, es zu bewahren. „Wenn ihr unbedingt Scheiße bauen müßt, dann macht es im Chateau Marmont“, riet Columbia-Pictures-Präsident Harry Cohn bereits Ende der 30er Jahre seinen Filmstars, denn das Hotel, das nach dem Vorbild des gotischen Schlosses Chateau d’Amboise im französischen Loire-Tal erbaut wurde, ist wie eine Festung konzipiert. Die Lobby ist von der Straße nicht einzusehen, es gibt Hintereingänge und versteckte Gartentore, und das Personal ist bekannt für seine Verschwiegenheit. Die Grenzen der Toleranz werden selten erreicht – Led Zeppelin fuhren Anfang der 70er Jahre ihre Harley-Davidsons durch die Lobby und blieben doch immer willkommene Gäste -, nur John Frusciante hat sie in den 90er Jahren überschritten.

Um Interviews zu geben und ihr neues Doppel-Album vorzustellen, haben die Red Hot Chili Peppers einen zweistöckigen Bungalow im Garten am Pool gemietet. Kiedis (43), Flea (43) und Chad Smith (44) bewegen sich völlig entspannt in den altmodisch eingerichteten Räumlichkeiten. „Hey, auf dieser Anlage habt ihr das Album gehört? War der Sound gut?“ fragt Smith ein paar eingeschüchterte schwedische Journalisten nach der Listening-Session von Stadium Arcadium fröhlich. Kiedis und Flea machen sich große Tassen Yogi-Tee und werfen gemeinsam einen Blick auf ihr Interview-Programm. Bevor sie am Fließband Fragen beantworten müssen, gehen sie nach draußen, um den sonnigen Tag auf der Terrasse des Hotels zu genießen, das Schauplatz eines der düstersten Kapitel der Bandgeschichte war.

Was John Frusciante (36) empfindet, wenn er an diesen Ort zurückkehrt, ist schwer zu sagen. Es sind dieselben Räume, in denen er die Hölle gesehen hat, als sein Leben Mitte der 90er Jahre aus dem Ruder lief. Über Monate hatte niemand gewußt, wo Frusciante war, bis ihn im Dezember 1996 der Journalist Robert Wilonsky im Chateau aufspürte. „Den Boden seiner Suite bedecken Dutzende von CDs (von Bowie über Devo bis zu seinen Lieblingsbands King Crimson und Nirvana), Mineralwasserflaschen, Zigaretten, Zeitschriften und sterile Kompressen“, schrieb Wilonsky damals in den „New Times“. Unfähig, ohne fremde Hilfe ein schweres Kindheitstrauma zu verarbeiten, war Frusciante zu einem Junkie geworden, der sich zu diesem Zeitpunkt im Endstadium befand: Er hatte Zähne verloren, blutunterlaufene Fingernägel, Verbrennungen und am ganzen Körper entzündete Einstichwunden. Da der Tod kein seltener Gast ist in den „hängenden Gärten von Babylon“, wie der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald das Chateau bezeichnete (er war selbst Gast, als er 1940 am Kiosk gegenüber an einem Herzinfarkt starb), hat das Personal mit stoischer Ruhe zugesehen, wie sich der Rockstar in seiner Suite zugrunde gerichtet hat. Erst als er wenige Wochen nach Erscheinen des Artikels nicht mehr in der Lage war, das Geld für die Miete aufzubringen, wurde er vom Besitzer vor die Türe gesetzt.

Entziehungskuren und Therapie haben Frusciante gerettet. „Ich habe keine Angst vor einem Rückfall“, sagte er 2002. „Ich weiß, daß das keine Option für mich ist.“ Am Tag der Album-Präsentation bedeckt eine Strickjacke mit langen Ärmeln seine vernarbten Unterarme. Er geht gebückt wie ein alter Mann, aber er lächelt. Vielleicht liebt er dieses Hotel noch immer.

John Frusciante ist das Nervenzentrum der Red Hot Chili Peppers. Als besessener Musiker, der oft über Monate hinweg bis zu zwölf Stunden am Tag mit Üben und Improvisationen verbringt, ist er eine beständige Quelle der Kreativität. Sein Input – gepaart mit der Lebendigkeit und der Experimentierfreude von Flea – ist es, der die Band vor Stagnation bewahrt. Mit STADIUM ARCADIUM erfinden sich die Chili Peppers nicht neu, wie sie es mit Californication getan haben. Daß sie sich dennoch nicht stetig wiederholen, liegt primär an den unberechenbaren Beiträgen ihres Gitarristen: an seinem schnellen Fingerpickingin „Snow (Hey Oh)“ zum Beispiel, den schweren Classic-Rock-Breaks in „Readymade“, den weichen, schwebenden Akkorden von „HardTo Concentrate“ und dem klaren, fast Mark-Knopfler-artigen Solo in „Stadium Arcadium“.

Leider ist es gänzlich unmöglich, mit Frusciante ein normales Gespräch zu führen. So präzise und innovativ seine Gitarrenarbeit ist, so vage und ermüdend sind oft seine Antworten. Jede beliebige Frage kann ihn dazu animieren, ohne Punkt und Komma von Musik im Allgemeinen, von Gott, seinem Schutzengel und den Geistern zu erzählen, die ihn besuchen („Sie haben mich früher nur gequält und beleidigt. (…) Heute mögen sie mich.“) Seinen Interviewraum – ein kleines Schlafzimmer im ersten Stock des Gartenhauses – verlassen Journalisten immer wieder mit langen Gesichtern. Eine einzige, albumbezogene Frage, berichtet ein Kollege mit ungläubigem Blick aufsein Minidisc-Gerät, habe Frusciante mit einem 17minütigen Monolog beantwortet. Will man Aufschlüsse über den kreativen Prozeß erhalten, der unter Aufsicht von Rick Rubin in einem Proberaum im „Valley“ von Los Angeles zu 38 neuen Songs geführt hat-28 finden sich auf Stadium Arcadium, die restlichen zehn sollen als B -Seiten und Bonustracks veröffentlicht werden -, ist ein Interview mit Frusciante wenig hilfreich. Zu schwer fällt es dem zerstreuten Gitarristen heute, seine komplexe Gedankenwelt in Worte zu fassen. Nein, um zu verstehen, wie der Organismus der Red Hot Chili Peppers funktioniert, spricht man besser nicht mit der fragilen Wirbelsäule dieser Band. Man spricht mit ihrem Kopf.

Musikexpress: Guten Tag!

kiedis: Hallo! (Ein fester Händedruck. Bevor sich Kiedis setzt, verrückt er seinen riesigen Sessel, bis sichergestellt ist, daß er direkten, geraden Blickkontakt haben wird. Er trägt ein grünes Poloshirt und orange Turnschuhe der Marke New Balance. Sein Blick ist klar und wachsam, sein Gesicht schmal und etwas ausgezehrt. Eines Tages wird er aussehen wie Iggy Pop.)

Das Album…

Kiedis: Wie viele Songs hat man dir vorgespielt? 21?

(Er schlürft geräuschvoll seinen Tee. Auch ihn langweilt Smalltalk, weshalb wir ihn nach wenigen Minuten beenden.) Warum hast du immer offen über die Drogen-Vergangenheit der Band gesprochen?

KIEDIS: Kein besonderer Grund. Ich glaube aber, daß es anstrengender gewesen wäre, es zu verbergen. Ich kann das Thema völlig aussparen, ich kann aber auch darüber sprechen. Ist mir eigentlich egal.

Drogen haben in dieser Band lange eine große Rolle gespielt. Ist es schwierig, ohne Drogen kreativ zu sein ?

KIEDIS: Ich hab‘ Drogen nie benutzt, um meine Kreativität zu steigern. Als ich noch sehr jung war, hatten sie nur zerstörerische Wirkung. Ich war nie produktiv, wenn ich high war. Du bist wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagt: Du hast eine kleine gute Idee, und um die kreist du dann Tage und Wochen.

Die Rauscherlebnisse waren gar nicht inspirierend?

Kiedis: Es gibt so viele Dämonen auf der Welt, von denen du dir Inspiration holen kannst. Es gibt düstere und erhebende Erlebnisse, an die du dich anschließen kannst, um einen Song zu schreiben. Drogen sind für mich in dieser Hinsicht kein Weg. Sehr emotional gefühlt hab‘ ich mich immer nur in den Zeiten, in denen ich aus einer Drogenphase ausgestiegen bin. Gut vielleicht war die Intensität dieses Reinigungsprozesses ein wertvolles Werkzeug.

Ein Werkzeug, das dir heute nicht mehr zur Verfügung steht. Benutzt du jetzt bestimmte Methoden, um kreativ zu werden?

KIEDIS: Ja. Reisen hilft, um den Kopf frei zu bekommen. Die beste Methode aber ist, auf alles zu hören, was dich umgibt. Ob es Musik ist, leerer Raum oder das Universum – man muß einfach hören. Neue Songs entstehen bei den Chili Peppers oft aus Improvisationen. Ist da nicht die Gefahr groß, sich immer in bekannten Mustern zu bewegen?

KIEDIS: Theoretisch ja. Aber die Leute in dieser Band wollen wachsen und sich verändern. John ist unersättlich, wenn es darum geht, neue Musik zu erforschen. Er interessiert sich heute schon nicht mehr für die Sachen, die er vor sechs Monaten gespielt hat weil er schon wieder neue Bereiche erkundet. Plötzlich hört er zum Beispiel Bach. Das verändert sein Spiel. Improvisationen sind für die Band sehr wichtig, und John geht alle sechs Monate völlig neu in diese Jams. Er wechselt ständig den theoretischen Überbau.

„She Looks To Me“ auf Stadium Arcadium wirkt trotzdem arg schablonenhaft.

Kiedis: Nun, das ist sicher nicht der weltbewegendste Song auf der Platte. Er hat eine schlichte Akkordfolge. Manchmal aber hat auch das Einfache seinen Platz. Dieser Song hatin mir eine Seite angeschlagen. Ich hatte gleich Lust, eine Melodie und einen Text dazu zu schreiben. Wir wußten alle, daß wir hier kein Neuland betreten. Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, hier von „schablonenhaft“ zu sprechen. Aber er ist schlicht und altmodisch. Traditionell.

Apropos altmodisch: John spielt in fast jedem Song ein ausführliches Gitarrensolo …

Kiedis: (grinst) Es ist genau die richtige Zeit für die Rückkehr des Hochleistungssolos.

Ihr hattet vor, ein klassisches Album zu machen: elf perfekte Songs. Aufgenommen habt ihr nun 38. Seid ihr so kreativ oder leidet eure Fähigkeit zur Selbstkritik?

KIEDIS: Vermutlich trifft beides zu. Ich weiß aber nicht, ob die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik negative Auswirkungen hat. Was die Qualität angeht, kontrollieren wir uns ja immer gegenseitig.

Gibt es Ego-Probleme im Proberaum?

Kiedis: Haufenweise! Wir hatten so viele Streitereien und Wutanfälle wie jede andere Band auch.

Wird das einfacher, wenn man älter wird?

Kiedis: Wir schlagen uns ganz gut. John konnte manchmal total ausflippen und dann lange still und nachtragend sein. Heute wird er wütend, und 20 Minuten später ist es wieder vorbei. Plötzlich interessiert ihn wieder, was es zum Mittagessen gibt.

Californication und By The Way waren so unglaublich erfolgreich, daß inzwischen viele Gehälter bei der Plattenfirma nur bezahlt werden können, wenn ihr 2006 wieder Millionen einspielt. Stört das bei der Arbeit?

KIEDIS: Gottseidank überhaupt nicht. Das ist ein anderes Universum. Mit der Plattenfirma haben wir selten zu tun. Meistens machen die ihr Ding, und wir machen unseres. Die wirkliche Bestätigung findest du als Band nicht in dieser Welt. Kreative Arbeit ist so viel wichtiger. In dem Augenblick, in dem man etwas Wahrhaftiges hervorbringt, spürt man direkt im Raum ein Gefühl von Befriedigung – die Bestätigung des Universums. Das passiert nicht im Akt des Verkaufens, das passiert im Akt des Erschaffens. Das ist eher ein spirituelles Erlebnis.

Wo wir gerade von spirituellen Erlebnissen sprechen… Eine japanische Übersetzerin, die letzte Woche bei Interviews dabei war, hat mir erzählt, daß ihr ständig von Gott sprecht. Du hast Gott noch nicht einmal erwähnt.

KIEDIS: (lacht) Es ist nicht einfach, das Wort Gott zu benutzen, weil fast garantiert ist, daß du mißverstanden wirst. Jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was Gott ist. Es gibt auf der Welt wahrscheinlich fünf Milliarden Definitionen für diesen Begriff.

Ist das ein Kabbalah-Armband an deinem Handgelenk?

Kiedis: Äh – nein. Obwohl ich es von dem Kind eines Kabbalah-Anhängers bekommen habe. Aber das ist nur ein Armband, das Kinder flechten und das für Freundschaft steht.

Freundschaft. Ein Thema, das uns zu Kiedis‘ Partner bringt. Flea und er waren bereits als 15jährige unzertrennlich. Kam Kiedis nicht zur Schule, drückte sich Flea unsicher im Pausenhof herum. „Ich bin ständig auf und ab gegangen“, sagt der Bassist. „Ich wollte nicht, daß jemand merkt, daß ich alleine war.“ Seite an Seite durchschritten sie alle Höhen und Tiefen, die sie mit den Red Hot Chili Peppers durchlebt haben: In vielen Gesprächen verarbeiteten sie den Heroin-Tod ihres ersten Gitarristen Hillel Slovak, mit Disziplin und Teamwork erarbeiteten sie sich den großen Durchbruch mit Blood Sugar Sex Magik, und mit unbewegter Mine erzählten sie auch Lügen über das mißglückte Album ONE HOT MINUTE: „Dave Navarro ist ein perfekter Ersatz für Frusciante“; „Wir waren nie glücklicher!“ etc. Mit unendlicher Geduld schließlich stützten sie sich von Mitte bis Ende der 90er Jahre gegenseitig, um eines Tages mit Californication clean, gesund und um einiges erwachsener ein neues Kapitel aufzuschlagen zu können. „Ohne die wahrhaftige Liebe, die wir füreinander empfinden, wären wir als Band längst ausgetrocknet“, sagte Kiedis schon 1995. Dabei sind sich die beiden nicht unbedingt ähnlich: Wo Kiedis ernst, bedacht und diplomatisch ist, da ist Flea albern, überschäumend und voller Leidenschaft. Nach der Mittagspause fragt er leise nach Recycling-Behältern, um sein Plastikgeschirr zu entsorgen, und verkündet im Anschluß in voller Lautstärke, „jetzt erst mal urinieren“ zu gehen. Blickt man ihm, als er sich Minuten später strumpfsockig in einen Sessel schwingt, in die funkelnden Augen, sieht man einen weisen Mann und ein Kind. Man sieht den Red Hot Chili Peppers direkt in ihr Herz.

Kiedis sagt, daß ihr heute weniger selbstkritisch seid.

Flea: Wir sind noch selbstkritischer als früher! Es kommt nur einfach mehr Musik aus uns raus. Auf diesem Album, hmm … (plötzlich todernst) Das ist die beste Platte, die wir je gemacht haben.

(lacht)

Flea: (schweigt)

Komm schon. Das sagen sie alle.

Flea: ich weiß. Wir sagen es auch immer. Aber es ist nunmal die Wahrheit. Du hast die Platte doch gehört?

Du machst By The Way und Californication klein. Die waren auch nicht schlecht.

Flea: Wahrscheinlich hab‘ ich jedes Mal das Gefühl, daß wir neue Wege gefunden haben, uns auszudrücken. Das Repertoire ist tiefgründiger geworden und wir präsentieren es besser. Und wir respektieren uns gegenseitig. So kann was Schönes entstehen.

Kiedis sagt, ihr streitet wie jede andere Band auch.

Flea: Natürlich. Wenn du versuchst, dich weiterzuentwickeln, ist das unvermeidlich. Wenn du wachsen willst, mußt du Schmerzen in Kauf nehmen.

Das klingt, als ob es immer noch eine Herausforderung für dich ist, Musiker zu sein.

Flea: Unbedingt. Musik ist eine sehr fordernde Sache. Ich versuche ständig, besser zu werden. Aber ich bin nicht so wahnsinnig klug und nicht so wahnsinnig toll. Ich hab‘ oft das Gefühl, daß ich nur an der Oberfläche dessen kratze, was Musik ist. Mag sein, daß ich ein arroganter Rockstar bin, aber was die Musik angeht, bin ich sehr bescheiden.

Früher hast du mit Drogen versucht, tiefere Einblicke zu gewinnen.

FLEA: Oh ja. Wir haben sicher alle auch positive Erfahrungen auf Drogen gemacht. Sie haben unseren Horizont erweitert und uns neue Perspektiven eröffnet. Meistens aber haben sie die Band blockiert.

Kannst du auf diese Erlebnisse heute noch zugreifen?

FLEA: Ja. Die Erkenntnisse, die ich in jungen Jahren durch Drogen hatte, waren sehr hilfreich. Nur: Wenn man eine Türe öffnet und in einen neuen Raum blickt, dann sollte man Ehrfurcht haben und staunen. Nicht die Türe aufreißen, zuknallen, aufreißen, zuknallen und so weiter. Bis sie aus den Angeln bricht. Aber Drogen sind sowieso nicht notwendig. All die Dinge, die du durch Drogen lernen kannst, kannst du auch auf anderen Wegen erfahren.

Das kommt mir bekannt vor.

FLEA: Ja, das geht vielen Leuten so. Die Wahrheit ist, daß wir schon in Ordnung sind, wenn wir nur wir selbst und ein freundliches Wesen sind, (wird aufgeregt) Sonst ist es nie genug. Du schaffst es nicht, dir genug Bestätigung zu holen. Du kannst das Loch, das wir alle in uns spüren, nie auffüllen. Es gibt nie genug Lob, genug Ruhm, genug Respekt. Wenn du dich einfach liebst – bedingungslos und mit dem schmerzenden Loch in dir -, weil du das Vertrauen hast, daß du ein rechtschaffener Mensch bist, ist alles in Ordnung.

Mußtest du viel ändern in deinem Leben ?

Flea: Ich war damals selbstmordgefährdet. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch hinter mir, mir ging es richtig scheiße. Das war ein Wendepunkt. Es hat eine Weile gedauert, bis alles zurechtgerückt war. Heute kann ich sagen, daß ich in meinem Leben noch nie so glücklich war. Vielleicht als ganz kleines Kind.

Komisch – mir wurde erzählt, daß ihr letzte Woche die ganze Zeit von Gott gesprochen habt. Das muß wohl Fruscionte gewesen sein.

Vielleicht ist es ein einfacherer Weg? Schon ein Glas Wein kann hilfreich sein, wenn man im Streß ist und kreativ sein muß.

FLEA: Weil man sich entspannt. Man löst sich von seinen Ängsten und der materiellen Welt. Man verbindet sich mit der inneren Welt, in der alles in einem mühelosen Fluß ist – eine unerschöpfliche Quelle von Kreativität. Der Wein hilft, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, diese Verbindung aufzubauen.

Muß man ohne Drogen disziplinierter sein?

Flea: Man muß ein Bewußtsein für die innere Welt entwickeln und eine Beziehung zu ihraufbauen. Man kann sie nicht einfach ignorieren. Ein Beispiel: Wenn man in Schwierigkeiten ist, kann man sich an Gott oder das höhere Selbst wenden und um Hilfe bitten. Gut möglich, daß dann Folgendes zurückkommt: „Wie bitte? Du hast seit zo Jahren nicht mit mir geredet, du Penner. Jetzt kommst du angekrochen?“Verstehst du? Man muß sich um diese Beziehung kümmern. So baut man Kraft auf, die einem zur Verfügung steht, wenn es an der Zeit ist, kreativ zu werden. Je mehr man reinsteckt, desto mehr kommt zurück.

Caroline Myss, die Selbsthilfe-Bucher schreibt, hat dir gesagt, daß du als Musiker nichts beweisen mußt.

Flea: Das war eine enorm wichtige Lektion. Ich hatte aus verschiedenen Gründen das Gefühl, daß ich Bestätigung brauchte: Wenn ich berühmt war, dann war ich okay; wenn ich der beste Bühnen-Performer der Welt war, dann war ich okay; wenn mich meine Freundin über alles liebte und überhaupt alle dachten, daß ich der Beste der Welt bin, dann war ich okay. Erst dann. Anstatt daß ich mich einfach so geliebt und akzeptiert hätte, wie ich bin. Die Suche nach Bestätigung hat mich ziemlich in die Ecke gedrängt.

FLEA: Nein, das war wahrscheinlich ich. Weil ich Gott unfaßbar liebe. Aber Religionen sind mir egal. Ob du Jude, Muslim oder Katholik bist, spielt keine Rolle. Das sind alles nur Menschen, die Vertrauen zu einer höheren Intelligenz haben wollen. So wie ich. Ich bete jeden Tag. Es gab einen Moment in meinem Leben, in dem plötzlich sonnenklar war, daß Gott- was für mich immer nur ein vages Konzept von dieser Energie irgendwo war- existiert. Ich wußte plötzlich, daß ich mich, wenn ich eine Beziehung zu Gott aufbauen würde, nie wieder allein fühlen würde.

Klingt tröstlich.

Oh ja, wunderschön. Aber, weißt du – ich liebe den Teufel auch. Er gehört dazu. Heil Satan!

Heil Satan. So spricht ein Mann ohne Furcht.

Haben die Red Hot Chili Peppers ihre Dämonen besiegt? „An die Zeit (hier im Chateau) erinnere ich mich, als ob ich mich an das Leben eines anderen Menschen erinnere“, sagt Frusciante. „Das war ziemlich bedrückend und gruselig, aber wir haben es überstanden „, meint auch Kiedis aufgeräumt. „Es gibt keinen Grund, so zu tun, als ob es nicht passiert wäre.“ Haben sie mit der Vergangenheit Frieden geschlossen und akzeptiert, daß, wo Licht ist, auch Schatten fällt? Wenn sie mit der Angst vor dem Tod auch die Angst vor dem Leben überwunden haben, dann sind sie heute frei .Frei, über Drogen, Schmerz und das andere Gesicht dieser Stadt zu sprechen, dem sie so lange und tief in die Augen gesehen haben. Und frei, das Leben auf der Terrasse des Hotels zu genießen, das Schauplatz eines der düstersten Kapitel der Bandgeschichte war. Warum auch nicht? Es ist ein sonniger Tag.

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