Led Zeppelin: Denkmal ohne Kratzer


London, O2 Arena

Wenn „sensationell“ und „toll“ zusammenkommen: Der Hype um die „Mutter aller Reunion“ war gerecht, da kann man schon mal ins Schwärmen geraten … Auf tonnenförmigen, ähem, LED-Displays vor der O2 Arena im Osten Londons rotieren die Namen der Acts beim „Ahmet Ertegun Tribute“, und es ist hinreichend bizarr, „Led Zeppelin“ dieses mythisch verbrämte Wortdoppel da zu lesen, unter der Abteilung „heute Abend live“, im Jahr 2007. Led Zeppelins Rückkehr (das „minus John Bonham“ bitte immer dazu denken) für dieses (angeblich) einmalige Konzert ist die eine Reunion, die man dann doch nicht erwartet hätte, und mehr als bei anderen bisher ist man hin- und hergerissen zwischen „Das dürfen die nicht, die beschädigen ihr Andenken!“ und der Ahnung: Es könnte tatsächlich, nun: geil werden.

Für letztere spricht die Tatsache, dass die Band noch eine Rechnung offen hat. Seit dem letzten Konzert in Originalbesetzung (am 7.7.1980 in der Berliner Eissporthalle) haben die drei Überlebenden drei Kurzauftritte bei Groß-Events absolviert und sich jedes Mal – speziell beim desaströsen Live-Aid-Gig- zum Lolli gemacht. Page, den peniblen Kurator des Erbes seiner Band, hat das immer gewurmt, und man darf davon ausgehen, dass sie diesmal alles richtig machen wollen. Man hat von engagierten Proben gelesen, bei der sich Bonzo-Sohn Jason als Kenner der Materie erwies („Wollt ihr den Part so spielen wie bei der US-Tow 1973!“!. Und von Page, der seit seit Juni Konzerte in der 02 Arena besuchte, um sich ein Bild von den Soundverhältnissen zu machen.

Sicher ist mal eines: Wenn auf die Arena heute Abend ein Bleizeppelin fallen würde, wäre die internationale Rock-Community um ein paar Dutzend Großkopferte ärmer. Von Pelle Almqvist über Grohl, Manson, Arctic Monkeys und die Gallaghers bis hin zu McCartney und Jagger ein illustrer Auftrieb (alles Fans?) – dagegen stinkt die Besetzung des Vorprogramms des „Ahmet Ertegun Tribute“ (dem Andenken des Atlantic-Gründers ist ja der Abend gewidmet, kein Wort von Led Zeppelin auf den Tickets) gepflegt ab. Erst gmedelt eine „Supergroup“ aus Keith Emerson, Chris Squire (Yes) und dem Drummer von Free, dann heizt Bill Wyman mit den Rhythm Kings Gastsänger durch alte R&B-Nummern, bevor der zombifizierte Kadaver von Foreigner vorfühlt, was passieren kann, wenn eine Band beizeiten den Absprung verpasst.

Der Aufmarsch der, äh, Hauptband erfolgt dann in einer beruhigend souveränen Mischung aus dicker Hose und cooler Eleganz: Das Licht erlischt und die kollektive Anspannung und Vorfreude entlädt sich in einem selten gehörten Tosen, in das sich eine Reporterstimme mischt: Auf der Leinwand flimmert ein TV-Bild, der Bericht eines US-Senders von einem Zep-Konzert in Florida 1975, die Band entsteigt ihrem Jet, der Reporter stellt die Mitglieder vor und endet mit den Worten: „So if you were at Tampa Stadium tonight or anywhere nearby, that’s the sott of thing on saw and heard“ – und mit einer Wucht, die Ohren anlegen lässt, donnern die Auftakt-Wummse von „Good Times Bad Times“ durch die dunkle Halle. Die Scheinwerfer fliegen an, und da stehen sie, wie drei Zeitreisende, die es nach langer Irrfahrt in die Gegenwart gespuckt hat. Die ersten drei Songs – „Good Times…“, „Ramble On“ und „Black Dog“ rauschen atemlos vorbei. Jetzt heißt’s aufpassen, zumindest als – zugegebenermaßen nicht neutraler – Reporter: Ist das jetzt wirklich so super? Oder lassen wir uns blenden von Hype und Sensation? Die könnten da vorne halbwegs Quatsch spielen und alles würde ihnen zu Füßen liegen. Aber sie tun es nicht. Inder Tat: Sie rocken. Und auch nicht „ganz okay für drei 60-Jährige“, sondern tatsächlich und tighter und härter, als man zu hoffen gewagt hätte.

Page arbeitet mit sichtbarer Begeisterung an seinen diversen Gitarren, mit bald wirrem weißem Haar, durchgeschwitztem Hemd und einem gefühlten Dauergrinsen unter seiner enorm animierten Mimik. Seine Riffarbeit, speziell bei langsameren, zäher rockenden Passagen – „In My Time Of Dying“, „Nobody’s Fault But Mine“, „Since I’ve Been Loving You“ – ist fett und heavy, die Soli schneiden durch den Sound, verlieren nur in den allzu oft gewählten hohen Passagen an Kontur. „That was intense!“, ruft mir der Platznachbar nach „Trampled Under Foot“ strahlend zu, und Recht hat er.

Plant gelingt eine würdige 2007er-Version seines 70er-Proto-Cockrock-Frontmanns. Das grandiose Gepose von einst taucht in feinen, undoofen Dosierungen auf. Den Mikroständer kickt er hoch und fuchtelt damit – weniger wohl einstudierte Aktion als jahrzehntealte Übersprungsbewegung – aber das Hemd bleibt zu. In einstige Höhen kommt er nicht mehr, aber müht sich dann auch nicht krächzend, sondern geht beizeiten in tiefere Register. In den wenigen Ansagen reitet er nicht wohlfeil auf dem sensationellen Anlass herum, sondern erklärt lieber humorig Musikhistorisches zu dem ein oder anderen (damals geklauten) Bluesstück. Derweil pendelt John Paul Jones, wie einst der Stille im Hintergrund, konzentriert zwischen Bass und – bei Stücken wie „Trampled Under Foot“ und dem psychedelischen „No Quarter*‘ – Keyboards, und bildet mit Jason Bonham, der mit ungeheuer muskulösem und groovigem Spiel seinem Vater Ehre macht, eine unbestechliche Rhythmusgruppe.

Mit einem fetten „Dazed And Confused“ und Pages umjubelter Geigenbogeneinlage (muss ja) geht’s nach gut über einer Stunde in ein ausgedehntes Finale: „Stairway To Heaven“, „The Song Remains The Same“, „Misty Mountain Hop“ und dann, quasi als letzte Bewährungsprobe: das mächtige „Kashmir“, das sie gebührend majestätisch zelebrieren, wie ein Lavastrom wälzt sich der Song durchs Auditorium, Jetzt steht fest: Sie haben’s tatsächlich hingekriegt, ohne Kratzer am Denkmal. Und das scheinen sie selbst zu wissen. Sie grinsen sich an – nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal heute Abend – und verbeugen sich. Als Zugaben gibt’s „Whole Lotta Love“ mit Page am Theremin und viel Hall für Plant, und nach dem finalen „Rock’n’Roll“ sagt auch Page mal was ins Mikro, aber man versteht nichts. Jedenfalls glaubt ihnen wohl keiner so recht, dass das heute das allerletzte Mal gewesen sein soll.

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