Lenny Kravitz: Unverstanden


Nach elf Jahren Retro-Rock feiert die Plattenfirma Lenny Kravitz mit einer Greatest-Hits-CD. Zum Interview bemüht sich der Superstar aber nur widerwillig. Der 36-Jährige meint:"lch werde verkannt."

„Ich weiß einfach nicht, was das soll“, erregt Lenny Kravitz sich plötzlich und haut sich genervt mit der Hand auf den Schenkel. Völlig unerwartet hat er den Zustand gelangweilter Lethargie verlassen, ist aus dem Kissenberg aufgetaucht und an die Couchkante gerutscht. „Mann, überall heißt es, ich sei ein Sexsymbol und eine humorlose Rockstar-Legende oder so. Die kennen mich überhaupt nicht.“ Kr holt noch einmal Luft, schüttelt aber dann den Kopf und winkt ab. Lenny fällt zurück, blickt zum Fenster und schaltet sich regelrecht ab. Der Blick ist ausdruckslos, die Augenlider hängen nur knapp über dem oberen Pupillenrand. Müde ist er. Von einer langen Nacht. „Bin nur rumgerannt“, sagt er sauer, als ob die ganze Well dran Schuld habe. Die Aussicht, den ganzen Tag über Journalisten bei Laune halten zu müssen, ist seiner eigenen Stimmung nicht gerade zuträglich. Seit lahren muss er nun schon lästige Fragen beantworten. Fragen, die ihn nicht interessieren und die vor allem von ganz falschen Voraussetzungen ausgehen. Denn: Lenny ist kein Sex-Symbol, und er sprüht vor Humor. Und wie ist das mit der Rockstar-Legende? „Ich höre seit ein paar Jahren immer dieses Wort: Legende. Ich meine, das ist schon schmeichelhaft. Es ist ein Segen und so. Aber ich würde mich selbst niemals so bezeichnen – Ich bin eine Legende‘. Also bitte!“

Derweil vernebeln Duftkerzen und Räucherstäbchen die Luft in der für die Interviews angemieteten Suite im neu eröffneten Tribeca Grand Hotel im südlichen Manhattan. Es ist ein sonniger Herbst-Vormittag, und Lennys senffarbener Monster-Faltenhund schnarcht laut genug, um auf der Anzeige des Aufnahmegeräts mit radiotauglichem Pegelausschlag registriert zu werden. So weit geht Lenny nicht, doch auch er ist kurz vorm Einschlafen. „Kannst du das mal wiederholen?“, fragt er unkonzentriert. Es scheint, als sei Lenny nach dem fünften Album und dem Aufstieg zum Weltstar noch wortkarger geworden als zuvor. Abseits der Bühne hat er offensichtlich die Lust an der Selbstdarstellung verloren. Der Rummel um seine Person fällt ihm zur Last. „Ich toleriere immer weniger von dem ganzen Bullshit“, bestätigt er. „Ich habe mich nie mit Ruhm motiviert, sondern immer mit Musik, lind jetzt ist alles so ein riesiger Celebrity-Zirkus.“ Da klingelt eines der beiden Mobiltelephone auf dem Tisch, und das geht erst mal vor.

Ein Mann und sein Image

Beim unvermeidlichen Mithören des Gesprächs gibt es wenigstens neue Informationen über den Grund für die Augenringe: „Ich bin todmüde, Mann“, rechtfertigt er sich gegenüber irgendjemand. „Ich hab‘ meine Tochter in die Schule gebracht. Danach bin ich auf dem Sofa eingeschlafen und hab‘ total verpennt.“

Auf wessen Sofa ist unklar. Wohl kaum jedoch auf seinem eigenen – das New Yorker Apartment ist verkauft. Vielleicht auf dem seiner Freundin? Schon möglich. Schließlich hat Kravitz kürzlich geäußert, dass er „mit jemandem ausgeht“. Derlei Spekulationen sind jedoch ein Minenfeld. Viel zu nah ist diese Thematik an der falschen Sexsymbol-Annahme. Die Wohnung in Los Angeles ist übrigens ebenfalls verkauft. Es bleiben je ein Haus in New Orleans und auf den Bahamas sowie eine Luxusburg in Miami. Darin tobte sich über zwölf Monate der Top-Designer Michael Czysz aus, bis Lenny nur noch seine Klamotten und die vereinbarte Million Dollar durch den mit weißem Fell bezogenen Eingangstunnel tragen musste. „Als ich reinkam, habe ich 20 Minuten lang ‚Das gibt’s doch nicht‘ geschrien“, erzählte Kravitz dem Magazin „Harper’s Bazaar“. „Es war total mein Style.“ Nun stylt Czysz auch die einst schlichten Anwesen auf den Bahamas und in New Orleans.

Lennys sinkendes Interesse an Interviews und anderen Tätigkeiten, die nun mal dazugehören, wenn man berühmt ist, gilt übrigens nicht für alle PR-Aktionen. Auch hier gibt es die berühmten Ausnahmen von der Regel. So wurde Kravitz unlängst von US-Präsidentschaftskandidat AI Gore ins Weiße Haus eingeladen. Außerdem hat er mit den Clintons in Südafrika zu Abend gegessen. „Ich check‘ die halt mal aus“, meint der Retro-Rocker, der jahrelang sein Desinteresse an Politik bekundet hat. Für einen Kandidaten Wahlwerbung zu betreiben, das konnte Lenny Kravitz sich 1996 in einem Interview mit dem MUSIKEXPRESS nur vorstellen, wenn es sich um eine „wirklich außergewöhnliche Person“ handeln würde, eine Person, die er damals weit und breit nicht sah. Die Besetzung im Weißen Haus hat sich seither nicht entscheidend geändert, so dass es eine Überraschung war, als Kravitz am 14.September bei AI Gores bis dahin größtem Musik-Wahlkampf-Zirkus in New York auf die Bühne stapfte. „American Woman“ gab er da unter anderem zum Besten. Ob Kravitz damit die Kandidatengattin Tipper Gore meinte, ist nicht überliefert. Fest steht: Sie war es, die in den 80er und 90er lahren mit dem „Parents Music Resource Center“ gegen in ihren Augen jugendgefährdende Texte in der populären Musik zu Felde zog. Die in den USA auf CDs weit verbreiteten „Explicit Lyrics“-Aufkleber sind das Überbleibsel von Tipper Gores Kampagne. In aktuelleren Statements beteuert sie übrigens, mit dieser Mission „einen Fehler gemacht“ zu haben.

Trotzdem, wie außergewöhnlich muss Al Gore sein, damit Lenny Kravitz sich von seinen Prinzipien verabschiedet? Das amerikanische Volk jedenfalls ist mit Blick auf die Wahl am 7. November so unschlüssig wie selten. Auch wenn Gore von einer knappen Mehrheit favorisiert wird: Die Herzen der Amerikaner hat er nicht gewonnen. „Wer gewinnt schon die Herzen der Menschen“, gähnt Kravitz. „Ich habe Gore eben kennengelernt, das war rein persönlich. Von Mensch zu Mensch. Da hat er mich gefragt, ob ich auftreten würde, und ich habe okay gesagt“, gibt Kravitz lakonisch zu Protokoll. „Mir ist eigentlich egal, wer Präsident wird, solange er was für die Umwelt tut. Und deshalb bin ich halt zur Zeit für die Demokraten.“ Thema beendet.

Da es Kravitz im Kontakt mit Medienvertretern oft nicht mehr gelingt, eine freundliche Fassade aufrecht zu erhalten, hat er andere Wege gefunden, um zu zeigen, dass er ein guter Mensch ist: Als Pilot beim Elektroautorennen „Rock’n’Rally“ sammelte er Gelder für die Bedürftigen, und sogar mit ‚NSync, die beim Wango-rango-Charity-Event Gastgeber waren, tanzte Kravitz in Los Angeles für gute Zwecke über die Bühne. Eigentlich begrüßenswert, doch Stirnrunzeln gab es bei den Fans endgültig, als Lenny einen Song zu Elton Johns Broadway-Fassung von „Aida“ beisteuerte. „Ich hatte Elton backstage besucht, und er sagte ‚Hey, ich mach diese Show, die ist cool'“, erinnert Kravitz sich. Cool? „Aida“ mit Elton John? „Na ja, wir haben geredet.

Auch das war rein persönlich. Elton hat gesagt, dass er mir was schulde, wenn ich mitmachen würde. Das war okay für mich. Ich kann ihn jetzt anrufen und sagen: Elton, los, beweg‘ deinen Arsch hier rüber, Mann. Du sollst ein bisschen Klavier spielen für mich.“

Diese seine Erklärung ist mit Abstand das längste zusammenhängende Statement im Interview mit Mister Kravitz. Nachdem es 25 Minuten lang nicht möglich war, eine Kommunikation zu betreiben, die den Namen „Gespräch“ verdient hätte, stellt sich journalistische Frustration ein. Ein letzter Versuch, und bei Gott kein eleganter: „Welche Frage würde Sie denn interessieren?“ möchten wir von dem lustlosen Star wissen. Ein Schachzug, der bereits 1995 fehlschlug. Die ZDF-Moderatorin Christine Reinhart richtete damals die gleiche Frage an Boris Becker, frustriert von dessen Einsilbigkeit. Mit dem Ergebnis, dass Reinhart das „Aktuelle Sportstudio“ wenig später verließ. Und dass das Tennis-Ass sinngemäß jammerte, ob es denn niemanden interessiere, warum er im zweiten Satz bei 0:15 den Ball long-line anstatt cross gespielt habe.

Boris Becker und Lenny Kravitz sind Leidensgenossen. Verkannt und falsch befragt. Seit 1989 soll Kravitz über seine Affären reden. Dabei stellt er wieder und wieder klar: „I talk about music, man“. Also dann: eine Long-Line-Cross-Frage. Hat Lenny die neue Single „Again“ wieder analog aufgenommen? „Na ja, ich hab‘ ein paar Sachen durch die Bandmaschine gejagt“, sagt er zögerlich. Die Drums vielleicht? Die klingen schön alt und fett. „Die Drums, den Bass…“, zählt er ungeduldig auf, als rede er mit einem Dreijährigen. Anschließend: Schweigen. Danke, Lenny. Kravitz nimmt das Handy und beginnt zu wählen.

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