Live


Konkurrenz für Michael Stipe und Co. Und das auch noch aus dem eigenen Land. Live jedenfalls steht das US-Quartett den Kollegen von R.E.M. in nichts nach

Tausend kleine Explosionen im Blut. Die gibt es außer in Werbeslogans für CD-Player nur noch bei einem Konzert von Live. Das Publikum in der ausverkauften Münchner Charterhalle bekam sie am eigenen Leib zu spüren. Erst sanfte Gitarrenklänge, gefühlvollen Gesang, dann massive Drums, krachenden Baß. Musik, die wie eine Lunte brennt und plötzlich detoniert. Immer wieder die herrlichlärmigen Ausbrüche. Wollte man den betulich begonnenen Song eben noch mit hochgehaltenem Feuerzeug beleuchten, zack, zerreißt es die vermeintliche Balta; de, und das Publikum befällt ein kollektives Hüpf-Bedürfnis. Nicht demonstrative Härte, sondern aufregende Gegensätze sind es, die die Live-Qualitäten von Live ausmachen. Nach diesem Strickmuster schlagen sämtliche Stücke der vier Shooting Stars aus York/Pennsylvania ein. So (in concert)

wohl die des ersten Albums ‚Mental Jewelry‘ als auch die neuen vom über zwei Millionen mal verkauften Meisterwerk ‚Throwing Copper‘. Das Album, das nach längerer Anlaufphase die Spitze der US-Charts eroberte, hat sich mittlerweile auch -terzulande vom Geheimtip zum fckaufsschlager gewandelt. Gar Hpt zu reden von Konzertkarten &‘ die Live-Tournee durch Deutschland. Am Schwarzmarkt vor der Charterhalle wurden bis zu 100 Mark geboten. Zumindest in punkto Zugkraft scheinen die vier US-Boys das zu erfüllen, was ihnen schon immer nachgesagt wurde, nämlich auf den Spuren von R.E.M. zu wandeln. Was zum einen kein Wunder ist, schließlich hat es Live bis in den erlauchten Kreis von MTV’s Unplugged-Helden geschafft. Was zum anderen aber schade wäre, denn ihre pulsierende Mischung aus kraftvollem Alternative-Rock und ruppigem Grunge ist besser dafür geeignet, kleine Rahmen zu sprengen, als große Halle zu beschallen. Bei ihrem Höhenflug haben Ed Kowalczyk, Patrick Dahlheimer, Chad Taylor und Chad Gracey die nötige Bodenhaftung nicht verloren. Im Gegenteil: „Wir beherrschen ja bis heute nicht einmal unsere Instrumente in ausreichendem Maße“, meint Leadsänger Ed Kowalczyk. Heiteres Understatement, denn Live sind bereits in jungen Jahren ¿ keiner der vier hat die 24 überschritten – mit exzellentem Songwriting und eindrucksvoller Bühnenshow ausgestattet. Handwerkszeug, mit dem sie den Grundstein für eine dauerhafte internationale Karriere gelegt haben. Längst kennen die Fans die Single-Hits ‚Selling The Drama‘ und ‚I Alone‘ auswendig, singen mit, toben, tanzen, klatschen. Dabei gibt es zu den Erfolgsnummern noch einige Steigerungen. Zum Beispiel ‚Dam At Otter Creek‘, der Opener, dessen Intro nur aus der flehenden Stimme von Ed Kowalczyk und der kargen Gitarre von Chad Taylor besteht urgy jrn Halbdunkel vorgetragen Gäns%r haut am ganzen Körper verursacht. Trotz aller verschachtelten Strukturen klingen Live eingängig, trotz perfekter Rocksongs bleiben sie ungestüm und wild. Die Lust am Lärm, am Geräuschefabrizieren bricht des öfteren durch. So, als sie bei ‚Shit Towne‘ zu dritt die Boxen erklimmen und mit Wonne ihre Gitarren verzerren. Ungeschminkt, aber nicht unspektakulär ist der Auftritt von Live. Dank Ed Kowalczyk. Er steht meist auf einem Fleck, aber immer unter Strom. Er singt einfach drauflos und allen stockt ob seiner Ausstrahlung der Atem. Ein kahler Kopf, weich die Gesichtszüge, rauh die Drei-Tage-Stoppeln, passend zum gegensätzlichen Charakter der Musik. Genauso seine Bewe>

gungen: Sparsam, aber gajp schmeidig bei den langsamen Stellen, wild und zupackend, wenn die Musik ihre volle Explosiv-Wirkung entfaltet. Wovor sich Ed Kowalczyk beim Video-Dreh noch geziert hat, macht er bei der kochenden Stimmung in der“ Charterhalle mit Vergnügen: Das T-Shirt ausziehen. Oben ohne heizt er derart ein, daß seine Schweißtropfen wie ein Platzregen auf die Bühne prasseln. Dabei hat er das Publikum schon voll im Griff, wenn er nur mit aufrechtem Oberkörper ins Mikro singt. Mit einer ausladenden Handbewegung, einem Schwung aus der Hüfte haut er in die Saiten, und: Gitarren, Baß und Schlagzeug schalten einen Gang hoch, Licht blitzt auf, 2000 Beine beginnen wie auf Kommando zu hüpfen. Kleine Explosionen im Blut.